Namen & Neues

Wahlplakate ohne Wahlen

Veröffentlicht am 10.08.2020 von Masha Slawinski


Kürzlich hing vor dem Wohnhaus Waldowallee 106 in Karlshorst ein Plakat. Zu sehen war der Schriftzug: “Rettet den Kaufhof”, darunter das Logo der Linkspartei. Da innerhalb der nächsten sechs Wochen keine Wahl bevorsteht, zu deren Anlass Berliner Parteien plakatieren dürften, war der Abgeordnete Stefan Förster (FDP) irritiert. Laut eigener Aussage, hatte er sieben bis acht Plakate der Linkspartei in Lichtenberg gesehen. Er vermutete, dass die Linke dafür keine Erlaubnis eingeholt hatte. Diese Vermutung bestätigte die Antwort auf seine Anfrage beim Senat.

Die Regel. Sechs Wochen vor Wahlbeginn geht es für die Parteien ans Plakatieren: Ausgestattet mit Leiter, Kabelbindern, Schere und Plakaten, machen sich die Parteivertreter*innen auf den Weg, erklimmen die Leiter, befestigen die Plakate an den Laternenpfählen und steigen wieder nach unten. Parteien, die es sich leisten können, beauftragen dafür eine Firma. Alles was vor und nach diesen sechs Wochen gehängt wird, bedarf einer Sondergenehmigung des Bezirksamtes. Zu prüfen, dass sich alle Parteien an diese Regelung halten, ist Aufgabe der Straßenverkehrsbehörde.

Die Ausnahme und der Regelverstoß. Grundsätzlich dürfen Parteien politische Informationsplakate, wenn sie einen Antrag stellen, außerhalb des Zeitfensters von Wahlen und Volksentscheiden anbringen. Dabei handelt es sich um Sondernutzung nach Paragraph 11 des Berliner Straßengesetzes. Kreise der Linken bestätigen auf Nachfrage, dass unerlaubt plakatiert wurde. Dabei habe es sich aber um ein Versehen gehandelt, ausgelöst durch ein Absprachedefizit. Die Straßenverkehrsbehörde des Bezirksamts Lichtenberg hat die Partei aufgefordert, die Plakate zur entfernen. Die Linke folgte der Aufforderung und das Thema war beendet.

Die Konsequenz für den Regelverstoß wirkt auf Förster eher lasch. „Gerade Parteien sollten vorbildlich mit solchen Regeln umgehen, denn sie sind doch für die Durchsetzung von Recht und Ordnung verantwortlich“, sagt Förster. „Mindestens ein Bußgeld hätten sie bekommen sollen. Wenn jeder plakatiert, wo er will, ist das Wettbewerbsverzerrung, Plakate aufzuhängen ist sehr einfach, da stoppt einen keiner. Wenn die ein paar Wochen hängen und dann jemandem der Regelverstoß auffällt, hat es trotzdem Werbewirkung erreicht“, sagt er weiter. Kreise der Linken sehen den Fehler, betonen aber, dass sie nicht vorsätzlich falsch plakatiert hätten und dass es bei diesem Mal bleiben wird.

Wahlplakatierung steht in der Kritik. Vor allem, weil dadurch ein schwindelerregender Berg an Papier- und Plastikmüll anfällt. Allein die Befestigung der Plakate erfordert zwei große und drei kleine Kabelbinder. Die bestehen aus Plastik, sind meist nur einmal verwendbar und können schwer abgebaut werden. Deswegen bemühten sich einige Parteien während der vergangenen Europawahlen, umweltfreundliche Befestigungsalternativen zu finden. Sie testeten beispielsweise Draht, Hanfschnur oder wiederverwendbaren Kabelbinder.

Weggeschmissen werden die schwer recyclebaren Plakate, die meist aus einer mit PET-Schicht überzogen Pappe bestehen, nach sechs Wochen aber trotzdem. Früher verwendete man für die Plakate noch Pappen, auf die bei jeder Wahl wieder neue Bilder mit Leim festgeklebt wurden. Diese wurden mit Drähten an die Straßenlaternen angebracht. Das war aufwendig, aber kostengünstig und umweltfreundlich. Der Abgeordnete Förster begrüßt die Debatte, ob im Zuge der Digitalisierung und des Klimawandels ein Umstieg auf den digitalen Wahlkampf sinnvoller wäre.

An sich könnten Parteien einfach aufhören zu plakatieren und das Problem wäre gelöst. Aber keine Partei ist bereit, sich einen Nachteil im Wettbewerb zu schaffen. Plakatiert nur eine Partei, tun die anderen es ihr gleich.  Generell stellt sich die Frage, ob und wenn ja, inwiefern Slogans wie zum Beispiel „Europa ist die Antwort“, „Auf Ihr Wohl“ und „Die Kleinen machen dem Käse ein Ende“ die Entscheidung der Wähler*innen beeinflussen.

Selbstverpflichtung. Ein Mittelweg wäre, dass sich alle Parteien verpflichten, nur eine bestimmte Plakatanzahl zu hängen. Da ziehen Parteien mit einem höheren Wahlkampfbudget aber nicht mit. Darum wird es vermutlich auch bei den kommenden Wahlen wieder Berge an Plastik- und Papiermüll geben.

 

+++ Dieser Beitrag stammt aus dem Lichtenberg-Newsletter. Jeden Montag neu und kostenlos per Mail erhalten, Anmeldung hier: leute.tagesspiegel.de

+++ Weitere Nachrichten der Woche:

  • Die Zukunft des ehemaligen Stasigeländes
  • Leiche an der Rummelsburger Bucht
  • Einsatz für Kaufhof-Filialen nur teilweise erfolgreich
  • Verleger und Leiter des Osteuropa-Zentrums Detlef Stein im Interview
  • Der Mietvertrag der B.L.O.-Ateliers könnte verlängert werden
  • Notausgang Lichtenberg: Jede*r Lichtenberger*in  kann Teil des Zivilcourage-Projektes werden
  • Lesetipp: Buchhandlung Paul+Paula im Kaskelkiez