Nachbarschaft

Veröffentlicht am 18.04.2024 von Robert Klages

Schon von weitem ist das Tackern der Schreibmaschine zu hören. Künstler Dan K. Sigurd sitzt an diesem Dienstag am Maybachufer auf dem Boden und verkauft Texte. „Gib mir 3 Worte und ich schreibe dir ein Gedicht“, lautet sein Angebot. Es ist Markt, und neben frischem Fisch, frischem Gemüse und frischem Obst gibt es auch Sigurds frische Lyrik. Kosten: 3 Euro. Man gibt dem Künstler also 3 Euro, sagt 3 Worte und dieser fabriziert daraus einen lyrischen Text, der die 3 Worte beinhaltet.

Eine Frau hat gerade ein Gedicht bestellt. Ihre Worte lauten: „Freiheit, Lust und Lebendigkeit.“ Sigurd haut in die Tasten, rund fünf Minuten benötigt er für ein Gedicht. Hinter der Frau wartet schon ein junger Mann. „Ich schreibe selber Songs und finde die Idee einfach cool“, sagt er. „Das möchte ich natürlich gerne unterstützen.“

Sigurd macht das seit acht Jahren. Angefangen hat er in Bars. Ein Gedicht für ein Bier, einen Schnaps oder einen Joint. Dann hat er das Geschäft mit der Lyrik erweitert. Dienstags, wenn Markt ist auf der Neuköllner Seite des Landwehrkanals. Oder er sitzt in Kreuzberg, auf der anderen Seite des Flusses. An den Wochenenden hat er seinen angestammten Platz im Mauerpark in Pankow, bei Wind und Wetter und Schnee. Wobei bei gutem Wetter die Einnahmen natürlich besser sind.

„Aber die Idee ist, dass es sich jeder leisten kann“, sagt Sigurd und blickt hinter seiner Sonnenbrille von der Schreibmaschine auf. Angelehnt ist sie an Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“. Wer will, kann auch weniger geben, oder natürlich mehr. Und seine Bücher verkauft Sigurd auch gerne gleich mit. Frisch erschienen ist eine Version eines Buches mit seinen Texten auf Englisch, beim Periplaneta-Verlag in Berlin.

Sigurd ist gerade aus Irland zurück. Er berichtet von Kneipenschlägereien und von obdachlosen Menschen, die seine Schreibmaschine in den Fluss werfen wollten und dagegen traten – denn Sigurd hatte sich in ihrem Revier niedergelassen und das ist für die Bettler nicht gut fürs Geschäft. In Berlin gehe es da angenehmer zu, sagt er. Aber hier kennt man ihn auch, akzeptiert seine Straßenkunst. Nur einmal kam ein Mann, sagte, er sei Gott und nahm sich drei Euro aus Sigurds Hut. „Aber Berlin ist eine Stadt für die Künstlerinnen und Künstler, deswegen bin ich hier“, sagt Sigurd.

Er muss Miete und Essen von seinen Einnahmen bezahlen. Bisher klappt das gut. Zwischen drei bis 30 Gedichten tippt er pro Arbeitstag. Aber nun wollen wir ihm mal drei Worte geben und schauen, was daraus wird: „Zeitung, Kreuzberg, Kiez“:

wenn wir Zeitung lesen

können wir mehr erfahren

über die seltsamen Wesen

die Heerscharen

von Freaks

die gleich nebenan wohnen

in unserem Kiez

besonders in den Tarifzonen

A und B

sind die Exzentriker in der Überzahl

von der Spree

bis zum Landwehrkanal

arbeiten sie in Kreuzberg

an ihrem

nächsten großen Kunstwerk

diese kreativen Spinner darf Berlin nicht verlieren!

Vielen Dank. In echt sieht das auf der Schreibmaschine Getippte dann so aus.