Intro
von Masha Slawinski
Veröffentlicht am 12.04.2021
Vor etwa zwei Monaten wurde das Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht geräumt: Noch immer ist vieles ungeklärt. Die Anwohnenden des aufgelösten Camps werfen Baustadtrat Kevin Hönicke (SPD) vor, dass er die Evakuierung des Camps am 5. Februar unter dem Vorwand der einbrechenden Minusgrade veranlasst haben soll. Seine eigentliche Intention, so vermuten es Anwohnende, sei gewesen, den Weg für die Eigentümerin des Geländes, „Coral World“ zu ebnen, die dort ein Aquarium und eine Parkanlage plant. Coral World beauftragte eine Sicherheitsfirma. Diese tauchte am Tag nach der Evakuierung auf dem Gelände auf. Dabei wurde auch das Eigentum der Menschen, die dort lebten, zerstört.
„Ich sah zuvor keinen Grund, das Camp aufzulösen, weil es eben keinen Bauantrag und auch keine Gespräche dazu gab“, teilt Hönicke mit. Diese Aussage auf der einen und sein letztendliches Handeln auf der anderen Seite sorgte für Unverständnis. Dass es dann doch dazu kam, habe ausschließlich an den zweistelligen Minustemperaturen gelegen. Sowohl die Berliner Kältehilfe, die Senatsverwaltung, der Bezirksbürger*innenmeister, das DRK und die Berliner Feuerwehr hätten von ihm unmittelbares Handeln verlangt. „Hätte ich nicht gehandelt, wäre an diesem Wochenende und in der Woche danach mit Toten zu rechnen gewesen“, sagt Hönicke.
Die ehemaligen Camp-Bewohner*innen sehen das anders. Ihnen sei die Lebensgrundlage entzogen worden und das ohne Vorwarnung. Die spontane Aktion am Abend des 5. Februar begründet Hönicke damit, dass er sehr kurzfristig die Zusage für eine Unterkunft für die Menschen von der Senatsverwaltung bekommen hatte. „Jede Stunde, jeder Tag, jede Woche früher, wäre schöner gewesen“, sagt Hönicke.
Hönicke reagiert auf Coral-World-Forderung. In einer Mail vom 15. Januar, die Hönicke dem Tagesspiegel zur Verfügung gestellt hat, forderte die Projektarchitektin von Coral World, Anna Maske, den Stadtrat auf, das Camp aufzulösen. Man müsse klar kommunizieren, dass man den Campern schon zwei Jahre länger als angekündigt das Feld gelassen habe und dass es jetzt Zeit sei zu gehen. Dem widersprach Hönicke in seiner Antwortmail. „Den Campern wurde das Feld nicht länger gelassen, als angekündigt, es wurden Vereinbarungen zur Einzäunung allerdings nicht vollständig umgesetzt“, schreibt er. Dass man die Menschen dort leben lassen würde, wäre keine Wohltat von Coral World. Und es sei ihm nicht nachvollziehbar, wieso die Menschen, ohne ihnen ein ausreichendes Ersatzangebot bieten zu können, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und während einer Pandemie von der Fläche geräumt werden sollen. Geräumt wurde dann aber trotzdem, begründet mit den Temperaturen.
Am Tag nach der Auflösung meldete Hönicke sich erneut bei Maske und forderte sie auf, dafür zu sorgen, dass die Eigentümerin das Gelände mit Zäunen sichern lässt. „Den Zustand den sie haben wollten, haben wir heute Nacht hergestellt. Ich erwarte unmittelbares und unverzügliches Handeln!“, schrieb er. Die Wetterlage sei zu gefährlich und die hygienischen Zustände vor Ort unmenschlich, um dort weiter Menschen wohnen zu lassen.
Maske begründete ihre Forderung zur Räumung in der Mail damit, dass Coral World an den Zeitpunkt der Baurealisierung gekommen wäre, für die das Camp geräumt werden müsse. Die Aussage steht im Gegensatz zu der Tatsache, dass Coral World als einzige der Investor*innen noch keinen Bauantrag eingereicht hat. Der B-Plan wurde am 19. April 2019 beschlossen. Die Frist für den zu stellenden Bauantrag läuft im Mai aus. Selbst wenn der Bauantrag fristgerecht beim Bauamt eingeht, liegen noch mehrere Schritte bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Kräne eventuell drehen könnten. Auf Anfragen, warum Coral World noch keinen Antrag gestellt hat, fällt die Antwort immer gleich aus: Man werde noch rechtzeitig den Antrag stellen.
Ein ausstehendes Gerichtsurteil könnte den Baustart von Coral World jedoch weiter verzögern oder verhindern. Der Verein Naturfreunde klagt, weil der vom Bezirk verabschiedete B-Plan nicht rechtmäßig sein soll. Vergangene Woche wurde dazu ein Eilantrag eingereicht, der ein baldiges Gerichtsurteil beschleunigen könnte, sollte das Gericht den Antrag annehmen. Mehr zum Eilantrag lesen Sie gleich in Namen und Neues.
Masha Slawinski ist Newsletter-Autorin beim Tagesspiegel. Sie freut sich über Kritik, Anregungen und Tipps bei Twitter oder per E-Mail.
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