Intro
von Robert Klages
Veröffentlicht am 08.01.2018
ganz Deutschland wirft derzeit einen angestrengten Blick auf den Prenzlauer Berg, den der selbsternannte CSU-Che-Guevara Alexander Dobrindt als Keimzelle einer linken Diktatur betrachtet und mit seiner bayerischen Splitterpartei für den Konservatismus zurückerobern will. (So wie Dobrindt ein „Meister der Überspitzung“ sei, erlaube ich mir das auch.)
Zum Prenzlauer Berg will Lichtenberg nicht werden. Klar, die schicken Cafés und Restaurants, das hat was. Da ist schon mehr los. Aber zu welchem Preis? Hohe Mieten und laute Tourist*innen. Und was hat man schon von einem guten Restaurant vor der Haustür, wenn man sich kaum leisten kann, dort zu essen? Oder wenn man sich am Ende gar nicht mehr leisten kann, dort zu wohnen.
Die Politk in Lichtenberg ist mit einem Kampf um den Erhalt des Status quo beschäftigt. Mehr dazu hab ich hier aufgeschrieben. In Lichtenberg wie in ganz Berlin fürchten viele Mieter*innen, Gewerbetreibende und Künstler*innen ihre Verdrängung. Diese Angst lässt die Stadt stagnieren. Dabei sollte es eigentlich darum gehen, die Kieze zu verbessern und sich Gedanken über das Zusammenleben und die Gestaltung der sozialen Räume zu machen.
Doch wer mit dem Kampf für den Erhalt der eigenen Existenz beschäftigt ist, stellt solche Fragen erst gar nicht und ist zufrieden, wenn alles beim Alten bleibt. So wären es auch die Mieter*innen der Hauptstraße 1, direkt am Ostkreuz. Die Mietverträge im gesamten Haus wurden nicht verlängert – jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Und hier sieht eine Anwältin eine Möglichkeit, die Mieter*innen im Haus zu halten, bis die angekündigte Abrissbirne wirklich anrückt, wie das „Neue Deutschland“ schreibt. „Es ist immer wieder Praxis von EigentümerInnen, den Mietern vorzutäuschen, dass bald abgerissen wird, um sie so zu einem schnellen Auszug zu bewegen“, sagt Claudia Engelmann von den Linken.
Engelmann sieht hier auch den Bezirk in der Pflicht, die Anwohner*innen über solche Tricks zu informieren und über ihre Rechte aufklären. Die Mieter*innen in der Hauptstraße 1 g – i haben mehrere Hausversammlungen einberufen und sich selber über ihre Rechte informiert. Das alles ist wohl notwendig, nur für den Erhalt des Status quo. Toll wäre doch, wenn man sich sicher fühlen könnte und derartige Hausversammlungen veranstalten könnte, um beispielsweise das Zusammenleben im Haus zu bereden, gemeinsame Veranstaltungen zu planen oder dergleichen.
Aktive Anwohner*innen aus u. a. dem Kaskelkiez erzählen mir, dass sie gerne ihre Umgebung, ihren Kiez mitgestalten und schöner machen würden. Aber sie fürchten, dass dieser dann „verkauft“ würde, wenn er attraktiver geworden ist. Dass Immobiliengesellschaften darauf aufmerksam werden und große Geschäftsketten.
Aufgabe der Politik sollte es sein, dem Bürger*innen die Angst vor der Verdrängung zu nehmen und gleichzeitig Zugezogene willkommen zu heißen. Das Programm scheint eigentlich klar: Alte Wohnungen erhalten und neue bauen. Doch die „Nachverdichtung“, der Neubau von Wohnungen in Freiflächen, macht die Stadt enger – und das missfällt so manchen Anwohner*innen. Die „Süddeutsche Zeitung“ spricht sogar von einer „Identitätskrise“ Berlins. Die Zeitung schreibt auch, der Immobilienmarkt lasse viele Menschen verzweifeln. Der Staat müsse intervenieren. Wohnen sei die „entscheidende soziale Frage“.
Robert Klages ist freier Mitarbeiter beim Tagesspiegel. Schreibt ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf Facebook und Twitter und Instagram. Einblick in seine literarischen Bemühungen findet ihr auf Robert-Klages.de.