Namen & Neues
Vorkaufsrecht, Milieuschutz und Remixing
Veröffentlicht am 25.06.2018 von Robert Klages
Im Programmheft des derzeit in Berlin stattfindenden Architektur-Festival „MakeCity“ findet sich ein Interview mit Antje Kapek, Fraktionsvorsitzende der Berliner Grünen im Abgeordnetenhaus und einst Direktkandidatin ihrer Partei im Wahlkreis Alt-Lichtenberg. In keiner anderen Stadt sei wohnen, arbeiten und leben räumlich so stark getrennt wie in Berlin. Dies sei die „Berliner Mischung“. Hauptaufgabe der Politik sei es, für eine bunte Mischung an Menschen und Nutzungen zu kämpfen, für eine gerecht aufgeteilte Stadt. „Das ist für mich Remixing“, so Kapek.
Die Grünen im Abgeordnetenhaus wollen Grundstücke, Häuser und Grünflächen über das Vorkaufsrecht zurückkaufen. Vielleicht sollten sie einen Blick nach Lichtenberg werfen? In Kreuzberg kauft der grüne Baustadtrat Florian Schmidt derzeit alles eifrig Gebäude zurück. Das bleibt nicht ohne Kritik. Ob er gut macht, was er da macht, wird sich in einigen Jahren zeigen. Nicht in jedem Fall sind die Mieter*innen mit der Anwendung des Vorkaufsrechts zufrieden. Lichtenbergs Baustadträtin Birgit Monteiro (SPD) ist keine Freundin des Vorkaufsrechts, sie ist skeptisch und zögerlich. Dieses kann ohnehin nur in Milieuschutzgebieten angewendet werden. Und das wurde in Lichtenberg gerade erst für Kaskel- und Weitlingkiez beschlossen. Insgesamt gibt es 45 dieser sozialen Erhaltungsgebiete in ganz Berlin.
Am heutigen Montag (25.) findet eine Versammlung für alle Anwohner*innen des Weitlingkiezes statt, 18.30 Uhr, Heinrichstraße 3. Ergebnisse des Gutachtens zum Milieuschutz und das weitere Vorgehen sollen vorgestellt werden. Der Leiter des Geschäftsbereiches Stadtforschung des Planungsbüros Topos, Sigmar Gude, wird die Untersuchungsergebnisse vorstellen. Baustadträtin Monteiro wird erläutern, was sich durch den Milieuschutz ändern wird. Sie klingt in der aktuellen Pressemitteilung viel offensiver als zuletzt:
„Die Milieuschutzsatzung ist das schärfste Schwert, das dem Bezirk zur Verfügung steht, wenn es darum geht, die Verdrängung zu bekämpfen.“ Kämpferische Worte gegen Verdrängung. Dabei war Monteiro nicht immer für den Milieuschutz im Weitlingkiez. Anfang 2017 wurde der Milieuschutz für den Kaskelkiez beschlossen. Eine erste Topos-Studie hatte gleichzeitig ergeben, dass für den Weitlingkiez kein Milieuschutz notwendig sei. Die Linke und Anwohner*innen des Weitlingkiezes hatten eine zweite Studie gefordert. Monteiro war diese mit rund 50.000 Euro zu teuer gewesen. Die durchgesetzte zweite Studie kam zu dem Ergebnis, dass für den Weitlingkiez eine Milieuschutzsatzung erlassen werden sollte. Monteiro sagt: „Ich freue mich, dass der Milieuschutz für den Weitlingkiez nun kommt.“
Wenn es nach den Linken geht, wird es bald mehr Milieuschutzgebiete geben. Das Vorkaufsrecht soll als Mittel gegen steigende Mieten angewandt werden. Dafür müssen die Linken entweder Frau Monteiro überzeugen, oder diese absägen – woran derzeit eifrig gearbeitet wird. Martin Schäfer von der CDU (siehe oben) hält nicht viel vom Milieuschutz. Was steigende Mieten angeht sei dieser ein Papiertiger. „Doch manche Parteien klopfen sich kräftig auf die Schultern, dass sie etwas Wichtiges getan hätten.“
