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von Robert Klages

Veröffentlicht am 24.06.2019

bis vor Kurzem zierte das Abbild von DJ-Legende und Lichtenberg-Sohn Paul Kalkbrenner die Wand Richtung Gleisdreieck, einem gewerblich geprägten Gebiet mit Clubs. Kalkbrenner wurde jedoch übermalt und auch das Gleisdreieck wird sich massiv verändern. Die Unternehmensgruppe Padovicz möchte auf dem Komplex Wiesenweg 1-4 ein Bürohaus errichten: bis zu 13 Stockwerke hoch, Tiefgarage für 100 Autos, 35.200 Qm Bruttogeschossfläche, Gewerberäume im Erdgeschoss.

„Das Vorhaben ist noch im Planungsvorlauf und es gibt derzeit noch keine konkreten Anträge“, heißt es im Protokoll der letzten Sitzung des Ausschusses für Ökologische Stadtentwicklung und Mieterschutz, wo über den Fall beraten wird, das nächste Mal am Donnerstag, 27. Juni (öffentlich). Der Ausschuss wird einen Bebauungsplan beschließen, dem dann noch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) und wohl auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zustimmen muss.

„Sollte das Vorhaben so wie aktuell geplant auch umgesetzt werden, müsste die aktuelle Bebauung auf dem Grundstück komplett weichen“, heißt es aus dem Büro von Baustadträtin Birgit Monteiro (SPD). Ihr Stadtentwicklungsamt hat bereits einen „vorhabenbezogenen Bebauungsplan“ erstellt. Der Antragsteller ist die „Lucrum Liegenschaftsgesellschaft mbH“ – ein Teil des Unternehmensnetzwerkes der Padovicz-Gruppe. Diese ist auch Eigentümer des Grundstücks, wie aus dem Protokoll hervorgeht. Gijora Padovicz ist Geschäftsführer von „Lucrum“.

Viele Mieter*innen dort haben wohl lediglich monatliche Mietverträge, die über den Immobilienmakler Tilo Tragsdorf laufen. Auf dessen Website gewerberaumboerse.de werden Pkw-Stellplätze im Wiesenweg „ab sofort“ angeboten. Tragsdorf war bis 2007 Geschäftsführer von „Lucrum“.

Die Gewerberaumbörse ist Teil der „BWP-Projektentwicklung“, welche Fördermittel vom Land Berlin und dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg erhalten hat, wie aus einer kleinen Anfrage aus dem Jahre 2013 des ehemaligen Abgeordneten Martin Delius (Piraten) hervorgeht. Demnach hatte der Bezirk 2002/2003 insgesamt 67.908,28 Euro an die BWP ausgezahlt.

Tragsdorf gilt als rechte Hand von Padovicz in Friedrichshain. Die Padovicz-Unternehmensgruppe ist bekannt für Monats- oder Jahresverträge. Mieter*inneninitiativen kritisieren exorbitante Mieterhöhungen, unnötigen Leerstand und Zwangsräumungen. Einige Mieter*innen aus den rund 200 Padovicz-Häusern in Berlin haben sich zusammengeschlossen und Padovicz zuletzt einen satirischen Preis verliehen.

Die Pressestelle des Bezirksamtes Xhain sagte auf Nachfrage, es bestehe keine Zusammenarbeit zwischen Tilo Tragsdorf/BWP und der Wirtschaftsförderung des Bezirksamtes. Die Pressestelle der Senatsverwaltung schrieb, man könne ausschließen, dass die Gewerbebörse aktuell gefördert werde. Nicht auszuschließen sei aber eine Förderung bis ca. 2006/2007 mit Mitteln der „Sozialen Stadt“ und „Urban II“ – beides über EFRE (Europäischer Fond für regionale Entwicklung) finanziert –  im Rahmen des damaligen Quartiermanagement Boxhagener Platz. Tragsdorf gehört zum Quartiermanagement-Team vom Boxi, das dort auch die Stände für die Wochenmärkte vermietet.

