Intro
von Robert Klages
Veröffentlicht am 08.02.2021
hu, ist das kalt. Der Schnee (da kommt noch was) ist ja ganz schön, aber besonders in der Nacht ist es draußen nahezu unerträglich. Für Menschen, die im Freien übernachten, kann das tödlich sein. Hier die Nummer vom Kältebus: 0178 523 58 38. Bitte wählen, wenn ihr Menschen auf der Straße liegen seht, die Sozialarbeiter*innen helfen.
Helfen wollte wohl auch Sozialstadtrat Kevin Hönicke (SPD), und zwar den Menschen aus dem wohl größten Obdachlosenlager Deutschlands an der Rummelsburger Bucht. Mit Blick auf das Thermometer beschloss er in Zusammenarbeit mit dem Berliner Senat: Hier darf kein Mensch mehr übernachten. In der Nacht auf den sechsten Februar wurde das Camp geräumt. Dabei sind die Menschen dort nicht unbedingt ohne Obdach. Mit der Zeit haben sie sich beachtliche Behausungen aufgebaut, manche mit Ofen, Feuerstelle und Garten. Von außen sieht das Lagen aus wie ein Haufen Müll mit Zelten, aber manche Hütten sind im Inneren tatsächlich, nun ja: gemütlich.
Ich will nicht sagen, dass es schön ist, dort zu leben. Aber manche Menschen bezeichnen den Ort als ihr Zuhause und sind tatsächlich gerne dort. Laut Bezirksamt soll allerdings gerade das Feuermachen unterbunden werden: zu gefährlich. Von den rund 100 Personen soll etwa die Hälfte das „Angebot“ der Stadt angenommen haben, in einer Traglufthalle zu übernachten. Ihnen sollen laut Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) auch Plätze in Hotels zum Überwintern angeboten werden, die Stadt habe diese bis zum Ende der Kältehilfe im April gemietet. Das ist ausdrücklich zu begrüßen. Kritik gibt es allerdings an der Vorgehensweise und den Folgen.
Unter „Angebot“ ist zu verstehen: Sozialarbeiter*innen und Polizist*innen hatten das Gelände geräumt und die Personen dazu „überredet“, sich in die Traglufthalle bringen zu lassen. Hilfe also auch für diejenigen, die diese nicht wollen. Auch das gehört zum Job der Sozialarbeiter*innen, damit niemand erfriert. Keine*r darf zurück an die Bucht und dort übernachten, lediglich dürfen die Leute ihre Sachen holen – wenn sie Glück haben. Stadtrat Hönicke versprach, die Behausungen sollen vorerst nicht abgerissen werden. Als dann am Samstag ein Bagger allerdings doch damit begann, wurde dieser kurzerhand von Demonstrierenden besetzt.
Warum der Bagger doch tat, was er eigentlich nicht sollte, und warum da überhaupt Bagger waren, wenn doch eigentlich gar nicht abgerissen werden soll, konnte sich Hönicke zunächst selbst nicht erklären. Er habe eine Vereinbarung mit der Eigentümerin des Grundstücks geschlossen, sagte er. Diese habe versprochen, nicht abreißen zu lassen.
Da diese Vereinbarung augenscheinlich gebrochen wurde, müsste der Stadtrat nun eigentlich etwas unternehmen, um die Vernichtung zu stoppen. Er twitterte aber, er habe „keine Rechte auf die Fläche“ und „organisiere da auch nichts mehr“. Er habe Freitag organisiert.
Wem gehört nochmal die Stadt? Hier unser Bericht von der Räumung und dem Tag danach. Auf Twitter bestätigte Breitenbach, dass die Zerstörung von Eigentum nicht zu rechtfertigen sei. Es müsse aufgearbeitet werden und die Frage nach Entschädigung gestellt werden. Am Montagmorgen twitterte Hönicke, er habe mit der Eigentümerin gesprochen: Diese sagt, das Camp wird und wurde nicht zerstört. Vor Ort stehen zwar noch Hütten und die Bagger sind weg, im Inneren wird aber fleißig entkernt und aufgeräumt. Hier ein Foto, dass eine obdachlose Frau gemacht hat. Sie wollte gerade ihre Sachen holen und fand diese auf einem riesigen zugeschneiten Haufen wieder, es wurde alles einfach zusammengeworfen.
