Intro
von Robert Klages
Veröffentlicht am 09.03.2020
während an der Rummelsburger Bucht schon Tatsachen für die anstehende Bebauung geschaffen werden, diskutieren die Politiker*innen im Abgeordnetenhaus von Berlin (AGH) noch darüber, ob es sich nun um eine gute Bebauung handelt. „Wir erkennen an, dass die vor Jahrzehnten formulierten Planungsziele den heutigen Interessen Berlins zum Teil widersprechen.“ Das sind Worte aus einem Antrag der Koalition aus Linken, SPD und Grünen, den das AGH am Donnerstag beschlossen hat. FDP und AfD stimmten dagegen, die CDU enthielt sich. Hier die vollständige Beschlussempfehlung lesen. Darin heißt es:
„Das Abgeordnetenhaus fordert den Senat auf, bei einer vertraglichen Pflichtverletzung oder der Veränderung der Planungsabsicht der Grundstückerwerber*innen die Rückabwicklung der Kaufverträge zu prüfen. Beim Verkauf von Grundstücken soll das Land Berlin die Möglichkeiten zum Kauf prüfen und ggf. wahrnehmen. […] Wir sehen die jeweiligen privaten Eigentümer in der Pflicht, für eine Ersatzfläche für die Rummelsburger Bucht [gemeint ist wohl die Bar „Rummels Bucht“] und für Ersatzwohnraum für die langjährigen Bewohner*innen der beiden Altbauten an der Hauptstraße sowie der dahinter liegenden Wagenplätze zu sorgen. Senat und Bezirk sollen diese Anstrengungen unterstützen und befördern.“
Die Initiative ist mit den Vorgängen im Abgeordnetenhaus nicht zufrieden: „Gerade in punkto Vertreibung von Wagenplätzen und Kulturorten ärgern wir uns, dass die Regierungskoalition keine Verantwortung für die Suche von Ersatzflächen übernehmen will und die Verantwortung nur auf die Investoren bezieht“, findet Iver Ohm von der Initiative. Die Stadt möge sich beim nächsten Bebauungsplan und der damit verbundenen Vertreibung von kulturellen und sozialen Projekten vorher Gedanken darüber machen.
Der AGH-Beschluss ist nur ein Ersuchen an den Senat. Konkret ändern wird sich dadurch zunächst nichts. Dass sich das AGH überhaupt mit den Plänen für die Rummelsburger Bucht beschäftigte, wäre ohne die Initiative „Bucht für Alle“ nicht möglich gewesen, die 27.000 gültige Unterschriften gegen die Bebauungspläne gesammelt hatte und daraufhin im AGH vorsprechen durfte. Die Initiative hatte den Senat aufgefordert, binnen zwölf Monaten eine Neu-Planung auf den Weg zu bringen, bei der das Gemeinwohl den Vorrang vor Privatinteressen hat. Der Bebauungsplan XVII-4 „Ostkreuz“ müsse bis zu einer Klärung der Änderungen gestoppt werden. Dies wurde jedoch am Donnerstag im AGH erneut abgelehnt. Entstehen sollen neben 170 Wohnungen der Howoge auch Wohnungen von privaten Investor*innen, eine Kita und das umstrittene „Aquarium“ Coral World.
Schlecht, aber nicht zu ändern. So hatte es ja bereits im Januar im AGH geheißen, wie hier im Newsletter berichtet. Die Rummelsburger Bucht wird bebaut wie geplant, auch wenn die Mehrheit der Politiker*innen im AGH diese Pläne für veraltet und nicht angemessen betrachtet. Denn der Beschluss des Bebauungsplans sei rechtlich bindend, hieß es im AGH erneut. Änderungen würden Schadensersatzansprüche von Seiten der Investor*innen nach sich ziehen.
Immerhin will man aus den Fehlern lernen, die an der Bucht gemacht wurden. Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) schlug vor, bei langwierigen Planungen immer mal wieder zu überprüfen, ob die Ziele der Planungen noch zeitgemäß sind. Zudem wurde im AGH gesagt, dass überprüft werden sollte, ob Grundstücke auch zeitnah bebaut werden – spekulativer Leerstand könnte so vermieden werden. Eine Art Ablaufdatum für Bebauungspläne. Auch diese Ideen sind jedoch bisher nur Vorschläge ohne konkrete Festsetzungen.
Einige Abgeordnete sprachen sich für die Bebauungspläne aus. „Wir sind überzeugt, was dort entsteht, wird gut“, so Iris Spanger, SPD-Fraktion, sprechend für die Koalition. Vielleicht fehlte ja doch der politische Wille, die Bebauungspläne noch zu ändern und Verhandlungen mit den Investor*innen aufzunehmen? „Wir werden jawohl noch ein zweites Aquarium in Berlin ertragen“, sagte Stefan Förster (FDP), gemeint ist „Coral World“. Die Politik in Lichtenberg habe nun mal so entschieden, das AGH müsse das so akzeptieren.