„Für Lichtenberg bleibt abzuwarten, wann der erste Prüffall auftritt“, sagt Hendrikje Klein zum Vorkaufsrecht, für die Linken im Abgeordnetenhaus – direkt gewählt in: Kaskel- und Weitlingkiez, den derzeit einzigen Milieuschutzgebieten in Lichtenberg. Auch sie klingt zunächst etwas zögerlich: „Der Einsatz des Vorkaufsrechts bedarf einer sorgfältigen Prüfung in jedem Einzelfall.“ Dann jedoch: „Es ist zunehmend geboten, die ansässige Bevölkerung vor Verdrängung zu schützen und dies durch die Ausübung von Vorkaufsrechten wirksam zu flankieren.“
Aus einem Bericht für die Jahre 2015 bis 2017: Durch die Ausübung von Vorkaufsrechten und durch Abwendungsvereinbarungen konnten berlinweit 674 Wohnungen gesichert werden. 2018 wurde bereits bis zum 22. März fünfmal vom Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht und bislang gab es sieben weitere Abwendungsfälle. Somit konnten in diesem Jahr bereits 284 Wohnungen gesichert werden, schreibt die Senatskanzlei. Auch im Bezirk Mitte wird das Vorkaufsrecht immer häufiger angewendet, berichtet Kollegin Laura Hofmann.
Was genau ist das Vorkaufsrecht? Hendrikje Klein erklärt es uns folgendermaßen: „Im Geltungsbereich der sozialen Erhaltungsgebiete (Milieuschutz) räumt das Baugesetzbuch den Gemeinden ein Vorkaufsrecht beim Kauf von Grundstücken ein. Das Baugesetzbuch ist ein Bundesgesetz und das Vorkaufsrecht dient dabei der Sicherung des Ziels, die Zusammensetzung der angestammten Wohnbevölkerung aus städtebaulichen Gründen zu erhalten. Ein wesentlicher Grund ist der Umstand, dass bei einer Verdrängung der Wohnbevölkerung die vorhandene Infrastruktur verändert bzw. an anderer Stelle neu geschaffen werden müsste. Dies wäre ineffektiv und würde zu hohen Kosten der Allgemeinheit führen. Wird ein im Milieuschutzgebiet gelegenes Grundstück verkauft, ist dies dem Bezirk anzuzeigen. Nun muss der Bezirk prüfen, ob das Vorkaufsrecht ausgeübt werden soll. Die Ausübung des Vorkaufsrechts kann dabei zum Wohl der Allgemeinheit aus unterschiedlichen Gründen gerechtfertigt sein. Anhaltspunkt kann z.B. ein hoher Kaufpreis sein oder ein Antrag auf Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen.“
2015 wurden berlinweit zwei Prüfungen durchgeführt, 2017 waren es bereits 45, keine davon in Lichtenberg. Daraufhin wurde 2015 zweimal das Vorkaufsrecht ausgeübt, 2017 bereits 13 Mal. Klein erläutert weiter: „Ein Käufer kann sich allerdings auch verpflichten, das Grundstück entsprechend den Zielen der Erhaltungsverordnung zu nutzen. In diesem Fall wird eine Abwendungsvereinbarung zwischen Käufer und Bezirk geschlossen. Darin kann der Käufer auf verschiedene Maßnahmen verzichten, zum Beispiel den Anbau eines Fahrstuhls oder von Balkonen (gemeinhin „Luxussanierungen“ genannt, Anm. von rk). Es kann auch die Umwandlung in Wohnungseigentum verboten werden. Solch eine Vereinbarung kann ggf. mit einer so genannten Grunddienstbarkeit gesichert werden, was bei Nichteinhaltung hohe Vertragsstrafen nach sich zieht.“ 2015 gab es in Berlin einen Abwendungsfall, 2017 bereits elf.