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von Robert Klages

Veröffentlicht am 25.05.2020

zu den wohl größten Geheimnissen des Bezirks Lichtenberg zählen die Radverkehrsplaner*innen. Schon Ex-Verkehrsstadtrat Wilfried Nünthel (CDU) wollte sie mir nicht vorstellen oder ihnen meine Fragen zukommen lassen. Es handelt sich um eine Frau und einen Mann. Ich würde gerne erfahren, was sie so machen, beziehungsweise machen dürfen, beziehungsweise gerne verändern würden. Der neue Verkehrsstadtrat Martin Schaefer (ebenfalls CDU) verfährt auf erneute Nachfrage ebenso wie sein Vorgänger: „Unsere Radverkehrsplaner sind Teil der Verwaltung und in der Regel nicht für Interviews und so weiter vorgesehen. Die politische Kommunikation ist meine Aufgabe.“

Letzte Woche wurde ein Radfahrer auf dem Radweg von einem Lkw-Fahrer getötet. Dieser bog mit seinem Lastwagen rechts ab, rammte den 47-jährigen Radfahrer und überrollte ihn. Schaefer ist er auf der Mahnwache für den getöteten Radfahrer an der Rhinstraße Ecke Landsberger Allee gewesen, ausgerufen von dem Verein Changing Cities, der sich für eine Verkehrswende einsetzt. Hier ein kurzer Eindruck von der Mahnwache. Oder hier Fotos. Neben Schaefer war wohl nur Stefan Taschner, Sprecher für Radverkehr der Grünen im Abgeordnetenhaus, aus der Politik oder der Verwaltung anwesend. Taschner teilte via Twitter seine Anteilnahme mit: „Der Tod eines Radfahrers macht mich unendlich traurig.“

Auf meine Fragen, wie der Bezirk gedenkt, derartige Unfälle in Zukunft zu verhindern und woran eine sichere Verkehrspolitik bislang scheitert, antwortete Schaefer: „Das Bezirksamt Lichtenberg steht in regelmäßigem Kontakt mit dem Netzwerk Fahrradfreundliches Lichtenberg. Außerdem findet regelmäßig der FahrRat statt, um Gefahrenstellen zu identifizieren und zu beheben und Maßnahmen zu besprechen, um Lichtenberg Schritt für Schritt fahrradfreundlich zu gestalten.“

Das Netzwerk konnte diesen regelmäßigen Kontakt nicht bestätigen. Dort ist man eher enttäuscht von Schaefer. Bislang sei der neue Stadtrat „leider nicht durch besonderes Engagement für die Sicherheit von Radfahrenden und Fußgänger*innen aufgefallen“, sagte mir ein Sprecher des Netzwerks. Dieses erwartet, dass an der Unfallstelle unverzüglich Sofortmaßnahmen ergriffen werden und diese von Schaefer als absolute Priorität angesehen werden. Der nächste „FahrRat“ ist übrigens erst wieder am 29. Oktober.

Es sei erforderlich, die Ampelphasen an der Unfallkreuzung von rechts abbiegenden KfZ/Lkw und dem geradeaus fahrenden Radverkehr zu trennen, so der Netzwerk-Sprecher weiter. Da an allen Kreuzungsarmen entsprechende Abbiegespuren vorhanden sind, ließen sich diese Maßnahmen auch umsetzen.

Unterdessen wird die Kritik am Bezirk lauter. Der Bau oder Ausbau von Radwegen wird nicht forciert, eine Verkehrswende nicht in Gang gebracht. Wenn überhaupt, wird der Ausbau des ÖPNV gefordert, an Radstrecken scheint im Bezirksamt niemand zu denken oder denken zu wollen. Manchen Radfahrenden bleibt nach einer Fahrt durch Lichtenberg nur die Flucht in die Ironie.

Die uns unbekannten Radverkehrsplaner*innen arbeiten auch mit beim „FahrRat“, dem von Schaefer angesprochenen Thinktank vom Bezirksamt, der zuletzt am 26. Februar tagte und die fertiggestellten und laufenden Maßnahmen in einer PowerPoint-Präsentation vorstellte. Überschaubar, aber immerhin: Vier Maßnahmen zur Radinfrastruktur laufen derzeit, neun Staßenabschnitte sind in Planung für Sanierungen, Ausbau oder Neubau.

