Namen & Neues

"Totalgentrifizierung" Lichtenbergs befürchtet - bald kommen die "Zahnärzte aus Kassel"

Veröffentlicht am 14.05.2018 von Robert Klages

Am meisten auf die Fresse bekommen hat letzte Woche Stadträtin Birgit Monteiro (SPD) – die einzige Person, so scheint es, die einer großen Kunsthalle von Kunstsammler Axel Haubrok in der Herzbergstraße im Weg steht. Die Straße ist ein Gewerbeschutzgebiet. Zwar gibt es hier auch Wohnhäuser, jedoch werden keine neuen Wohnungen gebaut. Würde die Straße für Kunst-Ausstellungen geöffnet, würde sie an Attraktivität gewinnen, weitere Kunstschaffende und Veranstaltungen anlocken, woraufhin die Mietpreise steigen würden und das produzierende Gewerbe verdrängt würde, so Monteiros Befüchtung. Haubrok will nicht mehr, er hat genug von den Versprechungen von Kultursenator Klaus Lederer und BM Michael Grunst (beide Linke), die sich für seine Kunsthalle stark gemacht hatten, und scheint sein Projekt „Fahrbereitschaft“ hinwerfen zu wollen, nachdem ihm Monteiro mit einer Strafe von einer halben Mille gedroht hatte, sollte er erneut Ausstellungen durchführen.

Haubrok hat das Schreiben von Monteiro, in welchem ihm eine Strafe angedroht wird, wenn er erneut Ausstellungen durchführen sollte, groß an den Eingang der Fahrbereitschaft gehängt – dorthin, wo sonst der Lageplan über das Gelände zu sehen ist. Auch eine Form der (Protest-)Kunst.

Stadträtin Monteiro im Kampf gegen die Kunst, so der Tenor der Artikel von „Berliner Zeitung“ und „Neues Deutschland“. Auch die Kolleg*innen aus der Tagesspiegel-Kulturredaktion haben sich der Sache angenommen. RTL, „B.Z.“, die „Märkische Onlinezeitung“, viele haben darüber berichtet. Aber es geht nicht nur um Haubrok und seine Fahrbereitschaft. Die gesamte Straße ist interessant und entwickelt sich. Hier nochmal der Artikel von Madlen Haarbach und mir zu diesem Thema. Dort führt Monteiro weitere Argumente an, warum sie tut, was sie tut. („Man kann ja auch nicht einfach ein Einfamilienhaus in einer Kleingartensiedlung bauen.“ So sei es auch mit der Kunsthalle in der Herzbergstraße.) Diese Argumente wurden bisher nicht entkräftet.

Eine interessante Diskussion dazu findet sich unter dem Tweet von Sabine Bangert, Vorsitzende des Berliner Kulturausschusses, die hier „keine gute Entwicklung“ sieht. Monteiro antwortet, ihr ginge es darum, dass Politik Verantwortung übernimmt. „Der besondere Schutz des produzierenden Gewerbes am Standort ist Senatsbeschluss von 2011. Wenn der Senat neu beschließt, kann er das, muss aber auch Verantwortung für Folgen übernehmen.“ Es ist also nicht nur Monteiro, die sich gegen die Haubroksche Kunsthalle stemmt, sondern auch der Senat steht dieser im Weg. Denn dieser hat die Straße zum Gewerbeschutzgebiet bestimmt. Man könnte auch sagen, Monteiro beschützt nur, was der Senat beschlossen hat.

Blätter können sich schnell wenden, wissen wir aus der Floskelfabrik. Monteiro kämpft gegen Gentrifizierung, könnte man sagen. Anstelle von Partei-Politik wäre hier eine Zusammenarbeit angebracht, denn vielleicht sind ja Kunsthalle und Gewerbegebiet nicht ausgeschlossen. Der Linke könnte ihre Monteiro-Kritik in einigen Jahren um die Ohren fliegen. Man stelle sich vor, es würde nun die Kunsthalle gebaut und in 30 Jahren stellt man dann fest, dass das Gebiet gentrifiziert wurde, dass kleinere Gewerbe verdrängt wurden. Aus dem Ruhestand wird uns Monteiro zurufen: „Ich habs euch gesagt!“ Wie so eine Gentrifizierung in dem Fall aussehen könnte, malt uns „Der Freitag“ an die Wand:

Die Zeitung sieht sogar schon „Zahnärzte aus Kassel“ die Herzbergstraße besiedeln. Erst kommt die „kreative Klasse“, dann kommen die Zahnärzte, die wiederum die kreative Klasse verdrängen. So sei das in der Natur, sagt ein Soziologe. „Erst kommt die kreative Klasse, dann die Kapitalisten, die den Boden für Zahnärzte aus Kassel und Anwälte aus New York bereiten.“ Eigentlich ein guter Beitrag. „Jetzt schlugen die Alarmglocken, die Stadt fürchtete, so hat es den Anschein, die Totalgentrifizierung von Lichtenberg.“ So heißt es im Artikel. Monteiro war für den „Freitag“ nicht zu sprechen, schreibt dieser. Aber eigentlich hat sie ja auch alles gesagt. Außerdem habe der Freitag nie versucht, sie zu erreichen, sagte mir Monteiro am Montagmorgen. Sie ist ohnehin derzeit nicht so gut auf „die Journalisten“ zu sprechen.