Intro

von Robert Klages

Veröffentlicht am 29.11.2021

als ich das Video zum ersten Mal sah, habe ich geweint. Wie kann man so abscheulich sein, so viel Hass, so viel Rassismus in sich tragen? Es ist ein unerträglicher Moment, der hier für die Öffentlichkeit festgehalten wurde: Der Lichtenberger Balogun Adegbayi hat am Freitag auf Twitter ein Video gepostet, das zeigt, wie er von einer Frau rassistisch beleidig und bespuckt wird. Darüber schreibt er: „Das habe ich heute in Lichtenberg erlebt, Polizei Berlin wäre eine Anzeige hier möglich oder bringt nichts.“

Die Frau konnte nun ermittelt werden: Wie die Berliner Polizei am Montagmittag in einer Mitteilung schrieb, konnte die Tatverdächtige ermittelt werden. „Die aggressive Frau konnte als eine 38-Jährige identifiziert werden. Sie ist der Polizei wegen ähnlicher Delikte bereits bekannt. Sie hat sich nun wegen ihres Verhaltens zu verantworten.“

Viele Leute bekundeten Adegbayi ihre Unterstützung und rieten ihm zur Anzeige. Die Polizei twitterte, das Video dem Staatsschutz übermittelt zu haben. Auch Adegbayi erstattete Anzeige. Noch konnte die Frau nicht ermittelt werden.

Schaut euch bitte dieses Video an. Es zeigt, was Schwarze Menschen in Deutschland nahezu täglich ertragen müssen. Viele von uns glauben das manchmal nicht oder denken, es sei vielleicht nicht so schlimm. Rassistische Wutangriffe wie diesen gibt es viele. Es ist wichtig, dies mal auf Video dokumentiert zu haben.

„Ich habe so rassistische Wutangriffe wie diesen schon oft erlebt“, erzählte mir Adegbayi. „Oftmals wird mir nicht geglaubt, oder gesagt, es sei ja nicht so schlimm. Auch von der Polizei. Diesmal dachte ich, ich nehme es mal mit meinem Handy auf.“

Ein Update zum Fall kam von Bürger:innenmeister Michael Grunst (Linke). Er habe bei der Volkshochschule Lichtenberg prüfen lassen, ob die Frau dort jemand kennt. Eine Dozentin sei sie jedenfalls nicht. Trotzdem: Auch unbekannterweise habe die Frau nun dort Hausverbot.

„Eine Anzeige muss etwas bringen. Es ist inakzeptabel, dass so etwas überhaupt passiert ist“, sagte mir Grunst am heutigen Montag. „Wie kann man so bösartig sein?“ Er und Stadtrat Kevin Hönicke (SPD) werden Balogun Adegbayi noch in dieser Woche treffen  – gemeinsam mit Mitarbeitenden des Lichtenberger Registers zur Erfassung von rechtsextremen und diskriminierenden Vorfällen. Es soll geschaut werden, wie Adegbayi geholfen werden kann, der rassistische Angriffe öfter erlebt. Auch das Register sagt: „Das Problem des Alltagsrassismus ist umfangreich.“

Es muss sich etwas ändern. Es kann nicht sein, das Schwarze Menschen so etwas ertragen müssen. Zwar ermittelt die Polizei und Adegbayi bekommt viel Solidarität. Das ist gut, aber es sollte sich langsam mal wirklich etwas ändern. Eine dunkle Hautfarbe wird immer noch als „anders“ empfunden. Das fängt in Kitas und Schulen an: „Kackahaut“ habe ich zuletzt in einer Kita gehört. Bekannt ist auch: „Deine Haut sieht aus wie Scheiße.“ In abgeschwächteren Varianten wird von Nutella oder Schokolade gesprochen, es gibt dann Eltern, die das auch noch süß finden. Aber das ist, was Schwarze Menschen – Kinder und Erwachsene – schon ganz früh in staatlichen, pädagogischen Einrichtungen erfahren müssen.

Mein Gefühl ist, dass sowohl Eltern als auch Erzieher:innen kaum darauf vorbereitet sind. Meistens heißt es nur: „So was sagt man nicht.“ Und die Kinder werden gerügt. Dabei trifft die Kinder oftmals kaum eine Schuld. Sie sollten nicht bestraft oder gerügt werden, sondern man muss mit ihnen darüber sprechen. Das Thema sollte ganz früh angegangen werden: in Fortbildungskursen für Erzieher:innen und Lehrer:innen, aber auch für die Kinder und Eltern selbst. Ich will damit nicht sagen, dass alle Leute das schlecht machen, weiß aber aus Erfahrung, dass es oft nicht so leicht ist, damit umzugehen. Auch wenn es so einfach scheint mit dem „wir sind alle gleich, egal, welche Farbe unsere Haut hat“, müssen wir anscheinend leider auch das erst erlernen.

Und es sollte Aufgabe der Politik sein, sich damit zu beschäftigen und Mittel und Wege zu finden, damit Alltagsrassismus vermindert werden kann. Die neue Ampel-Koalition plant nun immerhin, Rassismus und Antisemitismus in einem noch nie dagewesenen Ausmaß zu bekämpfen. Deutschland soll zu einer integrativeren Gesellschaft werden, die auf den Werten der Vielfalt beruht. Im Koalitionsvertrag wurde auch betont, dass die neue Regierung die „Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus fortsetzt“ und die Maßnahmen zur Bekämpfung des Problems weiterentwickeln wird.

Die kommende Regierung will eine neue Strategie entwickeln, um für einen stärkeren sozialen Zusammenhalt zu sorgen und extremistischem oder konspirativem Gedankengut vorzubeugen – sowohl online als auch offline. Steht genau so hier auf euractiv.de.

Auch im neuen Berliner Koalitionsvertrag steht der Kampf gegen Rassismus. Die Stärkung zivilgesellschaftlicher Projekte und die konsequente Bekämpfung von rechten und menschenfeindlichen Straftaten sowie von Hasskriminalität hat als gesamtstaatliche Aufgabe besondere Priorität. Die Koalition will die „Zentralstelle Hasskriminalität“ der Staatsanwaltschaft stärken.

Ich bin gespannt, was da an Taten und Maßnahmen folgt oder ob es nur bei Worten und Ansätzen bleibt. Was ich vermisse, sind konkrete Maßnahmen, um Alltagsrassismus zu thematisieren und zu behandeln.