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von Paul Lufter
Veröffentlicht am 09.09.2019
„Endlich Ordnung auf dem Bahnhofsvorplatz!“, so lautete der Titel einer Pressemitteilung der CDU-Lichtenberg in der vergangenen Woche, nachdem am Donnerstagmorgen ein Großaufgebot von BSR und Ordnungsamt einen Teil des Obdachlosencamps am Bahnhof Lichtenberg geräumt hatte. In der vorangegangenen Woche war bereits angekündigt worden, dass der Bereich links vom Eingang, um die Fahrradständer und den Fahrstuhl, freigeräumt werden soll. Ende August hatte die Bahn den Bezirk sogar darauf gedrängt, den kompletten Vorplatz räumen zu lassen. Am Ende einigte man sich jedoch auf den genannten Bereich. Bereits am vergangenen Montag hatten daraufhin Mitarbeiter*innen des Ordnungsamtes und BVG-Securities Kontakt zu den 12 Obdachlosen aufgenommen und ihnen mitgeteilt, dass sie geräumt werden. Ein Video vom Montag wurde meinem Kollegen Robert Klages zugespielt.
„Ich bin richtig erschrocken und traurig“, hört man darin einen der betroffenen Obdachlosen klagen. Einige von ihnen kommen in dem Video zu Wort. In ihren Äußerungen liegen Trauer, Wut und Hilflosigkeit. Zwar wurde den Obdachlosen gemäß Vorgabe an diesem Tag vermittelt, dass sie nun drei Tage hätten, den Platz zu verlassen, doch waren sich viele sicher, dass sie sofort gehen müssen. Sechs Obdachlose verließen daraufhin das Camp noch am Montag. Bei der Räumung am vergangenen Donnerstag war das Camp bereits verlassen. Die BSR entsorgte alles, was noch da war.
Die CDU ist zufrieden. „Die Räumung des Bahnhofsvorplatzes war unumgänglich“, kommentiert Benjamin Hudler, Vorsitzender der CDU in Friedrichsfelde und Rummelsburg. „Mit der Räumung kommt das Bezirksamt dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen im Kiez nach. Das war dringend notwendig, um Ansehensschäden am Rechtsstaat abzuwenden“, ergänzt der Kreisvorsitzende der Lichtenberger Union, Martin Pätzold.
„Wir sind entsetzt über die erfolgte Räumung von Teilen des Camps und die Vertreibung von Menschen ohne Obdach“, ließen die Lichtenberger Grünen ihrerseits in einer Pressemitteilung verlauten. Dass trotz der klaren Versprechen von Bezirksbürger*innenmeister Michael Grunst (Linke), die Obdachlosen nicht zu vertreiben, jetzt eine Teilräumung erfolgt ist, kritisieren sie.
„Die Energie, die in Forderungen nach Räumung gesteckt wird, wäre in der Verbesserung des Hilfesystems besser angelegt“, so die Grünen mit deutlichem Blick in Richtung CDU. Schließlich würden sich obdachlose Menschen „nach einer Räumung nicht in Luft auflösen, sondern an anderen Orten im Kiez oder an anderen Teilen der Stadt wieder auftauchen“. So sieht es auch aus, denn wie wir erfahren haben, sind vier der Obdachlosen inzwischen am Ostkreuz, während fünf in das andere Lager am Bahnhof Lichtenberg gewechselt sind. Vier der vertriebenen Personen bleiben bislang noch verschwunden.
„Eine Räumung ist keine Lösung“, bestätigt auch BM Michael Grunst. „Diese Menschen einfach wegzuräumen ändert nichts.“ Für das Camp auf der rechten Seite des Eingangs will man deshalb bis zum Ende des Monats eine Ausweichfläche finden, auf der sich die Obdachlosen niederlassen können, ohne Angst vor erneuter Vertreibung.
Jede Räumung bedeutet hohe Verluste für die Obdachlosen. Häufig verlieren sie dabei ihr gesamtes Hab und Gut sowie die sozialen Kontakte, die in den Camps geknüpft wurden. Räumungen kosten sie zudem Kraft und das Leben auf der Straße ist bereits kräftezehrend genug. Es wird nicht einfacher, wenn man sich ständig nach einer neuen Unterkunft umsehen muss. „Wie soll man sein Leben auf die Reihe kriegen, wenn man die ganze Zeit damit beschäftigt ist, eine sichere Bleibe zu finden?“, beschreibt Wajda aus dem Camp am Bahnhof die Situation (Q.: taz).
Die Bewohner*innen des Camps haben deshalb bereits die Initiative ergriffen und eine Liste von neun Freiflächen und leerstehenden Gebäuden erstellt, die sie selbstverwaltet bewohnen wollen. Laut Grunst sind die vorgeschlagenen Flächen jedoch nicht im Besitz des Bezirks. Man prüfe deshalb derzeit eigene Flächen. So genannte „Safe Places“ wären eine Lösung. Also ein kleines Gebiet für Obdachlose, wo diese bleiben dürfen und selbstverwaltet leben können. Die USA machen es in New York und San Francisco vor. Die Obdachlosen empfangen dort neue Obdachlose und zeigen ihnen alles, erläutern die Regeln. In Friedrichshain-Kreuzberg liegt bereits ein Beschluss vor, einen solchen Ort zu schaffen, vermutlich sogar mit „Tiny Houses“, wie der Kollege Robert Klages berichtet. Wegschauen und räumen kann jedenfalls keine Alternative sein.
Richtigstellung: In der Ausgabe unseres Newsletters vom 26.08.2019 berichteten wir über eine Razzia auf der Baustelle des Bauvorhabens B.HUB am Rummelsburger See. Die Ermittlungen richteten sich ausschließlich gegen ein dort tätiges Fachunternehmen. Die Ermittlungen waren zu keinen Zeitpunkt gegen die Streletzki-Gruppe gerichtet.
Paul Lufter ist freier Mitarbeiter beim Tagesspiegel und hat den Großteil seines Lebens in Hohenschönhausen und Lichtenberg verbracht. Fragen, Anregungen, konstruktive Kritik, Wünsche und Tipps bitte an Paul.Lufter@tagesspiegel.de. Ansonsten finden Sie ihn auch auf Twitter.