Nachbarschaft

Veröffentlicht am 07.04.2022 von Nele Jensch

Der Satyr- und der Schaltzeit-Verlag teilen sich in Friedrichshain ein Büro. Hier erzählen die beiden Verleger Volker Surmann (Satyr, im Bild rechts) und Andreas Illmann (Schaltzeit, links), wie es zu dem ungewöhnlichen Arrangement kam (Spoiler: Die Gentrifizierung spielt eine Rolle), was sie an ihrem Kiez in der Auerstraße schätzen – und wie sie den Deutschen Verlagspreis 2022 gefeiert haben, mit dem beide Verlage gerade ausgezeichnet wurden.

Auf welche Bücher und Publikationen sind der Satyr- und der Schaltzeit-Verlag jeweils spezialisiert?

Volker Surmann: Satyr hat einen klaren Schwerpunkt auf Humor und Satire, zudem erzählende Belletristik, und auch Bühnenliteratur aus den Bereichen Berliner Lesebühne und Poetry Slam.

Andreas Illmann: Der Schaltzeit Verlag hat sich auf Karikaturen, Kinderbücher und, relativ neu noch, Graphic Novels spezialisiert.

Wen von Ihren Autor*innnen kennen unsere Leser*innen wahrscheinlich?

VS: In Berlin sicherlich Susanne M. Riedel, ihr Buch „Ich hab mit Ingwertee gegoogelt“ wurde vom Tagesspiegel und seinen Newslettern gleich mehrfach gelobt. In ihrer Heimat Steglitz ist dieses Buch schon Pflichtlektüre, glaube ich. Außerhalb Berlins sicherlich Ella Carina Werner, die man von ihrer monatlichen Titanic-Kolumne kennen könnte, ach, sollte!

AI: Klaus Stuttmann dürfte den meisten Tagesspiegel-Lesern vertraut sein [Stuttmann veröffentlicht regelmäßig Karikaturen im Tagesspiegel, Anm. d. Red.]. Seine Jahrbücher erscheinen bei uns im Verlag. Vielleicht auch Steven Appleby. Sein „Dragman“ wurde 2021 vom Tagesspiegel zum Comic des Jahres gewählt.

Sie teilen sich Ihre Büroräume als „Verlags-WG“ – wie kam dieses eher ungewöhnliche Arrangement zustande?

VS: Als in dem Haus, in dem ich wohne, das Ladenlokal im Erdgeschoss frei wurde, habe ich zugeschlagen und dann nach Untermietern gesucht. Mit Andreas Illmann wurde ich fündig, der auch gerade nach neuen Räumen suchte. Und es ergänzt sich super. Wir haben jeder einen Raum und teilen uns Lagerkeller und Schaufenster. Auch eine freie Mitarbeiterin ist sogar manchmal für beide Verlage im Einsatz. Das ist optimal. Im letzten Jahr ist sogar noch ein freier Hörbuchsprecher mit seinem Studio in den 3. Raum der WG eingezogen.

AI: Als die Mieten 2014 in Kreuzberg explodierten und wir unsere Büroräume im Wrangelkiez verlassen mussten, kam uns das Angebot von Volker Surmann gerade recht, eine Verlags-WG in seinen Büroräumen in Friedrichshain zu gründen. Wir kannten uns, da wir beide mit dem Vertriebscentrum in Berlin Neukölln den gleichen Vertriebsdienstleister für unsere Bücher nutzten. Insofern war das eine Win-Win-Geschichte.

Wie gehen Sie mit Konkurrenz untereinander um? Oder gibt es gar keine, weil Ihre Themenfelder dafür ohnehin zu unterschiedlich sind?

VS: Es gibt keine, weil wir sehr unterschiedliche Felder beackern. Man freut sich für die Erfolge des anderen und leidet mit, wenn Dinge nicht so laufen, wie sie sollen. Und als Indieverlage haben wir mit denselben Problemen zu kämpfen und tauschen uns aus und unterstützen einander. Oder jammern uns gegenseitig die Ohren voll, wie schlimm alles gerade ist.

AI: Konkurrenz gibt es eher nicht. Man leidet oft gemeinsam, das stimmt. Aber geteiltes Leid ist halbes Leid. Und ja, Erfolge gönnt man dem jeweils anderen sehr und freut sich gemeinsam.

Gerade wurden sowohl der Satyr- als auch der Schaltzeit-Verlag mit dem Deutschen Verlagspreis 2022 ausgezeichnet. Haben Sie schon gemeinsam gefeiert?

VS: Ja. Ich hatte noch eine Flasche Sekt vom Jubiläum des Berliner Börsenverein des Buchhandels im Schrank, die haben wir geköpft.

AI: Mein erster ernstzunehmender Schluck Alkohol seit ungefähr zwei Jahren…

Ihr Büro liegt in der Auerstraße in Friedrichshain. Was gefällt Ihnen besonders gut im Kiez?

VS: Es war lange Zeit der vergessene Winkel Friedrichshains, in dem die Gentrifizierung viel langsamer vonstatten ging als im Südkiez. Das war angenehm. Ich wohne hier ja auch, und das gern, weil ich direkt zum Friedhof hin wohne. Ruhiger geht’s in der Großstadt nicht. Und ich mag es, wenn die Kitakinder von nebenan am Schaufenster stehenbleiben und sich vor Andreas‘ Kinderbüchern die Nase plattdrücken. Und ihre Eltern mal die Satyr-Bücher anschauen.

AI: Am schönsten finde ich die Vertrautheit und die nachbarschaftliche Freundlichkeit. Bei Schmidts Laden gibt es immer einen netten Schwatz, bei Frau Honig schmeckt die Linsensuppe jeden Tag, im Laden 13 kriegt man alles fürs Büro.

  • Foto: Illmann und Surmann stoßen auf den Deutschen Verlagspreis 2022 an; Credit: privat
  • Mehr Infos und Bestellmöglichkeiten für Bücher finden Sie auf satyr-verlag.de und schaltzeitverlag.de
  • Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: nele.jensch@extern.tagesspiegel.de

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