Intro
von Robert Klages
Veröffentlicht am 16.11.2020
13 Tote und 47 Infizierte, das sind die traurigen Fakten zum Corona-Ausbruch im Pflegeheim in der Gensinger Straße 103. Während wir hoffen, dass nicht noch mehr Menschen sterben, muss die Frage, wie es überhaupt soweit kommen konnte, dringend geklärt werden. Der erste Fall war bereits am 8. Oktober aufgetreten und das Heim daraufhin für Besucher*innen gesperrt. Die Testergebnisse von 30 Bewohner*innen lagen erst Ende Oktober vor. Die Teilevakuierung fand erst am vergangenen Freitagabend statt. Am heutigen Montag könnte das Gebäude vermutlich vollständig evakuiert und geschlossen werden.
Die Heimleitung beteuert, das Gesundheitsamt Lichtenberg bereits am 8. Oktober über den Fall informiert zu haben. Anscheinend wollten sowohl der Betreiber als auch das Bezirksamt Lichtenberg die Vorfälle verheimlichen. Zumindest kann nicht gerade von einer transparenten Herangehensweise in der Informationspolitik gesprochen werden, wenn die Zahl der Toten erst auf Nachfrage durch den Tagesspiegel ans Licht kommt und erst, nachdem wir Informationen von einem Informanten erhalten hatten.
„Um Missstände aufzudecken, Fehlentwicklungen frühzeitig zu bemerken, Heimlichtuerei offizieller Stellen zu entlarven, brauchen wir Journalist*innen möglichst viele inoffizielle Quellen, die wir nutzen können, denn die Pressestellen gehen mit dem, was schiefläuft, natürlich nicht hausieren“, schreibt meine Kollegin Fatina Keilani bezogen auf den Fall in Lichtenberg. Also bitte, meldet euch, wir garantieren Quellenschutz!
Wie intransparent und unverantwortlich das Bezirksamt selbst mit Corona-Fällen umgeht, zeigte sich, als dieses selbst getestet wurde – und öffentlich nichts davon mitteilte. Nachdem der Schnelltest des Vertretungsstadtrats für Gesundheit, Martin Schäfer (CDU), positiv war, wurde das ganze Bezirksamt getestet. Unseren Infos zufolge war auch der Schnelltest des Bezirksamtssprechers positiv. Laut aktueller Satzung des Gesundheitsamtes müssen sich positiv getestete Personen „unverzüglich nach Kenntniserlangung des positiven Testergebnisses in häusliche Isolation begeben.“ Der Sprecher machte dies nicht, sondern holte noch seinen Laptop und Unterlagen aus dem Rathaus. Ein Verstoß gegen die Allgemeinverfügung kann als Ordnungswidrigkeit mit bis zu 25.000 Euro geahndet werden. Aber wen interessiert hier Geld?
Mit dem Virus infiziert zu sein ist kein Verbrechen, keine Schande. Es kann uns alle treffen – die Frage ist, wie wir damit umgehen. Politiker*innen und Mitarbeiter*innen des Bezirksamts haben Vorbildfunktionen. Als es einen ähnlichen Fall in Spandau gab, hat sich das gesamte dortige Bezirksamt unmittelbar in Quarantäne begeben – und dies sofort öffentlich kommuniziert.
In Lichtenberg jedoch wird verheimlicht und gelogen. Am liebsten hätte man die eigenen Infektionen wohl gar nicht öffentlich mitgeteilt, auf Nachfragen wird nicht geantwortet oder auf den Datenschutz verwiesen. Ob sich Bezirksbürger*innenmeister Michael Grunst (Linke) in Quarantäne befindet, ist derzeit weiterhin unklar, meine Anfragen werden nicht beantwortet. Sein Schnelltest war negativ. Wir wünschen allen Infizierten an dieser Stelle einen milden Verlauf und alles Gute.
Das Bezirksamt sucht nun immerhin nach Fehlern im Krisenmanagement. Der Fall um das Pflegeheim soll aufgearbeitet werden. Der Pandemie-Krisenstab wird sich am Dienstag treffen, hoffentlich online. Es soll ein mögliches Fehlverhalten des Betreibers untersucht werden. Dieser soll sich gegen die Evakuierung des Heims gewehrt und sich sogar zunächst mit Anwälten in dem Heim verschanzt haben.
