Namen & Neues
Nachverdichtung im Ilsekiez: Wie Baustadtrat Kevin Hönicke versucht, die Bezirkspolitik zu täuschen
Veröffentlicht am 24.10.2022 von Robert Klages
Eine „Absurdität des Jahres“ – so nannte es Benjamin Hudler (CDU): Da ermögliche doch die Senatsverwaltung für Umwelt und Klimaschutz von Senatorin Bettina Jarasch (Grüne), dass in der Karlshorster Ilsestraße“ grüne Innenhöfe“ bebaut und Bäume gefällt würden. Der Bezirksverordnete und seine Fraktion mussten später zugeben, auf eine „politische Trickserei“ und „erkennbare Inszenierung“ von Baustadtrat Kevin Hönicke (SPD) auf der vorigen Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hereingefallen seien – wie viele andere auch.
Wie sich erst während der BVV durch Recherchen des Tagesspiegels herausstellte, wollte Stadtrat Hönicke von einem eigenen Fehler ablenken und den anvisierten Bau eines Radweges als Ursache darstellen – um seine eigene SPD zu schützen. Am Freitag dann wurde Hönicke von den anderen Bezirkspolitiker:innen auf Twitter in die Pflicht genommen. Alexander Roßmann von den Linken sah sich die Aufzeichnung der BVV-Sitzung, an der er selbst teilgenommen hatte, nochmal an und stellt fest: „Der Videobeweis zeigt klar, wie Kevin Hönicke versucht, die BVV Lichtenberg zu täuschen.“
Was war passiert? Seit 2018 kämpfen Anwohnende im Ilsekiez um die Erhaltung ihrer „grünen Innenhöfe“. Die Stadt wollte hier durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge ursprünglich 240 Wohnungen errichten lassen, reduzierte die Zahl aber bereits auf 187. Alle BVV-Fraktionen (außer der FDP) setzen sich seit Jahren für die Rettung der drei Innenhöfe ein. Zudem gründete sich eine Bürger:inneninitiative. Die Anwohner:innen wollen nicht, dass ihre Innenhöfe bebaut werden und wandten sich an die Bezirkspolitik.
In einem bezirklichen Bebauungsplan (B-Plan) wurde der Schutz der Innenhöfe festgelegt. Dieser wurde von der BVV beschlossen und den Anwohner:innen als Lösung der Probleme verkauft. Demnach sollte nicht durch den Bau neuer Häuser, sondern durch Aufstockungen der vorhandenen Gebäude neuer Wohnraum entstehen. Seit 2019 ist zu diesem Verfahren öffentlich nichts bekannt geworden.
Nun hat die Rechtsprüfung der Senatsverwaltung diesen B-Plan abgelehnt, wie Lichtenbergs Baustadtrat Hönicke (SPD) während der BVV am Donnerstag mitteilte. Dies würde bedeuten, so Hönicke, dass die Innenhöfe nun mit Wohnungen nachverdichtet werden können. Und das nur, weil die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität und Klimaschutz von Senatorin Jarasch (Grüne) in der Ilsestraße einen Radweg plane. Wegen eines Radweges? Große Empörung in der BVV bei Politiker:innen und Bürger:innen, die sogleich damit begannen, auf den Radweg zu schimpfen.
Allerdings entspricht diese Darstellung Hönickes nicht der vollständigen Wahrheit. Die Hauptgründe für die Ablehnung des B-Plan kommen von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen unter der Leitung von Bausenator Andreas Geisel (SPD). Diese ist federführend in diesem Verfahren und hat die Fachaufsicht über die B-Planung der Bezirke. Sie schreibt, der von dem Bezirk und Stadtrat Hönicke entwickelte B-Plan enthalte Fehler. So wurde zum Beispiel eine Fläche von 6830 Quadratmetern überhaupt nicht berücksichtigt.
Der Bezirk möchte den B-Plan gerne in ein „beschleunigtes Verfahren“ bekommen. Der Bausenator sieht dies nicht hinreichend begründet und schreibt, dem Bezirk bereits 2019 mitgeteilt zu haben, dass der B-Plan das bestehende Nachverdichtungspotenzial einschränke. Denn während der B-Plan von Hönicke nur 50 bis 70 neue Wohnungen enthält, sieht Bausenator Geisel hier Potential für mindestens 200. Und dies ist der entscheidende Grund für die Ablehnung.
Ein beschleunigtes Verfahren würde bedeuten, dass der Bebauungsplan ohne Umweltprüfung durchgesetzt werden könnte. Die Senatsverwaltung besteht allerdings auf eine solche Prüfung. Sie erwartet vom Bezirk, dass der B-Plan mit Änderungen erneut zur Prüfung vorgelegt wird. Dass es also die SPD-geführte Senatsverwaltung war, die den B-Plan des Bezirks ablehnt, wollte Sozialdemokrat Hönicke den Bürger:innen und Politiker:innen wohl vorenthalten. Die Schuld auf sich zu nehmen oder gar auf den SPD-Senator mit Wahlkreisbüro in Karlshorst zu schieben, dass die grünen Innenhöfe dort bebaut werden, stand offensichtlich außer Frage.
