Nachbarschaft
Veröffentlicht am 04.08.2022 von Pauline Faust

Schock in Kreuzberg. Gegen acht Uhr morgens am 22. Juli ist ein großer Knall in der Fidicinstraße zu hören. Die bis zu vier Meter hohe Ziegelmauer am Grundstücksrand stürzt auf den Hinterhof, wo sonst Kinder nach Insekten suchen und Anwohner:innen die Sonne auf der Terasse genießen. Eine weiße Staubwolke legt sich über das Geschehen. „Terrassenmöbel wurden zerschlagen, Balkone beschädigt – nur durch großes Glück ist kein Mensch zu Schaden gekommen“, sagt Nachbar Eike Stegen. Der Grund für den Einsturz: Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück.
Auf dem Nachbargelände, der früheren Bockbrauerei (nahe Platz der Luftbrücke) realisiert die Bauwert AG ein neues Quartier mit Gewerbeflächen und Wohnungen. Am 22. Juli rissen die Bauarbeiter:innen dafür eine alte Halle ab. Hier unterscheiden sich die Erzählungen von Anwohnenden und der Bauwert AG teilweise. „Nach erfolgtem Abbruch hat der Radlader beim Räumen des Abbruchmaterials die Nachbarwand eingedrückt, was zum teilweisen Einsturz führte“, erklärt die Firma Bauwert dem Tagesspiegel. Alle Maßnahmen seien mit dem Statiker und dem Prüfstatiker abgestimmt gewesen. Dass es dennoch zu dem unkontrollierten Einsturz kam, sei ein Unfall, den die Firma zutiefst bedauert.
Anders schildern es die Anwohner:innen. Fotos von kurz nach dem Einsturz zeigten keinen Radlader an der Stelle. Sie sagen: Dieser Einsturz hätte verhindert werden können. Die Mauer der alten Halle sei mit der unmitelbar angrenzenden Grundstücksmauer durch Metallstreben verbunden gewesen, sie hielt die Mauer aufrecht. Beim Abriss musste die Mauer folglich zusammenbrechen. Die Innenhofseite hätte daher abgesichert werden müssen, was allerdings nicht geschah. Stimmt das so, wäre das Abrisskonzept mangelhaft gewesen und grob fahrlässig. „Hätte sich die im Parterre wohnende Mieterin auf ihrer Terrasse aufgehalten, wäre sie möglicherweise schwer verletzt oder erschlagen worden“, sagt Anwohnerin Martina Pirch. Die Reaktion der Bauwert AG darauf stehe laut der Anwohnerin aus, es habe bis heute keine Antwort oder eine Entschuldigung für das fahrlässige Verhalten gegeben.
Nachdem nun ein neues Abbruchkonzept vorliegt und die Baustelle gesichert ist, können die Arbeiten weitergehen, teilte das Bezirksamt mit. Zur Ursache des Einbruchs heißt es: „Nach Besichtigungen des Prüfingenieurs für Standsicherheit vermutet dieser, dass die Mauerwerksfugen der Bestandswand sich im Laufe der Jahre gelöst haben. Ein Verbund zwischen den einzelnen Steinen war nicht vorhanden.“ Die Mitarbeiter der Abbruchfirma seien mit schweren Baumaschinen in Wandnähe gefahren. Die Erschütterungsschwingungen hätten sich vermutlich auf die Wand übertragen, was zum Einsturz der Wand geführt haben könnte.
Den Anwohner:innen bleibt der Schock. Sie hoffen, dass durch die Öffentlichkeit und eine aufmerksame Beobachtung durch die Bauaufsicht weitere Schäden ausbleiben und das historisch wertvolle Gelände mit mehr Vorsicht behandelt wird.
- Foto: Martina Pirch
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