„Dieser Konflikt tut weh, aber wenigstens für die Zukunft sollten wir daraus lernen“, sagte Daniela Billig, Sprecherin für Stadtentwicklung der Grünen im AGH. „Es ist unsere Aufgabe, Berlin vor einer blinden Verwertung zu schützen. Es ist ein Fehler, wenn wir Investor*innen auf Gedeih und inzwischen oft sogar Verderb hinterherlaufen. Wir müssen das Selbstbewusstsein haben, im Interesse Berlins Forderungen zu stellen und wir müssen den Mut haben auch mal Nein zu sagen, wenn’s eben nicht passt.“
Coral World zeichne sich aus durch fehlende Stadtverträglichkeit und Akzeptanz, so Billig. Denn den Raum bräuchte Berlin eigentlich für andere Nutzungen und gegen die Verdrängung. „Die ökologische Verträglichkeit bezweifle ich stark. Außerdem ist das Preisniveau zu hoch. Eine durchschnittliche Berliner Familie kann sich das nicht leisten. Also die soziale Komponente für die Berliner*innen ist ungelöst. Das widerspricht unserem Tourismuskonzept, weil es Berlin mehr schadet als nützt. Das ist kein nachhaltiger Tourismus.“
Billig fordert Nachverhandlungen mit Coral World über die Grünflächen: Eine Verlängerungsoption soll gestrichen werden. „Denn öffentliche Grünflächen gehören nicht privatisiert, sondern müssen vollständig und jederzeit allen Nutzer*innen zur Verfügung stehen.“
„Es darf kein Tabu sein, Entwicklungsziele zu ändern.“ Billig zieht Lehren aus dem Vorgang um die Rummelsburger Bucht. „Und die Korrektur von Planungszielen zum Wohl der Stadt, darf dann meiner Meinung nach auch mal Geld kosten. Das nennt man dann übrigens Planungsschaden. Aber was ist denn ein Planungsschaden? Wenn wir für die veränderten Bedürfnisse Berlins einstehen und das vielleicht auch mal kurzfristig Geld kostet? Oder wenn wir über Jahrzehnte das falsche Haus zum falschen Preis oder die falsche Nutzung am falschen Platz ertragen müssen und den Raum eigentlich für etwas anderes brauchen würden? Das ist doch der Schaden, der nicht wieder gut zu machen ist. Und den sollten wir in Zukunft bitte nicht wieder anrichten.“ Ob Berlin wirklich aus den Fehlern in der Bucht lernt oder das alles nur leere Worte bleiben, wird sich zeigen.
Das Abgeordnetenhaus hat jedenfalls beschlossen, dass man an der Entwicklung nichts mehr ändern kann. Nochmal wörtlich aus dem Beschlussprotokoll: „Alle Probleme und Herausforderungen lassen sich leider nicht immer an einem Ort, wie beispielsweise an der Rummelsburger Bucht, einvernehmlich lösen.“ Ein Antrag der Koalition aus SPD, Linken und Grünen. Drei Grüne schreiben mir, dass sie diesen Beschluss nicht mittragen wollen und lassen das auch ins Protokoll aufnehmen: Marianne Burkert-Eulitz, Georg Koessler und Stefan Taschner stimmten bewusst anders ab als ihre Grünen-Fraktion, „da wir den Bebauungsplan für die Rummelsburger Bucht insgesamt für falsch halten und auch ein anderes Verfahren für richtig empfunden hätten. Der lapidare Verweis von Bezirksamt und Senat auf einen Zeitverzug oder die hohen Kosten einer Planungsänderung bzw. einer Rückabwicklung des Verkaufes der Grundstücke im Jahr 2016 erfüllt für uns als gewählte Vertreter*innen der Bürger*innen Berlins keinesfalls den Selbstanspruch, den eine demokratische und gemeinwohlorientierte Stadtpolitik an sich haben muss“.
Durch die Bebauung würde vor Ort Platz für eine Schule fehlen, schreiben die Drei in ihrer Begründung. „Langfristig werden in den angrenzenden Gebieten wohl ungefähr 10.000 Schulplätze fehlen.“ Außerdem würden kulturelle Strukturen verdrängt, für die man wohl kaum Ersatzimmobilien finden könne. „Ein verantwortungsvoller Umgang mit dem knappen Gut öffentlicher Raum und ein respektvoller Umgang mit dem Interesse der Bürger*innen an einer Stadt für alle sieht unseres Erachtens deutlich anders aus. Mit der Entschließung des Abgeordnetenhauses von Berlin wurde eine Chance vertan, zu zeigen, dass wir das wirklich ernst meinen.“
Robert Klages ist freier Journalist beim Tagesspiegel. Schreibt ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf Facebook, Twitter und Instagram zu finden.