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von Robert Klages

Veröffentlicht am 26.11.2018

bekommt ihr auch Mails von „Campact“? Eine Plattform, auf der Petitionen für oder gegen diverse Dinge verbreitet werden können. Meistens klicke ich auf löschen, doch am Donnerstag … stop …“Lichtenberg liegt am Meer“? Was ist denn das? Es handelt sich um eine Petition gegen die Bebauungspläne am Ostkreuz. Denn dort, wo Wasser ist, tümmeln sich die Immobilienhaie besonders gern. „Der Berliner Bezirk Lichtenberg könnte bezahlbare Wohnungen schaffen. Stattdessen soll ein Aquarium entstehen“, heißt es in der Mail. Gemeint ist „Coral World“, das hier. Hintergründe hier und hier und hier. Die Petition hat bereits fast 30.000 „Unterschriften“. Es ist nicht die einzige Petition dieser Art. Hier ein Überblick.

Für Bezirksbürger*innenmeister Michael Grunst (Linke) steht „Coral World“ nicht zur Disposition. Anders die Eigentumswohnungen. Die Petition versucht, „Coral World“ noch zu kippen und den Bau zu verhindern. „Ich bin mir sicher, dass dieser Ort anders genutzt werden kann“, schreibt ein Anwohner. Ja, das könnte er: Wohnungen, Ateliers, Freiflächen, Parks, Schwimmbäder für Alle – die Wünsche sind vielfältig. Es wäre realisierbar: Anstatt eine stadteigene Fläche für einen Spottpreis (20 Millionen) an einen Investor zu verkaufen, hätte man Platz für allerlei Dinge gehabt, mietpreisgebundene Wohnungen zum Beispiel. Das Grundstück gehört(e) dem Bezirk und dem Land.

Der Vertrag mit dem Betreiber von „Coral World“ ist in der letzten Wahlperiode in der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses geschlossen worden. Im Vertrag steht auch: Vorbehaltlich eines Beschlusses des Bebauungsplans (B-Plan). Diesem muss die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) erst noch zustimmen – was im Januar geschehen könnte. Die Millionen haben noch nicht das Konto gewechselt. Die Verträge sind erst rechtswirksam, wenn der B-Plan beschlossen wird. Wird dem B-Plan nicht zugestimmt, gehören die Flächen wieder dem Bezirk und dem Land. Man könnte nochmal überlegen, was hier wirklich benötigt wird oder gebaut werden könnte. „Coral World“ könnte vielleicht an einem anderen Ort entstehen.

„Berlin den Berlinern, wir haben schon genug Hotels“, kommentiert jemand unter der Petition. (Auch der Bau eines Hotels ist geplant.) Das erinnert leider zu sehr an „Deutschland den Deutschen“. Berlin sollte weiterhin ein offener Ort für jede*n sein. Es geht nicht darum, Tourist*innen fernzuhalten, sondern um eine Baupolitik, die die Stadt verengt und teurer macht, anstatt sie zu erweitern und sozialer zu gestalten.

Ein Touristenparadies wie „Coral World“ dürfte eigentlich kein Problem sein. Sowas kann es gerne geben in einer Stadt wie Berlin. Eigentlich sollte es ebenso willkommen sein wie ein Google Campus. Doch bevor man Platz an diese Projekte verschenkt, sollte man an Wohnungen, Kitas, Schulen, Freiflächen und Räume für Entfaltung denken.

Die Prioritäten müssen klar sein. In einer Stadt, in denen die Bedürfnisse der Bewohner*innen an sozialem Leben und Wohnraum gedeckt sind, beschwert sich niemand über Großbauprojekte. Aber unter den Mieter*innen in Berlin herrscht Angst: Wann wird mein Haus verkauft, wann meine Miete erhöht? Es könnte jeden Tag soweit sein. Man muss finanziell mithalten können und immer schneller laufen im Hamsterrad der kapitalistischen Stadt. „Wohnst du noch, oder zitterst du schon?“, ist derzeit auf einem Plakat an der Karl-Marx-Allee zu lesen. (Neuigkeiten hier)

Was Berlin bräuchte, wäre ein „situativer Urbanismus“. Eine Begrifflichkeit der Situationist*innen (gerade ist eine Ausstellung im Haus der Kulturen), deren Ziel der Entwurf von einem Raum ist, der wiederum zur Produktion von Räumen anregt: eine Raumproduktion zweiter Ordnung. Die Bürger*innen sollen einbezogen werden in die Entwicklung der Stadt. In etwa so, wie es beim ehemaligen Haus der Statistik am Alex geschieht. (Hier ein Blick von innen nach außen.) Das Areal am Rummelsburger See steht größtenteils leer, unbebaut. Warum nicht auch hier eine Werkstatt einrichten und Bürger*innen einbeziehen, wie am Haus der Statistik? Berlin sollte lernen, Raum zu vermehren. Wir wissen alle, was passiert, wenn es bei Tetris zu schnell wird. Tilt.

Robert Klages ist freier Mitarbeiter beim Tagesspiegel. Schreibt ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf FacebookTwitter und Instagram zu finden.