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Bezirksamt Lichtenberg stört sich an Pop-up-Radweg im Nachbarbezirk: Wie Friedrichshain reagiert

Veröffentlicht am 02.06.2020 von Robert Klages

„Lichtenberg, das kleine bockige Nachbarskind.“ So einer der viele Kommentare auf Twitter. Was war passiert? Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat einen Pop-up-Radweg auf der Frankfurter Allee eingerichtet. Dass diese temporären Radwege, die zur Coronazeit geschaffen werden, um die Abstandsregeln im öffentlichen Straßenverkehr besser einhalten zu können, auch dauerhaft bleiben sollen, ist zwar kein Geheimnis – aber keinesfalls bereits beschlossen. Denn dazu bedarf es natürlich weiterer Genehmigungen und Abstimmungen. Lichtenbergs Bürger*innenmeister Michael Grunst (Linke) stört sich an dem neuen Radweg. Denn er glaubt nicht, dass dieser nach der Coronazeit wieder verschwinden werde, daher hätte der Nachbarbezirk die Errichtung des Radwegs mit ihm absprechen müssen.

Für Pendler*innen mit Autos aus Lichtenberg sei der Radweg hinderlich – es könnte vermehrt zu Staus kommen in der eh schon vollen Straße. Grunst sorgt sich also um das Wohl der Autofahrenden. Während es für Radfahrende und Fußgänger*innen erheblich besser wird, da der bisherige Radweg über den engen Gehweg verlief, direkt am U-Bahnausgang vorbei, wo es regelmäßig zu Streit und Unfällen kam. Hier wurde eine äußerst gefährliche Strecke entschärft. (Wie sicher fühlt ihr euch als Radfahrende und wie bewertet ihr den gegenseitigen Umgang von Radfahrenden und Autofahrenden in Berlin? Hier geht es zur Tagesspiegel-Umfrage)

Die neue Pop-up-Strecke ist sicherlich nicht perfekt, auch wenn das die Grünen noch nicht zugeben wollen: Der Weg führt zwischen Parkplätzen und Straße entlang, Autos müssen ihn also zwangsläufig überqueren – und auch der Lieferverkehr wird auf dem neuen Radweg halten. Aus dem Pop-up-Radweg einen mit Pollern geschützten Radweg, also eine Protected Bike Lane (PBL) zu machen, ist derzeit so nicht möglich, obwohl sich die Grünen das bereits vorstellen. Und sich mit Pollern ablichten lassen – in der Realität sieht es aber ganz anders aus.

Nun befindet sich die Frankfurter Allee gar nicht im Bezirk Lichtenberg, führt aber dorthin. Der Pop-up-Radweg wurde lediglich im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg errichtet, vor dem Rathaus Friedrichshain. Dort war man belustigt von der Grunstschen Kritik – und erwähnte, dass es durchaus eine Absprache zwischen den Bezirken gegeben habe. Grunsts Friedrichshain-Kreuzberger Amtskollegin Monika Herrmann (Grüne) teilte am Donnerstag auf Anfrage mit, dass vor einigen Wochen „auf Arbeitsebene des Fachbereichs“ sehr wohl mit Lichtenberg gesprochen worden sei. Im Übrigen würden sich Radfahrer und Fußgänger „sicher über eine Weiterführung im Lichtenberger Teil der Frankfurter Allee freuen. Aber die Entscheidung und Planungen hierfür liegen selbstverständlich beim Bezirksamt Lichtenberg.“

Das ganze wurde schnell zum Running Gag: „Hat Lichtenberg Xhain gefragt?“, twitterte Herrmann unter meinen Tweet mit Bildern von dem Bau des neuen Hochhauses in Lichtenberg – direkt am S-Bahnhof Frankfurter Allee, also nahe dem Nachbarbezirk und an der Frankfurter Allee. „War nur ein Scherz“, fügte Herrmann hinzu.

Lichtenberger Linke reagierten wenig amüsiert. Hendrikje Klein, Abgeordnete aus Lichtenberg, machte deutlich, dass sich ihre Partei nicht so für Radwege interessiert und lieber den ÖPNV stärken möchte. Zudem hätte die Senatsverwaltung beim Bau von Radwegen den Osten ignoriert. Tatsächlich fordert Kleins Kollege Sebastian Schlüsselburg, vollkommen richtig, den Ausbau des ÖPNV. Ausbau von Radwegen wird eher selten bis gar nicht gefordert. Klientelpolitik für Autofahrende im Bezirk? Dass Radfahrende nicht beachtet werden und der Ausbau von Radwegen an allerletzter Stelle steht, hatten wir schon berichtet. Der neue Verkehrsstadtrat Martin Schaefer (CDU) ist da auf einer Linie mit Linken Bürger*innenmeister Grunst – und sagt, bei dem Bau von Radwegen wolle man erst die Bürger*innen mitentscheiden lassen, die Bürger*innenbeteiligung im Bezirk werde groß geschrieben.

Aus diversen Bauverfahren wissen wir, dass Beteiligung“ nicht mehr heißt, als „Information“. Es sei denn, die Autofahrenden brüllen laut gegen den Bau von Radwegen: Wie in der Siegfriedstraße, wo Senatsverwaltung und Bezirk einen geschützten Radweg errichten wollten. Die Planung stand bereits, das Projekt sollte ungesetzt werden – allerdings wird es aufgrund lauter Kritik von einigen Autofahrenden nicht kommen. Obwohl zahlreiche Radverbände und Bürger*innen dieses befürwortet hatten. So etwas wie eine Abstimmung der Lichtenberger*innen hat es nicht gegeben. Das ist sie also, die gelebte willkürliche „Bürger*innenbeteiligung“.

Wenn hingegen 35.000 Unterschriften gegen ein Bauprojekt wie „Coral World“ an der Rummelsburger Bucht gesammelt werden und zahlreiche Demonstrationen gegen das Projekt stattfinden, zudem Einwohner*inneninitiativen dagegen sprechen und Alternativen entwickeln – dann haben diese keine Chance und „Coral World“ wird trotzdem gebaut werden. Gelebte Bürger*innenbeteiligung im Bezirk Lichtenberg. Vielleicht ist „Coral World“ einfach keinen Autofahrenden im Weg. Vielleicht hätten die Anwohnenden, die sich gegen „Coral World“ aussprachen, bei den Demos statt auf Fahrradklingeln auf Autohupen setzen sollen – da das Bezirksamt sie sonst ignoriert.

Aber wer nun denkt, die Linken in Lichtenberg würden sich gar nicht für Ökothemen und Welterhaltung interessieren: immerhin soll der Bezirk nun Fairtrade-Town werden. Was Berlin schon ist und viele Bezirke schon sind – nun zieht Lichtenberg nach, siehe nächste Meldung.