So entschied Hönicke, die Schuld auf die Grünen und einen vermeintlichen Radweg zu schieben: „Frau Jarasch (Grüne) verhindert wegen Straßenbauplanung den Schutz der grünen Innenhöfe im Ilsekiez“, teilte Stadtrat Hönicke noch während der BVV in einer bereits vorbereiteten Presseerklärung mit. Er sei von dieser Entscheidung vollkommen überrascht worden. In seiner Pressemitteilung fasst Hönicke die Absage der Senatsverwaltungen zusammen, ohne jedoch auf die Punkte mit der Umweltprüfung und Unterschied von mehr als 100 Wohnungen zu sprechen zu kommen. Auch auf Twitter und in bereits vorbereiteten Beiträgen beschränkte sich Hönicke auf Jarasch und den Radweg.
Der Stadtrat entgegnete auf Twitter, er habe die Ablehnungsgründe vom Bausenator nicht verschweigen wollen. Allerdings nannte er sie in der BVV erst, nachdem er von den Grünen darauf angesprochen wurde.“ Antonio Leonhardt (Linke) hielt dem Stadtrat daraufhin vor: „Was für einen Tag nach einem cleveren politischen Schachzug aussah, fällt Ihnen jetzt mit Ansage auf die Füße. Ihr Umgang mit Bürger:innen und gewählten Kommunalpolitik:innen ist eines Stadtrats unwürdig.“
Die vollständige Stellungnahme der Rechtsprüfung liegt dem Tagesspiegel vor und wurde diesem durch einen Informanten zugesandt. Weder die anderen Bezirkspolitiker:innen noch die Bürger:inneninitiative hatten diese von Hönicke erhalten. Anscheinend den Aussagen des Stadtrats vertrauend und ohne die Senatsverwaltung von Jarasch vorab kontaktiert zu haben, schossen die Politiker:innen aller Fraktionen von Linke bis AfD (mit Ausnahme der Grünen) zusammen mit Bürger:innen gegen Jarasch und einen geplanten Radweg. Es hieß es sogar, diese solle direkt durch die „grünen Innenhöfe“ führen – was nicht stimmt.
Hönicke schrieb zu seiner Verteidigung, er habe sich auf den Radweg gestürzt, da ihm „Belange von gesamtstädtischer Bedeutung“ wichtiger erschienen als die Federführung durch den Bausenator. Doch auch diese Ausrede ließen die Bezirkspolitiker:innen am Freitag nicht mehr durchgehen. Das Vorgehen des Stadtrats soll geprüft werden.
„Wir fordern, nun dringend von Kevin Hönicke für Klarheit zu sorgen und keine Informationen mehr zurückzuhalten“, schrieb Grünen-Fraktionsvorsitzende Daniela Ehlers. „Wir vermuten hier ein wahltaktisches Manöver auf dem Rücken der Karlshorster*innen und der grünen Innenhöfe im Ilsekiez.“ Und die Initiative „Wir von der Ilsestraße“ schrieb auf Facebook: „Die Grünen sind jetzt Schuld daran, dass der B-Plan 11-125 nicht beschlossen werden kann… Der Wahlkampf hat wohl begonnen.“
Was ist nun dran am Radweg? Die Straßenbauplanung ist einer von drei Punkten in dem Schreiben der Rechtsprüfung. Jaraschs Verwaltung schreibt, dass „verkehrliche Belange von gesamtstädtischer Bedeutung“ durch eine Festsetzung des B-Plans beeinträchtigt werden könnten. Denn: „Als Vorrangroute für den Radverkehr gemäß Radverkehrsplan (gemäß Mobilitätsgesetz) benötigt die Ilsestraße zukünftig auch separate Radverkehrsanlagen.“ Die Gehwege sollen ausgebaut und Fahrradbügel an den Wohnanlagen aufgestellt werden. Der B-Plan des Bezirks scheint das Mobilitätsgesetz vergessen zu haben. Die Ilsestraße ist bereits seit 2021 Teil des beschlossenen Radverkehrsplan der Senatsverwaltung.
Wie Jaraschs Behörde dem Tagesspiegel auf Nachfrage mitteilte, seien diese Probleme schnell zu lösen. „Aus unserer Sicht braucht es dazu lediglich einen Gesprächstermin“, sagte Sprecher Jan Thomsen. „Wir freuen uns auf eine Einladung durch den Bezirk.“ Um den Radweg zu errichten, müsste lediglich die Anzahl der Parkplätze reduziert werden. Die anderen Punkte des B-Plans müsse der Bezirk mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung klären. Da muss sich Hönicke also an Vertreter:innen seiner eigenen Partei, der SPD, wenden, sowie an Bausenator Andreas Geisel (SPD).
- Hönicke versprach, sich weiter für die grünen Innenhöfe einzusetzen und den B-Plan bearbeiten zu wollen.
- Mehr Hintergründe zu den Vorgängen um den Ilsekiez gibt es im Artikel auf plus.tagesspiegel.de
- Fotos: Initiative „Wir vom Ilsekiez“