Intro
von Robert Klages
Veröffentlicht am 29.04.2019
besser falsch bauen als gar nicht bauen. So könnte der neue Wahlspruch der Linken heißen, die im Abgeordnetenhaus gespalten sind, was den Bebauungsplan für das Gebiet Ostkreuz/ Rummelsburger Bucht angeht. „Es stehen Kita-Plätze, Grün und preiswerte Wohnungen gegen Coral World und teure Mietwohnungen. Ich votiere auch dafür, diesen B-Plan abzulehnen. Mir reicht das nicht. Allerdings heißt das mind. 5 Jahre Stillstand“, schreibt Tobias Schulze, stellvertretender Vorsitzender der Linken. Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung der Linken, sieht das anders:
„Stadt wird nur 1 Mal gebaut und Beton vergossen für mehr als 100 Jahre. Wir brauchen Zeit und den Neustart, denn das hier ist jetzt schon ein politisches Grab. Rückabwicklung der Verträge jetzt! Schadensbegrenzung & Widerstände ernst nehmen.“ Katrin Lompscher, Senatorin der Linken für Stadtentwicklung, hatte sich für eine schnelle Festsetzung des derzeitigen Bebauungsplans ausgesprochen, forderte die Investor*innen aber dazu auf, mehr Sozialwohnungen zu bauen. Letzte Woche forderte Lompscher erneut die zügige Festsetzung, sagte aber auch: „Würde man die Entwicklung heute anfangen, sähe sie anders aus.“
Was ist daraus geworden? Derweil liegen, laut Schulze, keine gesicherten Zusagen von allen Investor*innen zu geförderten Wohnungen vor. Aber Schulze ist trotzdem für den B-Plan? Er schrieb dann noch: „Die HoWoGe baut 80 von 170 Wohnungen preisgebunden, also für 6,50 Euro. Die restlichen Wohnungen bis 10 Euro. Das ist in der Kooperationsvereinbarung so für alle städtischen WBG festgelegt. Bei den Privaten gibt es Zusagen über 25 %, aber nicht von allen.“
Am Montag sagte mir Schulze noch, er könne zwar verstehen, dass viele BVV-Mitglieder nach jahrelangen Beteiligungsprozessen vorankommen wollen. „Aber wir haben einfach eine andere Situation. Ich hoffe, dass eine Verschiebung der Abstimmung erreicht werden kann, um den Dialog mit den Kritiker*innen des Bebauungsplans und mit der Volksinitiative führen zu können.“
Dass die Linke hier gespalten ist, zeigt auch ein Brief, den junge Linke (im Jahr 1990 noch nicht zur Schule gegangen) an Lichtenbergs Bürger*innenmeister Michael Grunst (Linke) und die BVV-Lichtenberg geschrieben haben. „Wir schreiben euch aus einem einfachen Grund. Ihr kennt ihn. Die ganze Stadt kennt ihn. Weil der Bebauungsplan Ostkreuz, mit dem in der Rummelsburger Bucht jahrzehntelanges politisches Versagen zementiert werden soll, in aller Munde ist.“ Hier vollständig lesen. „Wir bitten euch hiermit, von dem Vorhaben, den Bebauungsplan in einer Sondersitzung am Montag zu beschließen, abzurücken. Denn hier geht es um die Glaubwürdigkeit für unsere Partei.“
Die geplante Beschlussfassung sei eine „Ohrfeige für alle, die sich tagtäglich für ein anderes, demokratisches, alternatives, buntes und soziales Berlin einsetzen – ob in oder außerhalb unserer Partei.“ Unterschrieben haben den Brief mehr als 64 Linke aus verschiedenen Ortsverbänden, darunter auch Anika Taschke, Bezirksverband Lichtenberg. „Der Bebauungsplan ist mittlerweile zum Symbol für eine veraltete, investorenorientierte Stadtpolitik geworden.“
Die Initiative „Rummelsburger Bucht retten“ hat derweil 20.000 Unterschriften für eine Volksinitiative gesammelt und will sie am Dienstag übergeben. Grunst antwortete am Sonntag auf seinem privaten Facebook-Account den Genoss*innen gemeinsam mit den Linken-Fraktionsvorsitzenden Norman Wolf und Kerstin Zimmer. Sie schreiben, es würden keine Eigentumswohnungen an der Bucht gebaut werden. Außerdem sei ein Ärztehaus der Streletzki-Gruppe „vorgesehen“. Achtung: Vorgesehen heißt nicht, dass es bereits feststeht. Vonseiten der Streletzki-Gruppe hieß es zuletzt mir gegenüber, klar, man wolle das bauen und prüfen, ob es möglich ist.
Die Kaufverträge mit den verschiedenen Investoren seien in den Jahren 2016 und in 2017 mit dem Senat geschlossen und sind durch die Senatsverwaltung Finanzen genehmigt und vom Abgeordnetenhaus vollzogen worden, so Grunst. Die Verträge seien für das Land rechtlich bindend. „Die letzten Arrondierungsflächen wurden 2017 vom Land Berlin an die Padovicz Gruppe veräußert. Allen Grundstücksgeschäften haben alle Parteien im Abgeordnetenhaus (auch Linke und B90/Grüne) zugestimmt.“ Eine Schule sei am Standort Hauptstraße 9 geplant, die 2023 den Betrieb aufnehmen solle.