Da ginge eindeutig mehr, wenn man denn wirklich eine Mobilitätswende haben wollen würde. Aus der Power-Point-Präsentation ersichtlich wird allerdings auch, dass die „Planungsabläufe Radinfrastruktur“ langwierig sind. Vom Vorschlag für ein Projekt, das durch diverse Prüfinstanzen und Planungsbüros laufen muss, bis zur Fertigstellung werden rund 2.6 Jahre eingeplant. Allein von der Finanzierungszusage bis zur Beauftragung dauert es 33 Wochen.

Und während zur Coronazeit die Pop-Up-Radwege im Nachbarbezirk Friedrichshain-Kreuzberg nur so sprießen, hat Lichtenberg noch immer keinen einzigen. Dabei handelt es sich um verbreiterte, temporäre Radwege, die seit der Corona-Pandemie an mehreren Orten in Berlin entstehen. Radfahrer*innen sollen auf ihnen die gebotenen Abstandsregeln besser einhalten können.

„Pop-Up-Bike-Lanes endlich auch in Lichtenberg? Wir wünschen uns ein Zeichen der Politik und ein Update von Martin Schaefer“, fordert „Fridays for Future Lichtenberg“. Auch „Volksentscheid Fahrrad“ fragt, warum die Außenbezirke vernachlässigt werden. Verkehrsstadtrat Schaefer sagte dazu auf Nachfrage, eine schnelle Umsetzung wie in Friedrichshain-Kreuzberg und anderen Bezirken sei „nur schwerlich möglich und ist nicht beabsichtigt.“ Aus der „Tradition einer gelebten Bürgerbeteiligung heraus“ würde der Bezirk Lichtenberg „tiefgreifende Neuordnungen im Straßenverkehr nicht ohne die Einbeziehung der bezirklichen Gremien und der Bewohnerschaft veranlassen.“

Hatte der Lkw ein Abbiegeassistenzsystem? Das ist eine der Fragen, die sich viele nach dem tödlichen Unfall stellen. Ein solches System, dass Radfahrer*innen im direkten Umfeld des Fahrzeugs erkennen und den Fahrer warnen kann, wurde immer noch nicht verpflichtend eingeführt, obwohl von zahlreichen Verkehrsverbänden gefordert. Die Polizei konnte trotz erneuter Nachfrage eine Woche nach dem Unfall diese Frage nicht beantworten, da es sich um laufende Ermittlungen handelt. Ebenso ist weiterhin unbekannt, welche Ampelphasen der Radfahrer und der Lkw-Fahrer hatten.

„Wir sind wütend, weil es wieder ein rechtsabbiegender Lkw-Fahrer war. Wie viele Menschen müssen sterben, bis die Abbiegeassistenten Pflicht werden?“, fragt Marlene Sattler von Changing Cities. „Fehler sind menschlich. Die Politik sollte sowohl die potentiellen Opfer als auch die Fahrer*innen vor den grausamen Folgen dieser Fehlern bewahren und endlich Abbiegeassisten verpflichtend für alle Lkw vorschreiben, sofort!“

Getrennte Ampelschaltungen können zudem die katastrophalen Unfälle an Kreuzungen reduzieren, so Inge Lechner vom Netzwerk Fahrradfreundliches Lichtenberg. „Warum sind Kreuzungen in Berlin nach mehreren Jahren mit dem Mobilitätsgesetz immer noch so gefährlich für Radfahrende?“

Changing Cities demonstrierte erneut für mehr Pop-Up-Radwege. „In einigen Bezirken trauen sich Menschen nicht auf das Rad, weil sie schlichtweg Angst vor dem Pkw-Verkehr haben. Mit Angst kann man aber keine Verkehrswende herbeiführen – und die muss laut Mobilitätsgesetz bis 2030 umgesetzt sein“, sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities.

Robert Klages ist freier Journalist beim Tagesspiegel. Schreibt ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf FacebookTwitter und Instagram zu finden. Kurzgeschichten von ihm könnt ihr auf robert-klages.de lesen.