Im Gleisdreieck am Wiesenweg ist noch einiges mehr los. Neben dem Polygon, das erst letztes Jahr eröffnet hat, gibt es das „Void“ zum Beispiel. Oder eine Bulli-Werkstatt, eine Tischlerei, einen Trabi-Verleih und den „Crash Room“, Deutschlands ersten Wutraum. Hier kann man Möbel, Haushaltsgegenstände oder Fernseher mit Hämmern, Äxten oder was auch immer nach Herzensfrust zertrümmern.

Laut Stadträtin Monteiros Büro wäre es möglich, die betroffenen Gewerbe in den geplanten Bürokomplex zu integrieren, was jedoch alleine die Padovicz-Gruppe entscheiden kann. „Baurechtlich stünde dem nichts entgegen, sofern diese ihren aktuellen Umfang auch im Neubau beibehalten.“

Bei der Padovicz-Unternehmensgruppe auf dem Kurfürstendamm war niemand zu erreichen. Tilo Tragsdorf schrieb lediglich zurück, er sei gerade im Urlaub. Oliver Mohns, Mit-Betreiber vom Club Polygon sagte mir, man sei daran interessiert, den Club in das neue Gebäude zu integrieren. Er hat den Vorteil eines Mietvertrages bis 2022. Polygon ist der Nachfolge-Club vom „Kosmonauten“, dort war auch Tragsdorf mal Mit-Geschäftsführer.

Weitere Anrufe ins betroffene Gebiet ergaben: Viele Mieter*innen wissen noch nichts von ihrem „Glück“, oder von einem bevorstehenden Bebauungsplan. Und sie wollen sich auch nicht öffentlich dazu äußern – aus Angst, im nächsten Monat gekündigt zu werden.

„Wir haben den Kapitalismus, es wundert mich nichts mehr, damit müssen wir rechnen in der Stadt der Heuschrecken.“ Der Mieter, der anonym bleiben möchte, hofft, dass ihn sein Vermieter bald über die Ereignisse informieren wird – und dass er noch genügend Zeit haben wird, etwas Neues zu finden.

Doch Padovicz hat ein „beschleunigtes Verfahren“ beantragt. Das hieße:

  • die Durchführung der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit und Behörden sowie sonstigen Träger öffentlicher Belange kann entfallen,
  • die betroffene Öffentlichkeit, Behörden und sonstige
    Träger öffentlicher Belange können eingegrenzt mit verkürzter Fristsetzung beteiligt werden,
  • der Umweltbericht entfällt (das steht alles hier, schwarz auf weiß)

Der „Ausschuss für Ökologische Stadtentwicklung und Mieterschutz“ sieht bisher keine Probleme – außer, dass die Autos schlecht zu dem Gebäude finden könnten, denn das Gebiet sei „verkehrlich“ schlecht erschlossen. Dies müsse man ändern.

Und noch ein kleines Schmankerl: Der Bebauungsplan des Bezirksamts sieht vor, dieses Gebiet zu einem Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO festzusetzen. Dies bedeutet, dort dürfte auch in Zukunft nicht gewohnt werden. Bisher, und das steht auch schwarz auf weiß in dem Entwurf des Bebaungsplans, handelt sich es um eine „gewerbliche Baufläche“ (laut Flächennutzungsplan und laut Stadtenwicklungsplan), bzw. um ein „Gebiet mit gewerblichen Charakter für Ver- und Entsorgungsanlagen“ (laut Bereichsentwicklungsplanung).

Zwar weist der Stadtentwicklungsplan Wohnen für dieses Grundstück und das nähere Umfeld keinen Wohnungsneubau aus (es ist direkt an den Bahnschienen gelegen), aber dass zwischen „Gewerbegebiet“ und „gewerblich geprägt“ ein großer Unterschied liegt, das haben wir bereits hier im Newsletter sowie vor Gericht gelernt. Alles hier und auch hier nachzulesen – denn da gibt es immer noch diesen Gerichtsstreit über genau dieses Gleisdreieck.

Robert Klages ist freier Mitarbeiter beim Tagesspiegel. Schreibt ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf FacebookTwitter und Instagram zu finden.