Intro

von Robert Klages

Veröffentlicht am 03.09.2018

na, schon auf dem Weg nach Chemnitz? Um 17 Uhr geht es doch los mit der „Wir sind mehr“-Veranstaltung! Nein? Ich auch nicht. Arbeit? Ja, ich auch. Keinen Bock? Schade, aber auch in Ordnung. Ich mache mal einen Vorschlag: Wir danken den Leuten, die für ein buntes Chemnitz auf die Straßen gehen und kämpfen einfach von zu Hause gegen Rassismus. Denn zum einen versammelten sich die Neonazifratzen ja nicht nur unter dem Marx-Kopf in Sachsen. Die waren ja zuvor in u. a. Spandau und Lichtenberg unterwegs. Kiez-Arbeit vor der eigenen Haustür ist wieder mal wichtiger denn je geworden.

Zum anderen gefallen wir weißen Demokrat*innen uns sehr darin, laut „Nazis raus“ zu rufen oder in den sozialen Netzwerken zu posten, wenn diese mal wieder irgendwo sichtbar geworden sind. Wir tun das auch für uns selbst, um zu zeigen, dass wir keine Rassist*innen sind. Aber da muss ich euch enttäuschen: Wir Weißen sehen nur den „expliziten Rassismus“, sagt die Soziologin Robin DiAngelo im Zeit-Interview. Rassismus äußert sich nicht nur durch aktive Taten. Es ist etwas, das tief in uns steckt.

„Weiße Linke und Liberale können oft selbstgefällig sein, weil wir denken, dass wir schon alles wissen über Rassismus, dass wir uns daher nicht rassistisch verhalten und nichts mehr lernen können. Deshalb sind wir nicht offen für Diskussion“, so DiAngelo. „Und weil unsere Identitäten so tief verbunden sind mit der Idee, progressiv und links zu sein, können wir noch ablehnender reagieren, wenn jemand suggeriert, dass wir uns rassistisch verhalten.“ Womp! Directly in our faces, würde ich sagen. In diesem, aber auch nur in diesem Sinne, ist der Satz „Antifaschisten sind auch Faschisten“ vielleicht zutreffend. Und: doch doch, wir sollten „radikaler“ werden – gegen uns selbst und unsere etablierten Vorstellungen von Rassismus und Gleichheit. Aber mal unabhängig davon:

Während die Nazis „Ausländer raus“ bölken, wirft der Staat tatsächlich Ausländer aus Deutschland raus. Der Rechtsstaat schickt fast täglich Menschen dorthin zurück, wo sie hergekommen sind. Wenn nötig, mit körperlicher Gewalt. Er vollzieht, was die Nazis in Chemnitz fordern. Rassist*innen sitzen in unseren Ämtern, in den Gerichten, in den Behören, in den Schulen und in den Redaktionen. In der Politik wird nicht „Ausländer raus“ gerufen. Es heißt: „Die Verfahren der Rückführungen müssen beschleunigt werden.“ Institutioneller Rassismus wird von den regierenden Parteien mitgetragen und immer wieder etabliert. Auch wird dieses Land nicht von einer „Flüchtlings-Kanzlerin“ regiert. Die Asylgesetze wurden verschärft, und das spürt man – sagte auch ein „Flüchtlings-Helfer“ den „Tagesthemen“ (Ab Minute 5).

Ich bin übrigens dafür, keinen rauszuwerfen: Geflüchtete nicht, aber auch keine Nazis. Das Problem Rassismus in Deutschland gehört hier geklärt. Wenn nicht jetzt, wenn nicht wir, wann sonst? Ein weiteres Jahrzent voll mit Rassismus übersteht Europa nicht. Wir müssen nicht mehr werden. Sondern weniger. Weniger Rassist*innen. In Chemnitz, in Lichtenberg, überall.

Robert Klages ist freier Mitarbeiter beim Tagesspiegel. Schreibt ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf FacebookTwitter und Instagram zu finden.