Pfleger*innen sollen trotz Symptomen zur Arbeit in dem Heim erschienen sein. Eine Sprecherin der Heimleitung sagte auf Nachfrage, der Coronafall am 8. Oktober sei nicht nur dem Gesundheitsamt Lichtenberg mitgeteilt worden, sondern auch unmittelbar der Heimaufsicht, einem Kontrollgremium der Senatsverwaltung. Diese bestätigt auf Nachfrage, am 8. Oktober über die im Krankenhaus positiv getestet Bewohnerin informiert gewesen zu sein, sie sei am 6. Oktober dorthin verlegt worden. Zu Fragen, was danach unternommen wurde, erhalte ich von der Senatsverwaltung keine Antworten mehr, ich möge das Bezirksamt fragen. Laut Website hat die Heimaufsicht ihre Regelprüfungen in Einrichtungen vorübergehend eingestellt, um die Einrichtungen und deren Beschäftigte während der Pandemie „durch das Prüfgeschehen nicht zusätzlich zu belasten“.
Die Einrichtungen unterliegen aber einer Anzeigenpflicht bei „besonderen Vorkommnissen, die weitreichende Folgen für die Bewohnerinnen und Bewohner oder für die stationäre Einrichtung haben können.“ Weiter: „Unter solche besonderen Vorkommnisse fallen insbesondere solche Fälle, die nach dem Infektionsschutzgesetz dem bezirklichen Gesundheitsamt zu melden sind, darunter auch SARS-CoV-2-VirusInfektions- und Verdachtsfälle.“
Zur Frage, warum das Heim erst sieben Wochen nach Bekanntwerden des ersten Coronafalls evakuiert wurde, sagte Stadrat Schaefer dem Tagesspiegel: Die Pflege der Bewohner*innen habe „unter den am Freitag vorgefundenen Umständen, durch die fehlende Anzahl an Personal nicht mehr adäquat gewährleistet werden können. Diese Einschätzung gab es in den Tagen davor nicht.“ Es habe am Freitag ein „subakuter Pflegenotstand“ geherrscht.
Viele Fragen und viel Unverständnis bleiben. Auch die SPD-Fraktion berät sich am Montag und wird am Dienstag Fragen ans Bezirksamt schicken. Darunter: „Wie ist es möglich, dass erst jetzt, nachdem 13 Tote und 47 Infizierte im Heim zu verzeichnen sind, die Öffentlichkeit informiert wurde?“ Und: „Werden seitens zuständiger Stellen Disziplinarmaßnahmen erfolgen? Und wenn ja, welche?“ Oder: „Wie viele Stunden hat sich der Pressesprecher in den Räumen des Rathauses Lichtenberg aufgehalten, während er unter Corona-Verdacht stand? Welche Maßnahmen wurden getroffen, um während seines Aufenthaltes Dritte vor einer Infektion zu schützen?“ Sowie: „Kann das Bezirksamt ausschließen, dass Viren in die Flure emittiert wurden und dass Viren in den Räumen verblieben sind?“ Nur einige von über 30 Fragen der SPD. Wir hoffen auf Antworten. Solange macht ihr vielleicht einfach besser einen großen Bogen ums Rathaus.
Update: Nach Redaktionsschluss dieses Newsletters erhöhte sich die Zahl der mit oder an Covid 19 verstorbenen Personen aus dem Pflegeheim auf 14. Eine weitere Frau verstarb im Krankenhaus. Aktuell befinden sich noch drei Personen vor Ort, die positiv auf Corona getestet wurden und am Montag noch verlegt werden. Am Dienstag werden in der Einrichtungen erneut Abstriche bei allen Bewohner*innen und dem Personal vorgenommen, der Amtsarzt ist vor Ort. „Wir fordern die Senatsverwaltung für Gesundheit auf, ihren Pflichten als Fachaufsicht nachzukommen und die Qualität der Pflege zu kontrollieren“, so Stadtrat Schäfer. Er fordert strafrechtliche Konsequenzen und eine Neubesetzung der Einrichtungsleitung.
Robert Klages ist freier Journalist beim Tagesspiegel. Schreiben Sie ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf Facebook, Twitter und Instagram zu finden. Satirische Kurzgeschichten von ihm können Sie auf robert-klages.de lesen.