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von Robert Klages

Veröffentlicht am 11.03.2019

„Gewerbegebiet“ oder „gewerblich geprägtes Gebiet“? Das ist die Frage im Gleisdreieck, die auch vor Gericht behandelt wurde. Im Oktober letzten Jahres hatte ich einen Artikel über die Entstehung eines dortigen Hausprojekts verfasst. Baustadträtin Birgit Monteiro (SPD) sprach mir gegenüber von einem „Gewerbegebiet“. Wohnen sei dort nicht zulässig. Kurz nach Erscheinen des Artikels meldete sich der Anwalt eines Anwohners bei mir: Das sei kein Gewerbegebiet. Wohnen könne hier durchaus zulässig sein. Denn wenn es ein Gewerbegebiet sei, würde sein Mandant dort unter Umständen illegal wohnen. Dieser bezichtigt Monteiro der Lüge, denn sie wisse ganz genau, dass es kein Gewerbegebiet sei.

Ich schickte dem Mann das Statement von Baustadträtin Monteiro, die so wörtlich auf meine Anfrage geantwortet hatte: „Ja, das ist ein Gewerbegebiet. Wohnen ist dort nicht zulässig.“ Ich erklärte zudem, dass ich auch einige Bezirkspolitiker*innen, das Bezirksamt sowie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung telefonisch nach dem Gebiet gefragt hatte.

Die Antwort war stets in etwa: Oh, das ist doch ein Gewerbegebiet, da darf man nicht wohnen. Oder? Aber da müssen Sie Frau Monteiro fragen. Was ich ja bereits gemacht hatte. Diese hatte mir zusätzlich zu dem Satz „Ja, das ist ein Gewerbegebiet“ geschrieben, dass sie mir noch mehr zu dem Thema schicken werde. Zwei Tage später folgten weiterführende Erklärungen, die ich auch für den Artikel verwendete, die aber die Aussage mit dem Gewerbegebiet weder zurücknahmen noch sich auf diese Aussage bezogen.

Der Anwohner und sein Anwalt klagten nun gegen Monteiro auf Unterlassung der Aussage, dass es ein Gewerbegebiet sei. Denn die Stadträtin selbst spreche in anderen Fällen von einem „gewerblich geprägtem Umfeld in einem unbeplanten Gebiet.“ Und ein unbeplantes Gebiet kann kein Gewerbegebiet sein. Es könnte allerhöchstens ein „faktisches Gewerbegebiet“ sein, was definitiv nicht gleichzusetzen ist mit einem Gewerbegebiet.

„Gewerbegebiet“ ist ein feststehender Rechtsbegriff, genau definiert in § 8 BauNVO. Wohnen ist demnach dort verboten (siehe jedoch: „Ausnahmen“). Bei der Wortwahl „gewerblich geprägt“ handele es sich um nichts anderes als eine Wertung, so der Anwalt des Anwohners.

Die Gegenseite berief sich nun auf meinen Zeitungsartikel, in dem es heißt, es sei ein „Gewerbegebiet“. Aber gegen genau diese Aussage von Monteiro klagten der Anwalt und sein Mandant auf Unterlassung – am Ende verloren sie jedoch vor dem Verwaltungsgericht und der Anwohner muss die Prozesskosten tragen. Auch sein Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde abgelehnt.

Als eine Begründung gibt das Gericht an, und jetzt kommts: Den Aussagen der Stadträtin sei nicht zu entnehmen, dass es sich um ein Gewerbegebiet handele. „Vielmehr beschreibt die Aussage die bisherige Nutzung und lässt erkennen, welche Nutzungsform die Stadträtin für geeignet hält.“ Eine Verpflichtung, diese Aussage zu unterlassen, wurde vom Gericht dennoch abgewiesen. Denn: Es bestünde keine Wiederholungsgefahr. Es sei „nicht ersichtlich, dass die angegriffenen Äußerungen künftig wiederholt werden könnten“, heißt es im Urteil.

Es sei „nicht zu erwarten, dass sich kurzfristig derselbe oder ein anderer Journalist mit einer identischen Anfrage an den Antragsgegner wendet und dessen Anfrage in gleicher Weise beantwortet werden würde.“ Daraufhin habe ich eine identische Anfrage an Stadträtin Monteiro geschickt. Und siehe da: sie wurde nicht in gleicher Weise beantwortet.

Frau Monteiro spricht nicht mehr von „Gewerbegebiet“. Also nochmal nachgefragt, sie könne ja auch mit Ja oder Nein auf die Frage antworten, ob es sich bei dem Gebiet um ein Gewerbegebiet handele.

Dies sei nicht möglich, antwortet die Stadträtin. Sie werde sich in dieser Angelegenheit nur noch mit definierten Rechtsbegriffen äußern, da sie „weitere Klageverfahren vermeiden“ möchte. So wie „Gewerbegebiet“ ebenfalls ein definierter Rechtsbegriff ist (s.o.). Können wir also davon ausgehen, dass es sich beim Gleisdreieck um kein Gewerbegebiet handelt? Ist hier Wohnen nun erlaubt?

