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Bahn will erneut Obdachlosenlager am Ringcenter räumen lassen - das sind die Pläne für einen "Safe Place" und das sagen die derzeitigen Bewohner*innen dazu

Veröffentlicht am 07.06.2021 von Robert Klages

Das Obdachlosenlager am  Containerbahnhof , hinter dem Ring-Center, wollte die Netz AG der Deutschen Bahn eigentlich bereits am 19. April räumen lassen. Nächster Termin ist nun der 14. Juni. Für kommenden Freitag, 11. Juni, wurde eine Kundgebung gegen die Räumung angemeldet, die vor dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg in der Frankfurter Allee 35 stattfinden.

Zwar versicherte das Bezirksamt, dass die Räumung ausgesetzt werden solle, allerdings fordern die Demonstrierenden eine schriftliche Versicherung darüber, da sie mündlichen Bestätigungen alleine nicht mehr vertrauen würden. Die Bürger*innenmeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), sei die Entscheidungsträgerin der Räumung. In der Protestankündigung heißt es: „Wir sind wütend und werden immer wütender, und wir werden diesen Freitag aufs Neue unsere Wut kundtun – vor dem Bezirksamt, in dem die Menschen sitzen, die über die Obdachlosenplatte entscheiden.“

Im Lager, das auf Friedrichshain-Kreuzberger Gebiet an der Grenze zu Lichtenberg liegt, leben mittlerweile rund 30 Menschen. Im April war es Ziel einer, wie es hieß, „Aufräumaktion“. So ganz sauber war das alles allerdings nicht, auch, was den Umgang mit Pressearbeit angeht, hier in meinen Bericht nachzulesen. Nun soll es also wieder soweit sein. Unterdessen heißt es von Sozialarbeiter*innen, 5 Wagen von Obdachlosen dürften auf einem Teilbereich der Fläche stehen, wo sie vor einer Räumung nicht betroffen wären. Aber was ist mit den anderen rund 25 Personen?

Die Bahn scheint entschlossener, diesmal etwas mehr zu machen als aufzuräumen. Auf meine Anfrage, wie es denn um den Safe Place für obdachlose Menschen stehe, der auf dem Gebiet entstehen könnte, bekam ich von der Bahn keine Rückmeldung. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg möchte diesen „Safe Place“ dort gern etablieren und stehe eigentlich in guten Verhandlungen mit der Bahn dazu, sagte mir Stadtrat Knut Mildner-Spindler (Linke). Die Bahn allerdings will das Gelände wohl erst räumen. Die Frage ist aber, was mit den Menschen und ihren Behausungen passiert.

Denn wer einmal die begehrten Plätze im „Safe Place“ bekommt, weiß noch keiner. Erstmal muss dieser überhaupt beschlossen werden. Immerhin, die Pläne dafür sind da, wie sie in einer Standortkonferenz vorgestellt wurden: Auf einer Grafik (hier zu sehen) sind Holzcontainer mit breiten Fenstern, Sitzgelegenheiten, Waschraum, Trockentoilette, Urban Gardening und vielem mehr zu erkennen. Wie viele Menschen dort einziehen könnten, ist nicht klar.

„‚Selbstverwaltetes Wohnen für Obdachlose‘ but make it look like Yuppie-Ferienlager“ kommentiert die „Antifaschistische Vernetzung Lichtenberg“ auf Twitter. Die Idee eines „Safe Place“ für obdachlose Menschen gibt es schon lange, allerdings steht nicht fest, was genau dieser Ort sein soll. Die Idee ist eigentlich, dass sie einen Ort bekommen, auf dem sie selbstverwaltet leben können. Klar scheint auch zu sein, dass Regeln für diesen Ort aufgestellt werden müssen und dass Sozialarbeiter*innen ihn begleiten. Offen bleibt derzeit, wie hoch der Grad der Autonomie der Menschen dort sein wird. Bisher war eigentlich immer von einer Fläche die Rede, auf denen auch Zelte und Wagenburgen Platz finden könnten, dazu Gemeinschaftsräume etc. Die Vision mit den vorgebauten Holzcontainern ist vielen Betroffenen etwas zu vorgefertigt: Sie würden sich ihren Raum gern selbst herrichten und ausbauen – und nicht so sehr auf dem Präsentierteller gestellt werden.