Laut Hönicke lief auch die Räumung friedlich ab. Vorab angekündigt wurde sie nicht, auch Pressevertreter*innen wurden nicht benachrichtigt. Am Samstag wurden sie sogar bei der Arbeit behindert und von Polizist*innen gestoßen. Dass Eigentum der Obdachlosen zerstört wurde, konnte man vor Ort beobachten, trotz extra aufgebauten Sichtschutzplanen und -zelten. Wie die B.Z. berichtet, wurde der Wohnwagen von Jessi zerstört. Er war das Herzstück des Camps und hätte als Objekt der Zeitgeschichte in ein Berlin-Museum gehört. Die Besitzer*innen hätten für den Verlust entschädigt werden sollen.
Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer der Journalist*innen-Union Berlin-Brandenburg, war am Sonntag vor Ort und berichtete mir, die Obdachlosen hätten keine Möglichkeit gehabt, ihre Sachen abzuholen. „Stattdessen habe ich eigenen Auges gesehen, wie die Sicherheitskräfte Holzregale zerschlagen und Altmetall aus den Hütten rausgeholt und gesammelt haben.“ Was die Sicherheitsleute dann mit dem Holz gemacht haben, ist hier zu sehen.
Wenn Breitenbach die Camp-Bewohner*innen wie Jessi nun entschädigen will, wird das gar nicht so leicht sein. (Zudem fordert sie ja nur, es zu prüfen, die eigentliche Entschädigung muss dann wer anders machen.) Ob Jessi den Kaufbeleg für den Wohnwagen noch hat, ist fraglich. Auch andere werden nicht beweisen können, was ihnen so gehört hatte. Wenn es nicht ohnehin schon vernichtet wurde. Nicht, dass da noch einer behauptet, er hätte einen Original-Rembrandt in seinem Zelt liegen gehabt und will nun entschädigt werden.
Und selbst wenn Entschädigungszahlungen kommen sollten: Wie hoch ist nochmal der materielle Wert von alten Kochtöpfen oder dreckigen Zelten? Da zückt die Eigentümerin kurz die Geldbörse und wirft Cent-Stücke in die Menge. Wenn überhaupt. Die Obdachlosen haben oft nicht einmal ein Konto, auf das man ihnen den Betrag gutschreiben könnte. Am Ende wird, genau, vermutlich gar nichts geschehen.
Es geht auch nicht um den materiellen Wert der Gegenstände, die für uns vielleicht nach Müll aussehen, aber für die Bucht-Bewohner*innen einen Wert hatten. Schließlich haben sie mehrere Jahre damit dort gelebt.
Ganz so friedlich, wie vom Stadtrat berichtet, ist es jedenfalls nicht gewesen. André Hoek, ehemaliger Obdachloser und in der Szene gut vernetzt, berichtet von einer Nacht-und-Nebel-Aktion: Die Obdachlosen hätten gegen Mitternacht 30 Minuten Zeit gehabt, ihr Lager zu räumen. Hier nachzulesen. Auch mir berichteten ehemalige Camp-Bewohner*innen ähnliches. Offiziell sprechen durfte ich die Personen nicht – auch dem RBB wurde der Zutritt zu der Traglufthalle untersagt. Hoek ist sogar der Meinung, das Handeln des Stadtrats werde „wahrscheinlich Todesopfer produzieren“, da manche der Obdachlosen nun in der Stadt ohne ihr Zelt und ohne die Bucht-Gemeinschaft erfrieren könnten.
Das Angebot, die Unterkünfte der Notübernachtungen zu nutzen, haben Obdachlose übrigens jeden Winter. Die Gründe, warum es viele nicht nutzen (können) sind allen Beteiligten, die nun ein Dankeschön für ihre Hilfe erwarten, eigentlich bekannt: Viele sind suchtkrank und haben Angst davor, in den Unterkünften keine Drogen mehr nehmen zu können. Oder sie sind nicht in der Lage, die dortigen Regeln einzuhalten. Oder sie wollen nicht, einfach, weil sie sich nichts vorschreiben lassen wollen. Oder, weil sie ihre Hunde nicht mit in das ihnen angebotene Hotelzimmer nehmen können. Oder, weil sie keine gültigen Papiere haben und befürchten, abgeschoben oder ausgewiesen zu werden. Oder, weil sie Schulden haben oder polizeilich gesucht werden. Oder, und das darf man nicht unterschätzen: Weil sie sich in einem Hotelzimmer einsam fühlen und dort gar nicht wüssten, was sie mit sich anfangen sollten. Diese Gründe sind Politiker*innen bekannt. Oder doch nicht?