Sind die Verträge rückabwickelbar? „Eine Rückabwicklung der Verträge ist nicht möglich, die durch das Land Berlin abgeschlossenen Vereinbarungen sind wirksam“, schreibt Grunst. Im Newsletter der Lichtenberger Linken steht allerdings, die Verkäufe könnten rückgängig gemacht werden, das könne „nur das“ Abgeordnetenhaus.
Vonseiten der Grünen heißt es: „Es schafft kein Vertrauen in Stadtentwicklungspolitik, wenn Parteien die Uraltplanung zur Rummelsbucht abnicken, ohne zeitgemäßere Alternativen zumindest mal seriös zu prüfen.“ Das sagt Daniel Wesener, für die Grünen im Abgeordnetenhaus. Seine Fraktion hatte einen Antrag beschlossen, die Bebauungspläne zu überprüfen. Die Grünen würden sich dadurch selbst korrigieren, hatten sie doch einst dem Verkauf der Grundstücke zugestimmt. Dem Antrag folgten Teile der Linksfraktion im AGH, aber auch, da die SPD nicht mitmachen wollte, beschloss man den Antrag nicht. Die Koalition also uneins.
Abgestimmt wird allerdings ohnehin im Bezirk, heute (Montag) Abend, 20 Uhr, Sonder-BVV, einberufen durch die CDU-Fraktion. Hier nochmal alle Infos. Kurzfristig wurde die Veranstaltung verlegt und findet nun im Audiomax (Gebäude D) der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) statt. Dort stünden 70 Plätze zur Verfügung, sagt mir das BVV-Büro. Die Polizei werde vor Ort sein, eine Demo wurde angemeldet. Auch ein Livestream, wie bei einer BVV üblich, sei angedacht und man hoffe, dass er funktioniere.
Die HTW sagte für Montag nach 16 Uhr alle Lehrveranstaltungen ab. In einer Email an Studierende, Lehrende und Beschäftigte werden diese darum gebeten, den Campus nach 16 Uhr zu verlassen. „Eine schlichte Vorsichtsmaßnahme“, sagte mir die Pressestelle der HTW auf Nachfrage.
Für 18 Uhr wird zu einer Demonstration gegen den Bebauungsplan aufgerufen. „Wir rufen dazu auf, die Sonder-BVV massiv zu stören“, heißt es auf Indymedia. „Kommt in Kleingruppen zum Campus der HTW und verschafft eurem Unmut Ausdruck: macht den Weg für die Abgeordneten so beschwerlich wie möglich.“ Hier nochmal die Tagesordnung. Grunst (Linke) kritisierte den Aufruf „zur gewaltsamen Verhinderung von Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung“ als „inakzeptabel“. Auch die Geschäftsstelle seiner Partei wurde wohl mit den Worten „B-Plan=Verrat #BuchtfürAlle“ bemalt.
Auch er ist für die Festsetzung des Bebauungsplans. Immerhin würden auch 140 kommunale Wohnungen auf Lichtenberger Seite gebaut. Bereits am Donnerstag wurde vor dem Stadtentwicklungsausschuss demonstriert. „Reißt ihr unsere Häuser nieder, sehen wir uns in euren wieder.“ Der Ausschuss empfahl mit 14 Ja-Stimmen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), den Bebauungsplan am Montag in der Sonder-BVV anzunehmen.
Immer wieder wird eine Besetzung der Rummelsburger Bucht angekündigt, sollte der Bebauungsplan durchgesetzt werden. Passenderweise ist am morgigen Dienstag das Ende für das Obdachlosencamp auf dem Gelände angesetzt. Elke Breitenbach, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, rief am Montag an und sagte, sie gehe bisher nicht von einer Räumung des Gebiets aus. Das Grundstück sei verkauft und man wisse nicht, was der Besitzer machen wird. Am Dienstag würden die Sozialarbeiter von Karuna e.V. ihre Arbeit dort beenden, mehr sei zunächst nicht geplant.
„Die Leute müssen selbst entscheiden, ob sie dort bleiben oder nicht.“ Es wurden Gespräche angeregt, wie es vor Ort weitergehen soll, zwischen Senatsverwaltung, Bezirk und Karuna. Fünf oder sechs Roma seien in Notunterkünfte untergebracht worden, so Breitenbach. Die Frage sei nur, ob diese auch Leistungsansprüche haben.
Die SPD steht hinter dem Bebauungsplan, twitterte deren Fraktionsvorsitzender Kevin Hönicke. (Bei dem man allerdings nur hoffen kann, dass er nicht nur die Titel der Anträge liest und dann einen von Märchen und Falschmeldungen schwadroniert). Ein Märchen wäre es wohl, wenn die BVV-Verordneten den Bebauungsplan noch ablehnen sollten. Aber wer weiß, welche Verordneten der Fraktionslinie nicht folgen oder sich einfach enthalten. Oder vielleicht denkt sich die AfD noch, dass man ja auch gegen einen Bebauungsplan sein könnte, wenn die von den Linken und der SPD dafür sind. Überraschungen soll es geben.
In diesem Fall müsste die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (Lompscher, Linke, siehe oben) den Fall wohl an sich ziehen – dann müsste sich die Koalition im AGH wirklich einig werden und darüber entscheiden. Oder, man lässt einfach alles so, wie es ist. „Warum wird immer so getan als wenn das ungenutze Fläche sei?“, fragt der Twitter-Account „#besetzen“. Ich bin gespannt, wie es heute Abend läuft und halte euch gerne via Twitter auf dem Laufenden. Ich hoffe, es bleibt friedlich.
Robert Klages ist freier Mitarbeiter beim Tagesspiegel. Schreibt ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf Facebook, Twitter und Instagram zu finden.