Die derzeitigen Bewohner*innen haben mir ein eigenes Konzept zukommen lassen. Dieses ist sehr ausführlich und kann hier leider nicht vollständig dargestellt werden. Wichtige Punkte: Sie wünschen sich Unterstützung durch Helfer*innensysteme, also Sozialarbeiter*innen. Ein Sozialarbeiter von „Karuna e.V.“ sagt, man habe die Gruppe von 15 Personen lediglich ermutigt, das Konzept zu erstellen. In diesem heißt es, sie wären bereit, sich an den Kosten für die Mietfläche zu beteiligen. Es handelt sich um ein Konzept für eine „temporäre Zwischennutzung“.

Die 15 Menschen schreiben: „Viele von uns leben schon seit längerer Zeit gezwungenermaßen auf der Straße und sind dadurch dauerhaft existenziellen Drucksituationen ausgesetzt. Wir haben es geschafft, hier am Containerbahnhof einen Ort zu finden und zu schaffen, der für uns zumindest temporär ein zu Hause geworden ist. Wir leben hier selbstbestimmt und selbstorganisiert und haben angefangen, diesen Ort zu gestalten und mit Leben zu füllen. Leider sind wir auch hier bis jetzt der ständigen Angst ausgesetzt, plötzlich gehen zu müssen.“

Ein „Safe Place“ bedeutet für sie „die Sicherheit, unser Leben selbstbestimmt gestalten zu können“. Weiter: „Auf Grundlage dieser Sicherheit können wir für uns nachhaltige Regeln finden, die unser Zusammenleben außerhalb regulärer Lebensmodelle ordnen und den Ort mit unseren Ideen und unserer Energie füllen.“ Es folgen genauestens auf die Fläche angepasste und ausgearbeitete Ideen.

Im Gegensatz zum Konzept aus der Standortkonferenz lehnen die 15 Menschen die vorgefertigten Module ab. Zudem wollen sie einen blickdichten Zaun, zumindest auf Teilen des „Safe Place“, weil einige um ihre Anonymität fürchten. Sie könnten sich aber vorstellen, Besucher*innen über die Gemeinschaftsflächen zu führen. Weitere Ideen: Kräutergarten mit Wildbienen, ein Bau für Eichhörnchen, ein Skatepark, nachbarschaftliche Hilfe wie eine Fahrradwerkstatt, künstlerische Projekte.

Strom, Wasser und sanitäre Grundversorgung könnten leicht zu bekommen sein beziehungsweise sind auf dem Gelände vorhanden. „Es ist in unserem und im Interesse der DB, dass die Fläche sauber gehalten und gepflegt wird.“ Immer wieder gebe es illegale Müllentsorgung auf dem Gelände. Sie könnten dabei helfen, dies zu unterbinden.

Man sei sich darüber im Klaren, auch nach außen hin eindeutige Regeln definieren zu müssen. Die Nutzung der Fläche könnte zunächst auf zwei Jahre begrenzt sein, kein Lärm von 22 bis 8 Uhr, keine großen Partys, angemessenes Verhalten auf dem Gelände, nachhaltige Nutzung, Mülltrennung, keine weiteren Personen dürfen auf dem „Safe Place“ wohnen, Besucher*innen sollen sich anmelden. Abschließend: „Wir verhalten uns so unauffällig wie möglich und bauen bei Bedarf einen blickdichten Zaun. Wir wünschen uns sehr, dass unsere Bedürfnisse und Lösungsansätze mit Hinsicht auf unsere Alternativlosigkeit und auch auf die zeitliche Dringlichkeit unserer Situation schnellstmöglich zu einem konstruktiven Prozess führen.“

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