Intro
von Robert Klages
Veröffentlicht am 11.12.2017
„Grundsätzlich schieben wir aus Berlin nicht nach Afghanistan ab.“ Das sagte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) am 8. Oktober in einer Notunterkunft für Geflüchtete in Karlshorst. Andere Bundesländer würden dies anders machen, aber in Berlin würde man nicht nach Afghanistan abschieben. Bei „Gefährdern“ oder „Straftätern“ würde man es sich sicher vorbehalten.
Nun scheint es so zu sein, dass Berlin doch abschiebt nach Afghanistan – und zwar nicht nur Schwerkriminelle. Erst am Donnerstag ist in Kreuzberg wieder eine Demonstration gewesen: Die Abschiebungen von Afghaninnen und Afghanen sollen verhindern werden, einige von ihnen sind angeblich in Berlin untergebracht.
Auch die „Taz“ berichtet über Abschiebungen nach Afghanistan. Laut dem Innenministerium sind „Gefährder“, „schwere Straftäter“ und sogenannte „Identitätsverweigerer“ betroffen. Bei Letzteren scheint die Lage nicht immer klar zu sein: So wurde ein Mann nach Afghanistan abgeschoben, der dort noch nie gewesen ist, wie seine Berliner Anwältin der „Taz“ sagte. Auch weitere Fälle sind bekannt. Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat hält die weitgefasste Auslegung der Kategorie „hartnäckige Identitätsverweigerer“ für unverhältnismäßig, da viele im Iran geborene Afghanen keine Identitätsnachweise haben: „Die Politik muss klarstellen, was genau damit gemeint ist, damit nicht doch wieder jeder Afghane abgeschoben werden kann.“
Was Geflüchtete besorgen müssen, die keine gültigen oder anerkannten Papiere, spricht eine Geburtsurkunde, vorlegen können, ist eine sogenannte „Tazkira“, einen Ersatznachweis für die Identität. Diese wird nur in Kabul ausgestellt. Das heißt also, man müsste dorhin, oder einen Verwandten mit einer Vollmacht ausstatten. In das Land der Staatsangehörigkeit darf man als Asylsuchende oder Asylsuchender nicht, sonst erlischt der Asylanspruch. Also muss man es über eine Vollmacht versuchen. Das geht nur, wenn man noch männliche, gut vernetzte Familienangehörige vor Ort hat. Frauen benötigen zur Beantragung der Tazkira die Begleitung eines männlichen Verwandten.
Es lässt sich festhalten: Personen, die nicht nachweisen können, dass sie aus Afghanistan kommen, werden eben dorthin abgeschoben. Ich finde das nicht gerade logisch.
Seit einiger Zeit macht das Gerücht die Runde, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die deutsche Regierung würden eine „flüchtlingsfreundliche“ Politik betreiben. Das Gegenteil ist der Fall. Das war vielleicht mal so, vor einigen Jahren, und wenn überhaupt, dann nur kurz. Die AfD behauptet, Merkel habe während der „Flüchtlingskrise“ Rechtsbruch begangen, als sie „Ausländer ins Land geschleust“ habe. Dass bei den Abschiebungen („Rückführungen“) dieser „Ausländer“ Rechtsbrüche vorliegen könnten, interessiert die AfD nicht.
Gesetze bestehen aus Sprache, diese steht in ihrer Bedeutung nie vollständig still. In der Sprachphilosophie gibt es den Spruch: Das deutsche Grundgesetz ist das am meisten interpretierte Buch des Landes – weit vor Kafkas Romanen. Es gibt im Grunde keine feststehenden Gesetze, sondern nur deren Auslegungen. Die Frage ist, wer interpretieren darf.
An besagtem Tag vor nicht allzu langer Zeit führte ein Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Innensenator Geisel durch die DRK-Notunterkunft in Karlshorst. Nach dem offiziellen Part zog mich der Mann vom DRK beiseite und bekundete seine Sympathie zu „den Rechtspopulisten“ – denn diese hätten ja Recht in so mancherlei Dingen. Er blickte nahezu neidisch auf das Kantinenessen der Geflüchteten, als habe er selbst Hunger. Es sah gut aus: Kartoffeln mit Hähnchenkeule und Salat. Getränke und Brot gab es auch. Er meinte, die Leute hätten es ganz schön gut hier. Ich sagte dann so etwas wie: „Ja, kann sein. Aber warum sollte es auch anders sein?“
Der Mann vom DRK meinte, deutsche Hartz-IV-Empfänger hätten es in materieller Hinsicht nicht so gut wie diese Geflüchteten. Eine Küche oder ein Bad haben die Bewohner*innen in ihren Gruppenzimmern übrigens nicht, die Zimmer dürfen nicht abgeschlossen werden. Die Toiletten und die Duschen befinden sich außerhalb der Gebäude in Containern. Mal Hand aufs Herz: Bei all dem Unrecht und bei all der Missachtung, die Empfänger*innen von Sozialleistungen in Deutschland erleben: Würden Sie mit einem oder einer Geflüchteten tauschen wollen?
Robert Klages ist freier Mitarbeiter beim Tagesspiegel. Schreibt ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf Facebook und Twitter und Instagram. Einblick in seine literarischen Bemühungen findet ihr auf Robert-Klages.de. Am morgigen Dienstag liest er bei der Lesebühne „LSD – Liebe Statt Drogen“.