Intro

von Robert Klages

Veröffentlicht am 06.12.2021

wir müssen auch heute nochmal über Rassismus reden. Nach der abscheulichen Hassattacke auf den Lichtenberger Adegbayi Balogun vor der Volkshochschule am 26. November hat sich ein Mann bei mir gemeldet, der angibt, seit zwei Jahren von einem Nachbarn strategisch-rassistisch diskriminiert zu werden:

Er werde von dem Nachbarn auf der Straße bespuckt und mit dem N-Wort rassistisch beleidigt, erzählt mir der Mann in Karlshorst. „Es ist unerträglich, ich halte es nicht mehr aus, ich lebe in der Hölle hier.“ Der Nachbar beschalle ihn mit lauter Musik, und das seit zwei Jahren nahezu jeden Tag. Er ist sicher, dass der Nachbar, ein Mann um die 30, nicht einfach nur laut Musik hört, sondern ihn gezielt aus dem Haus bekommen möchte. Es sei nicht nur Musik, sondern das Schlagen eines harten Gegenstandes auf den Boden. „Er weiß genau, wie ich mich bewege. Wenn ich in die Küche gehe, macht er dort mit dem Schlagen weiter.“ Ein anderer Nachbar, der versucht zu helfen und mich kontaktierte, kann das bestätigen.

„Das, was mein Nachbar aushalten muss, ist schon fast Terror zu nennen.“ Die Polizei, das Ordnungsamt und die Hausverwaltung würden nichts unternehmen. Das erzählt mir auch das mutmaßliche Opfer. Die Polizei sage zu ihm, er solle nicht mehr anrufen. Als sie mal vor Ort waren vor rund einem Jahr, hatten sie wohl auch mit dem mutmaßlichen Täter gesprochen – danach sei es jedoch noch schlimmer geworden.

Die Polizei habe zu ihm gesagt, er solle besser ausziehen. Ohne konkrete Beweise könnten sie da nichts machen. Das sagt übrigens auch die Hausverwaltung. Und das Ordnungsamt. Die Musik ertönt anscheinend nur zu den erlaubten Zeiten und nicht nach 22 Uhr oder in der Mittagszeit. Das laute Schlagen auf den Boden allerdings geht weiter – es gebe keinen Tag Ruhe, berichtet der Mann. Er übernachte schon oft bei Freunden. Aus Gründen der Sicherheit nennen wir den Namen und die Adresse nicht. Ich werde die Kontaktdaten an Reach Out Berlin (eine Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, Anm. d. Red.), das Lichtenberger Register sowie das Bezirksamt weiterleiten.

Neues zu dem rassistischen Angriff vor der Volkshochschule: Bürger:innenmeister Michael Grunst (Linke), Stadtrat Kevin Hönicke (SPD) und Michael Mallé vom Lichtenberger Register trafen Balogun im Bezirksamt. „Das Video zeigt einen tief sitzenden Menschenhass, der gesellschaftlich geächtet gehört“, sagte Grunst. Hönicke ergänzte: „Und es ist umso erschreckender, weil wir wissen, dass es sich hier nicht um eine Ausnahme handelt.“ Die vollständigen Statements könnt ihr hier lesen.

„Rassistische Angriffe erlebe ich ungefähr zweimal im Monat und das ist sehr traurig“, erzählte Balogun dem Bezirksamt. „Viele tun diese Vorfälle ab und die Hürde, zur Polizei zu gehen, ist groß. Wir müssen schon Kindern in der Schule beibringen, dass Menschen nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt werden sollten. Ich habe mich dafür entschieden, in Deutschland zu leben, und hoffe, dass es für meine Kinder besser sein wird.“

„Es gibt insgesamt einige Orte in Deutschland, an die ich mich nicht traue“, hatte Balogun im Interview mit dem RBB erzählt. „Ich wurde schon öfter nach Leipzig oder irgendwo in Sachsen eingeladen – da sage ich immer, dass ich nicht komme. Es klingt hart, aber ich glaube, viele Leute meiner Hautfarbe würden mir zustimmen: Das gilt für das gesamte Ostdeutschland.“

Und das gilt wohl auch für Lichtenberg und den Berliner Osten: Im Berliner Westen würde er weniger rassistische Anfeindungen erleben, sagt Balogun. „Wenn ich etwas im Internet einkaufe und beispielsweise etwas in Marzahn oder Hellersdorf abholen müsste, dann sage ich das inzwischen schon ab, um etwaige Konfrontationen zu vermeiden.“

Grunst kündigte nun an, das Lichtenberger Register zu verstärken. „Dass die Hürde, solche Vorfälle zur Anzeige zu bringen, so hoch ist, müssen wir angehen. Menschen, die Opfer rassistischer Übergriffe werden, dürfen nicht damit allein gelassen werden. Wir werden dafür auch das Lichtenberger Register noch einmal verstärken. Es ist eine wichtige Anlaufstelle, um das Ausmaß von Diskriminierung wie Rassismus, sichtbar zu machen.“

Das Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle gibt es für jeden Bezirk und für ganz Berlin. Die wenigen Mitarbeitenden dokumentieren rassistische Vorfälle, auch solche, die von der Polizei nicht aufgenommen werden, und berät Opfer. Das Register hat bereits den 23. Angriff in Lichtenberg in diesem Jahr aufgenommen, mehr als die Hälfte wurden mit rassistischer Motivation verübt. Dazu kommen 27 Beleidigungen, Bedrohungen, Pöbeleien. Die Dunkelziffer wird leider weit höher sein. Auch das Register schreibt: „Jede Woche wird ein Mensch im Bezirk aus rassistischen, antisemitischen oder anderen diskriminierenden Gründen angegriffen.“

Wird etwas gegen Rassismus unternommen? Wie ich hier letzte Woche geschrieben hatte, will die neue Ampel-Koalition härter gegen Rassismus vorgehen und auch Alltagsrassismus endlich ernst nehmen. Mehr als eine Million „Menschen afrikanischer Herkunft“ (so die UN-Definition) leben in Deutschland und die allermeisten haben diskriminierende Erfahrungen aufgrund ihrer Hautfarbe gemacht. Das geht aus dem ersten sogenannten „Afrozensus“ hervor, der am Dienstag von der Organisation „Each One, Teach One“ vorgestellt wurde, wie Kollege Felix Hackenbruch im Tagesspiegel-Politik-Newsletter „Abendlage“ schreibt, den sie hier kostenfrei abonnieren können (die „Morgenlage“ gibt es dann auch dazu).

Demnach gaben zwei Drittel der 4000 Befragten an, dass sie in Schulen und Unis wegen ihrer Hautfarbe schlechter bewertet wurden. Eine Mehrheit wurde zudem bereits mindestens einmal grundlos von der Polizei kontrolliert. Und selbst beim Ärzt:innenbesuch machten zwei Drittel die Erfahrungen, dass ihre Beschwerden nicht ernst genommen wurden.

Noch schlimmer: Rassismus wird in Deutschland geleugnet. Mehr als 90 Prozent der Befragten, die Rassismus erfahren haben, wurde das Erlebte nicht geglaubt. „Eine bestürzende Zahl, hinter der einzelne Schicksale stehen. Nur wenn die Gesellschaft zuhört, kann sie sich verändern“, so Kollege Hackenbruch. Dem schließe ich mich an und da sind wir wieder bei obigem Fall von rassistischer Gewalt in Karlshorst. Hoffentlich kann etwas unternommen werden.