Monteiro schreibt weiter, die Baunutzungsverordnung (BauNVO) sei nur für Bebauungspläne relevant. Auf dem Gleisdreieck liege jedoch gar kein Bebauungsplan. Daher habe die BauNVO für das Gebiet keine Relevanz. „Im Gleisdreieck werden Bauvorhaben nach §34 BauGB bewertet. Der sagt aus, dass man auf seiner Grundlage nur etwas bauen darf, was es in der Umgebung sowohl in der baulichen Art als auch in der Nutzungsart schon Vergleichbares gibt und dies auch genehmigt ist. Im Gleisdreieck gibt es diverse genehmigte gewerbliche Nutzungen. Sie überwiegen.“

Monteiro sagt auch (nach einer erneuten Nachfrage): „Es ist nirgends festgelegt, ab welchem Gewerbeanteil ein Gebiet als gewerblich geprägt gilt. Das liegt im Auge des Betrachters.“

Als Journalist würde ich „bestimmt eine passende Bezeichnung für ein Gebiet finden, das diesen Charakter hat“, schreibt mir Monteiro. Vielleicht kämpft sie auch hier gegen die Gentrifizierung von Gewerbe, wie wir es aus der Herzbergstraße kennen. Und ich muss die ganze Zeit an eine andere Diskussion um die Wortwahl denken: „Krieg“ oder „kriegsähnliche Zustände“.

Vor dem Erscheinen des Artikels über das Gleisdreieck hatte ich mehrfach über die Herzbergstraße berichtet: Monteiro verbietet hier den Bau einer Kunsthalle, weil es eben ein Gewerbegebiet sei. Hierzu tagte auch mehrfach ein runder Tisch mit Vertreter*innen des Senats etc. Monteiro steckte dafür viel Kritik ein, im Nachgang unterhielt ich mich mit ihr mehrfach zu dem Thema.

Am 19. September 2018 folgten dann meine Fragen bezüglich des Gleisdreiecks. Ebenfalls an diesem Tag diskutierten wir über die Herzbergstraße. Am 20. September erschien ein Artikel von mir zum Thema Herzbergstraße mit einem eigentlich internen Schreiben von Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) an das Bezirksamt Lichtenberg. Der Vorwurf hier lautet, ob Monteiro dieses Schreiben dem Runden Tisch vorenthalten wollte. Über meine Veröffentlichung des Schreibens war sie womöglich nicht so erfreut. Sie fragte mich auch, woher ich dieses hätte. Ich gab keine Quellen preis. Monteiro sprach auch von einer Kampagne gegen ihre Person vonseiten der Linken, der ich mich anschließen würde. Am 21. September um 12.36 Uhr trafen dann die weiterführende Antwort von Monteiro auf meine Fragen zum Thema Gleisdreieck ein.

Zehn Minuten später, um 12.47 Uhr, erhielt ich eine Nachricht von ihr: „Würden Sie mir als unabhängiger Berater empfehlen, Sie zukünftig anzulügen, wenn Sie mich etwas fragen? Ehrlichkeit scheint nicht in unsere Zeit zu passen.“ Ich antwortete: „Ich als Journalist würde Ehrlichkeit immer empfehlen. Wird sich am Ende durchsetzen.“ Und das hoffe ich auch weiterhin.

Meinen Artikel über das Gleisdreieck habe ich geändert. Hier nochmal nachzulesen. Laut dem Flächennutzungsplan ist das Gebiet eine „gewerbliche Baufläche“. Eine weitere Differenzierung ließe sich nicht erkennen, schreibt mir auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen auf eine erneute Anfrage. Erst mit der verbindlichen Bauleitplanung könnten die Nutzungsmöglichkeiten der Flächen entwickelt werden – und dies obliege dem Stadtplanungsamt Lichtenberg.

„Nur dort kann gesagt werden, ob Wohnen zulässig ist oder nicht“, so eine Senatssprecherin. Nur der Bezirk könne mir eine Antwort geben. Auch, wenn Senatorin Katrin Lompscher (Linke) die Problematik in dem Gebiet kenne, bleibe die Zuständigkeit des Bezirks bestehen. Auf eine Mail, die ich ans Stadtplanungsamt Lichtenberg schreibe, antwortet mir Monteiro: „Anfragen, die meine Abteilung Stadtentwicklung, Soziales, Wirtschaft und Arbeit betreffen, bitte immer an mich und nicht an die Mitarbeiter selbst.“ Ich warte übrigens bereits seit einigen Wochen auf Antworten der Stadträtin Monteiro bezüglich des Dong-Xuan-Centers in der Herzbergstraße.

Robert Klages ist freier Mitarbeiter beim Tagesspiegel. Schreibt ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf Facebook, Twitter und Instagram zu finden.