Namen & Neues

"Pressevertreter wollte Zugang, wurde verwehrt" - aus dem Tagebuch des Sicherheitsdienstes an der Rummelsburger Bucht

Veröffentlicht am 06.04.2020 von Robert Klages

Auf einer Brache an der Rummelsburger Bucht befindet sich der Wagenplatz „Sabot Garden“. 2019 hatte die Wagengruppe „DieselA“ die Brache aus Protest gegen die Bebauungspläne besetzt. Später nannte man sich um in „Sabot Garden“. Investa Real Estate jedoch will an der Stelle wohl Wohnungen errichten, darunter auch Eigentumswohnungen, sowie Gewerbeflächen. Was genau geplant ist und wann mit dem Bau begonnen werden soll, wollte Investa dem Tagesspiegel nicht sagen.

„Sabot Garden“ befindet sich neben dem Obdachlosencamp, auf dem „Coral World“ entstehen soll und ist von diesem mittlerweile durch Zäune abgetrennt. Am 29. Februar hatte Investa Baumfällungen durchführen lassen, es kam zu Auseinandersetzungen zwischen den Besetzer*innen und der Polizei, eine Razzia schloss sich an.

Die Personalien von 52 Personen wurden aufgenommen, ein Antrag auf einstweilige Verfügung läuft derzeit noch. Die 52 Personen sollen das Gebiet räumen, sonst drohe eine Strafe von bis zu 250.000 Euro oder Ordnungshaft.

Aber darf Investa das alles überhaupt? Denn, wie nun herauskam, gehört das Grundstück laut Grundstücksamt noch der Stadt Berlin. Ein Beitrag auf indymedia.org beschreibt die Situation vor Ort mit dem Sicherheitspersonal aus Sicht der Bewohner*innen von „Sabot Garden“. Die dort zitierten Unterlagen wie der Kaufvertrag, der Eintrag im Grundbuch, der Tätigkeitsbericht der Polizei, das Tagebuch des Sicherheitspersonals und vieles mehr liegen dem Tagesspiegel ebenfalls vor.

Im Kaufvertrag von 2016 zwischen der Investa und der Stadt Berlin ist der Bebauungsplan für das Gebiet angehängt – also der Entwurf, wie er 2016 war, denn beschlossen war noch nichts. Wörtlich aus dem Vertrag: „Sofern im folgenden Vertrag Grundstücke verkauft werden, geschieht dies zur Durchführung der Entwicklung. Die Entwicklung basiert auf den Festlegungen des im Verfahren befindlichen Bebauungsplans des Bezirksamts Lichtenberg.“

Kaufpreis: 3.651.700 Euro. Grundlage für die Ermittlung des Kaufpreises war der „im Verfahren befindliche Bebauungsplan mit Stand vom 29.1.2016“. Für den Fall, dass sich der Bebauungsplan ändert, vereinbarte der Kaufvertrag eine Ausstiegsklausel für den Käufer. Gerechnet wurde mit einer bestimmten Geschossfläche für Wohnnutzung und für Mischnutzung. Sollte diese später im endgültigen und festgelegten Bebauungsplan um mehr als fünf Prozent von dem abweichen, was 2016 im Bebauungsplanentwurf stand, kann ein neues Wertgutachten erstellt werden und der Käufer von dem Kauf zurücktreten – allerdings nur innerhalb von vier Wochen.

Diese Frist ist abgelaufen. Nachdem der Bebauungsplan unter starkem Protest festgesetzt wurde, diskutierte auch das Abgeordnetenhaus (AGH) – und war sich einig: Dieser Bebauungsplan sei nicht gut für die Stadt Berlin, man könnte jedoch nichts mehr machen, hier nachzulesen.

Am 16. März 2020 ermächtigte das Land Berlin die Investa sämtliche Eigentümerrechte geltend zu machen, insbesondere hinsichtlich Räumung und Herausgabe. Auch dieses Dokument liegt dem Tagesspiegel vor. Als Grundlage für diese Ermächtigung wird das Grundbuch Lichtenberg angegeben. Flurstück 484 + 492. Doch im Grundbuch steht nicht die Investa als Eigentümerin, sondern das Land Berlin. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen bestätigt dies dem Tagesspiegel auf Nachfrage:

„Es ist richtig, dass das Land Berlin noch für die beiden Flurstücke 484 + 492, die wir an die Investa veräußert haben, im Grundbuch steht. Nichtsdestotrotz ist die Investa seit Mitte des letzten Jahres der rechtmäßige Eigentümer beider Grundstücke und somit allein für beide Grundstücke verfügungsberechtigt, auch wenn wir ‚formal‘ noch im Grundbuch stehen.“ Warum die Umschreibung bislang nicht erfolgt ist, wisse man nicht.

Die Investa antwortete auf zahlreiche Fragen mit: „Wir bitten um Verständnis, dass wir aufgrund der aktuellen, besonderen Situation derzeit keinen Kommentar zum Standort Rummelsburger Bucht abgeben.“

Auf Grundlage der Ermächtigung durch das Land Berlin hat Investa einen Sicherheitsdienst beauftragt, das Grundstück zu bewachen. Kosten: 44.759 Euro im Abrechnungszeitraum von sieben Tagen. Bereits bevor die Ermächtigung vorlag, wurde das Grundstück umzäunt. Die Sicherheitskräfte lassen niemanden rein, dessen Personalien nicht festgestellt wurden. Dieser Sicherheitsdienst führt ein Wachbuch. Darin heißt es etwa: „Auseinandersetzung mit der Polizei.“ – „Piratenflagge gehisst.“ –  „Tote aufgespießte Ratte im mit Schild (Als Bedrohung) – noch strengere Kontrollen erforderlich.“ Oder auch:

„Pressevertreter wollte Zugang, wurde verwehrt.“ Weitere Anmerkungen in dem Buch: „Presse hat von außen fotografiert.“ Oft sind „Auseinandersetzungen“ mit den Wagenplatz-Bewohner*innen notiert oder versuchtes Eindringen durch den Zaun. „Wiederholte Diskussion wegen Besucherrecht und Beleidigung.“

Am 8.3.2020 notieren die Wachleute: „Eine Person mit 3 Mitarbeitern auf das Gelände gelassen, weil der seine Ausweisdokumente vergraben hatte. Papiere wurden gefunden.“ Am 9.3. wurden „die Rumänen“ abgewiesen, die auf das Gelände wollten und die Polizei diesbezüglich verständigt. Immer wieder wird dokumentiert, wie Personen abgewiesen werden, die auf das Gelände wollen und es zu Diskussionen kommt, teilweise auch zu Beleidigungen.

Am 9.3. notiert der Wachdienst: „Person auf dem Gelände behindert und sabotiert unsere Arbeit, indem er sich eine orange Weste anzieht, sich auf die Straße stellt und Personen, die aufs Gelände wollen, erzählt, er sei der Chef und sie könnten rein. … Dadurch entstehen unnötige Diskussionen.“ Der Sicherheitsdienst hat auch ein Dixi und einen Stromgenerator für die eigene Nutzung aufgestellt. Am 10.3. beschwerten sich Anwohner*innen über die Lautstärke des Generators.

In der folgenden Nacht wird laut Tagebuch ein Mann vom Sicherheitsdienst nach einer Auseinandersetzung an der Hand verletzt. Einen Tag später sei ein Mitarbeiter mit Bier und Hundefutter überschüttet worden, erneut beschwerten sich Anwohner*innen über den Generator.