Nachbarschaft
Veröffentlicht am 07.01.2021 von Corinna von Bodisco
Viele wissen es nicht, aber direkt neben dem Musik-Club SO36 gibt es einen Kunstraum – den Salon 36 in der Oranienstraße 188. Schaut man dort durch das Schaufenster, erblickt man Regale, prall gefüllt mit Schokoriegeln, Chips, Haushaltszubehör und einen Kühlschrank mit Getränken. Klar, ein Späti. Doch Moment mal: Bowie Cheese Balls, Future Shock Saft, Punk Zwieback, Boredom Deluxe Schaumwein und Rotz Kotz Kekse?
Auf den zweiten Blick wird klar: Alles täuschend echt, aber eben doch kein Späti. Die Produkte sind aus Pappmaché und eigentlich Kunstwerke der Künstlerin und Singer-Songwriterin Silke Thoss alias Silky. Die Kunst-Konsumartikel können auch erworben werden, ein Teil der Erlöse gingen an den Club SO36, der in der Corona-Krise ums Überleben kämpft.
Seit Dezember bleiben Passant*innen vor dem Salon 36 irritiert stehen, weil sie denken, es ist ein echter Späti. Kam es denn vor, dass jemand Snacks oder Getränke kaufen wollte, als die Galerie noch geöffnet war? Ja, das kam vor und war auch so beabsichtigt. Ich wollte, dass die Leute von meiner Ausstellung total irritiert sind und denken: Oh Gott, jetzt hat da schon wieder ein Späti aufgemacht. Als sie rein kamen, merkten sie aber, dass etwas nicht stimmt. Auf den zweiten Blick sehen die Produkte dann doch anders aus.
Corona schränkt gerade viel ein, was mit Kunst zu tun hat. Wie ist das beim Späti-Projekt? Eigentlich ist es eine gute Form, die mit der Situation spielt. Man kann durch das Schaufenster alles sehen. Jeder kann stehen bleiben und viele Leute freuen sich total über die Ausstellung, haben was zum Lachen. Ich habe schon viel positives Feedback bekommen. Das ist auch gerade wichtig als Künstlerin, es ist ja tote Hose und nichts los.
Was gab es noch für Reaktionen? Ich glaube, es gibt schon eine Art „Späti-Mafia“ in der Gegend. Im Dezember wurde ich von Typen abgecheckt, die mit dem Auto vor dem Laden stehen blieben. Die haben geguckt, dann habe ich gewunken. Irgendwann haben sie gemerkt: Das ist ja gar kein echter Späti und erst dann gab es ein „Daumen hoch“-Handzeichen.
In den Regalen sind sehr unterschiedliche Dinge zu sehen. Manche spielen auf Künstler*innen an oder den Kiez, manche nicht. Was hat Sie inspiriert? Ich habe mit der Arbeit im ersten Lockdown begonnen. Das war für mich wie ein Corona-Tagebuch zu Schlagworten und zur Situation als Künstlerin. „Don’t risk freedom“, „Fuck Art“ oder „No Show“ habe ich zum Beispiel in Produkte verarbeitet oder auch Referenzen zu politischen Phänomenen wie Black Life Matters gezogen. Ich bin auch auf die Geschichte des SO36 eingegangen, auf die ersten Bands, die da gespielt haben. Martin Kippenberger, der diesen Club mitbegründet hat, ist auch in ein Produkt eingearbeitet. Das Wort Corona taucht übrigens nirgends auf.
Wie kann man sich die Herstellung und die Arbeit an den Kunstwerken vorstellen? Es ist ein ziemlich langer Prozess, fast schon Fleißarbeit: Erst forme ich, dann wird das Produkt eingekleistert und muss ein zwei Tage trocknen bis ich die Grundfarbe auftragen kann. Und es ist klar, dass es in einem Späti nur gut aussieht, wenn man von einem Produkt mehrere Objekte hat – es braucht Fülle.
Für das SO36 gab es eine extra Aktion mit signierten Produkten? Ja, ich habe Kisten wie Präsente drapiert und Produkte erschaffen, die ich auf Bands gemünzt habe, die dort spielten: Die Ärzte, Fehlfarben oder Stereo Total. Die Künstler haben die Produkte signiert und die Kisten wurden dann bei Ebay versteigert. Dieser Erlös – etwa 1600 Euro – ging an das SO36. Der Erlös der anderen Produkte kommt bei mir an.
Sind die Kunstwerke-Produkte noch zu haben? Sind sie. Pro Produkt gibt es acht bis zehn Stück, manche muss ich noch neu produzieren. Vor dem Lockdown konnte man reinkommen und ich war vor Ort, das geht jetzt grade nicht. Aber über das Kontaktformular meiner Webseite können Termine vereinbart oder Bestellungen aufgegeben werden.
Vor zwei Jahren haben Sie ein ähnliches Projekt in Nordrhein-Westfalen gemacht: einen Tante-Emma-Laden. Ich wurde eingeladen im Münsterland in einem alten Laden auszustellen. Da sagte man mir: Hier ist es sehr konservativ, die Leute können mit moderner Kunst nicht viel anfangen. Kein Problem, sagte ich, dann mache ich einen Tante-Emma-Laden. Da ging es um Putzmittel und die Hausfrau, die gut aussehen muss – eher an die 50er/60er angelehnt. Das hat gut funktioniert und als ich danach nochmal in Hamburg ausstellte, war tatsächlich alles ausverkauft. Eigentlich wollte ich den Laden auch in Berlin zeigen, aber es war ja schon alles weg. Mit dem Späti-Projekt hat das jetzt geklappt.
Was passiert nach Ende Januar mit dem Späti? Vielleicht darf der Späti auch noch länger bleiben, das wäre natürlich toll. Das hängt aber davon ab, ob danach schon etwas anderes geplant ist.
- Bis zum 22. Januar kann der Späti durch das Schaufenster betrachtet werden. Terminvereinbarung und Infos zu den Kunstwerken: silke-thoss.com
- Foto: Matthias Zickrow
- Wenn Sie gerade einen Gedankenblitz haben, wer hier bald mal vorgestellt gehört, schreiben Sie mir. Hier meine Mail: leute-c.bodisco@tagesspiegel.d
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