Man kann jetzt leicht sagen: Wir haben ihnen einen Platz im Warmen angeboten, wenn sie das nicht annehmen, selber Schuld. Ja, sogar ein Platz in einem Hotel. Aber jedes Angebot hat Bedingungen, die manche nicht erfüllen wollen – oder nicht können. Es ist trotzdem gut, dass ihnen die Plätze angeboten werden, alles andere wäre eine Schande. Und so kommen die Hoteliers auch gleich besser durch die Pandemie, wenn ihnen die Stadt die Miete zahlt zur Unterbringung von Obdachlosen.
Das Problem ist, dass einige der Bucht-Bewohner*innen nun irgendwo in der Stadt übernachten – obwohl sie eigentlich warme Zelte oder Hütten hatten. Ich kann die Räume der Kältehilfe trotzdem empfehlen: Die dortigen Helfer*innen machen einen guten und wichtigen Job und sind auf die Bedürfnisse der Obdachlosen eingestellt. Bitte geht da hin anstatt zu erfrieren!
Eine Darstellung der Lebensverhältnisse an der Bucht wird auch von einem „Trans- and Sexwork-Activist“ auf Twitter beschrieben: Auch wohnungslose trans Frauen lebten in dem Lager sowie Sexarbeiterinnen und Rom*nja. Ein Problem ist auch, dass bei der Räumung wohl keine Übersetzer*innen zugegen waren. Der Aktivist erklärt zudem, trans Personen möchten in keine Traglufthalle mit Gruppenzimmern.
Die Lichtenberger Grünen kritisierten, man hätte auch Hilfe vor Ort, also ein Wärmezelt, mobile Duschen und Toiletten, an der Bucht anbieten können. Stadtrat Hönicke dazu: „Weitere Optionen wie ein zeitlich begrenztes Wärmezelt auf der Fläche wurden geprüft. Diese waren wegen der Voraussetzungen auf dem Gebiet allerdings nicht umsetzbar.“ Welche Voraussetzung den Aufbau eines Zeltes neben einer Zeltstadt nicht zulassen, führte er nicht aus.
Die Linken um Senatorin Breitenbach schieben die Kritik nun auf Stadtrat Hönicke von der SPD ab, z.B. hier. Dabei wollten Stadt und Bezirke längst „Safe Places“ für Obdachlose aufgebaut haben. Das sind Orte und Flächen, auf denen obdachlose Menschen unter Selbstverwaltung leben können. Breitenbach twitterte, man habe die Pläne dafür aufgrund der Pandemie erstmal auf Eis gelegt und da sei man sich mit den Grünen auch einig gewesen.
Es sei „kein guter Zeitpunkt“ für Safe Places. Eine Begründung dafür gab es nicht. Breitenbach schrieb lediglich, es sei „nicht so genial während einer Pandemie“. Generell sei das Geld dafür da, die Bezirke müssten allerdings Grundstücke zur Verfügung stellen – und schon ist Hönicke wieder Schuld. Die Friedrichshainer Grünen-Politikerin Claudia Schulte schrieb, es gebe 100 Grundstücke, die das Land Berlin Trägern zur Verfügung stellen könnte.
Ich finde, es gibt keinen besseren Zeitpunkt für Safe Places. Obwohl doch: Der vergangene Sommer. Denn, dass es einmal im Jahr Winter wird, wussten wir auch da schon. Auch, wenn wir uns in einer Pandemie befinden.
Robert Klages ist freier Journalist beim Tagesspiegel. Schreiben Sie ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf Facebook, Twitter und Instagram zu finden. Satirische Kurzgeschichten von ihm können Sie auf robert-klages.de lesen.