Intro
von Robert Klages
Veröffentlicht am 21.09.2020
70 Kinder samt Erwachsenen fuhren am gestrigen Sonntag (20. September) laut klingelnd vom Storkower Bogen zum Rathaus Lichtenberg. Sie wollen sichere Radwege und verliehen ihren Forderungen durch Kreideparolen Ausdruck. Die engagierten Leute vom „Radbezirk Lichtenberg“ waren natürlich dabei und haben auf Twitter Impressionen verbreitet. Bundesweit lief die Aktion „Kidical Mass“. Die Idee geht auf die weltweite Bewegung der „Critical Mass“ zurück. Eine Aktionsform, die erstmals in den USA initiiert wurde und inzwischen regelmäßig auch in vielen deutschen Städten stattfindet. Dabei treffen sich unmotorisierte Verkehrsteilnehmer*innen (meistens mit dem Fahrrad) und bewegen sich auf einer gemeinsamen Route durch die Stadt, um auf ihre Rechte gegenüber dem Autoverkehr aufmerksam zu machen.
Kidical Mass greift dieses Konzept auf, richtet sich dabei aber speziell an Familien mit Kindern. Damit sich auch die Kleinsten sicher durch die Stadt bewegen können, wird die Veranstaltung offiziell bei den Behörden angemeldet und polizeilich begleitet. Auch die Länge der Strecke, Ziel und Tempo sind an die Bedürfnisse der Kinder angepasst. Eine Reaktion aus dem Rathaus Lichtenberg kam bisher nicht, zumindest erhielt ich keine Pressemitteilung, dass das Bezirksamt die Initiative der Kinder unterstützt, sich nun für sicherere Radwege einsetzen möchte oder sich über den Besuch von Kindern vor dem Rathaus freute. Vielleicht trudelt so eine Mail ja heute noch in mein Postfach…
Über Radverkehrsplanungen wurde bei der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) bereits am Donnerstag gesprochen. Die Linksfraktion beschwerte sich zum Beispiel bei Verkehrsstadtrat Martin Schaefer (CDU), er habe nicht vernünftig zu einer von seinem Amt veranstalteten „FahrRat“-Tour am 2. September eingeladen. Denn anscheinend waren lediglich ein paar CDU-Politiker*innen und Bürger*innen dabei. Huch. Schaefer betonte mehrfach, er habe niemanden eingeladen. Eine Einladungsmail, die er in CC an seine Parteikolleg*innen verschickte, habe einer Anwohnerin gegolten, er habe versehentlich auf „allen antworten“ geklickt.
Die CDU-Fraktion bemühte sich auf der BVV, für den Radverkehr zu sein. Allerdings sprach sich Heike Wessoly, Sprecherin für öffentliche Ordnung und Verkehr, gegen sichere, also geschützte Radwege aus. Diese sollen beispielsweise in der Herzbergstraße zwischen Siegfried- und Vulkanstraße errichtet werden. Darüber wird schon länger diskutiert.
Wessoly meint, ein geschützter, also durch Poller abgegrenzter, Radweg könne hier nicht entstehen, da der Lieferverkehr diesen alle paar Meter durchqueren müsste – da sei die Sicherheit der Radfahrenden nicht gewährleistet. Es handelt sich um ein Gewerbegebiet mit vielen Einfahrten. Robert Pohle von den Grünen sagte, die Straße sei breit genug für einen geschützten Radweg, das sei alles kein Problem. Christian Kind von der SPD-Fraktion begrüßte es, den stehenden Verkehr aus der Straße zu bekommen, gab allerdings auch das Problem mit den Einfahrten zu bedenken. Man sei sich daher in der SPD unsicher, ob ein geschützter Radweg wirklich die beste Lösung sei. Außerdem sei der nächste Radweg keine 200 Meter entfernt – wozu brauche es dann in der Herzbergstraße überhaupt einen? Dies ließ Antonio Leonhardt von den Linken nicht gelten:
Bei Autostraßen würde man ja auch nicht sagen, 200 Meter weiter gibt es schon eine, hier brauchen wir also keine mehr. Für Autos werden Straßen gebaut, auch, wenn 100 Meter weiter bereits eine Straße ist.
Dann wurde der Antrag mehrheitlich angenommen – 22 Bezirksverordnete stimmten dafür, 15 (von CDU und AfD) dagegen. Es handelt sich um eine „Beschlussempfehlung“: Das Bezirksamt „wird ersucht“ in der Herzbergstraße zwischen Siegfried- und Vulkanstraße geschützte Radfahrstreifen in beiden Fahrtrichtungen zu errichten. Bezirksamt heißt in diesem Fall: Verkehrsstadtrat Schaefer von der CDU.
Dieser wurde in einem anderen Antrag dazu aufgefordert, mehr Radverkehrsplaner*innen einzustellen. Wir erinnern uns: Die zwei Personen, die bereits im Bezirksamt arbeiten, wollen (oder dürfen) sich nicht öffentlich äußern, oder sich hier im Newsletter vorstellen. Im letzten Jahr waren sie zu einem Fünftel ihrer Arbeitszeit mit Aufgaben betraut, die nicht die Radverkehrswende fördern. Der Senat finanziert nur zwei Stellen, eine dritte müsste aus dem Bezirkshaushalt geschaffen werden – und da ist die CDU dagegen. Zudem sei es nicht leicht, Radverkehrsplaner*innen zu bekommen, so Wessoly. In ganz Berlin würden 20 davon fehlen, die Bezirke stünden in Konkurrenz um die Arbeitskräfte. Der Antrag wurde erstmal wieder in den Ausschuss für Haushalt überwiesen.
Sicheren Radverkehr könnte es bald zumindest auf der Volkradstraße geben. Namentlich wäre das ja auch mehr als plakativ: Volk und Rad und Straße … hüstel. Hier gibt es bisher keinen Radweg. Die CDU wollte den Linken-Antrag für sicheren Radverkehr in der Volkradstraße nochmal in den Ausschüssen besprechen, wurde aber überstimmt: Der Antrag wurde mehrheitlich angenommen. Das heißt nicht, dass da nun sofort ein sicherer Radweg gebaut wird. Wieder wird das Bezirksamt lediglich „ersucht“, dies zu unternehmen. Wobei Beschlüsse der BVV eigentlich bindend für das Bezirksamt sind. Daher mal sehen, wie Verkehrsstadtrat Schaefer (CDU) damit umgeht. Es könnte Lichtenbergs erste Protected Bike Lane (PBL) werden. Eigentlich sollte es diese Pollerradwege in der Siegfriedstraße geben … doch die Serie „Wenn der Senat das grüne Monster bauen will“ hat dort noch kein finales Ende gefunden.
Robert Klages ist freier Journalist beim Tagesspiegel. Schreibt ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf Facebook, Twitter und Instagram zu finden. Satirische Kurzgeschichten von ihm könnt ihr auf robert-klages.de lesen.