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Naturschutzbund entsiegelt Flächen, Stadtrat spricht von Zerstörung - dann löscht Hönicke seinen Tweet
Veröffentlicht am 05.12.2022 von Robert Klages
„Einfach nur noch peinlich dieser Stadtrat“, kommentierte Grünen-Fraktionsvorsitzender Philipp Ahrens einen Tweet von Baustadtrat Kevin Hönicke (SPD). „Engagierte Menschen bepöbeln und ihnen mit Anzeige drohen!? Wtf!?“ Hönicke, der auch Stellvertretender Bezirksbürger:innenmeister ist, hatte eine Aktion des Naturschutzbundes Berlin (NABU) kritisiert: NABU-Mitarbeiter:innen hatten an einem See in Fennpfuhl eine Fläche entsiegelt. Auf einem Foto ist zu sehen, wie sie Pflastersteine von einem Gehweg entfernen.
„Der NABU zerstört barrierefreie Wege“, hatte Hönicke dazu getwittert. „Gehts noch. Ich hoffe, die Anzeige wegen Sachbeschädigung ist raus! Setzt euch sinnvoll ein.“ Der Stadtrat hatte den Tweet wenig später wieder gelöscht und sich entschuldigt. Ein Screenshot davon hatte aber längst die Runde gemacht. Alexander Roßmann von der Linksfraktion schrieb zum Beispiel: „Es sollen noch viele Flächen entsiegelt werden, um kostbares Wasser im Boden zu halten und nicht einfach abfließen zu lassen.“
Bei der Aktion des NABU handelt es sich um das „Aktionsnetz Kleingewässer“. Eine 20 Quadratmeter große Fläche in Fennpfuhl wurde entsiegelt und insektenfreundliche Wildsträucher gepflanzt. „Wahrlich sind 20 m² von insgesamt 638,9 km² Siedlungs- und Verkehrsfläche im Stadtgebiet Berlin kein Wunderwerk“, heißt es vom NABU dazu. „Dennoch kann dieser kleine Teil Berlins wieder atmen, Regenwasser speichern und Insekten und Pflanzen als Lebensraum dienen. Mehr zum Programm von NABU und zur Entsieglung von Flächen gibt es auf der Website.
Demnach gibt es in Berlin mindestens 985 Hektar Grund – fast fünfmal so viel wie die Fläche des Tiergartens und genug Wohnfläche für etwa 75.000 Menschen – , „die bereits versiegelt sind und ohne Neuversiegelung, große Schäden am Ökosystem und für die Artenvielfalt für Wohnungsneubau genutzt werden könnte“, schreibt Juliana Schlaberg, Naturschutzreferentin bei NABU. „Dabei handelt es sich vorrangig um große Parkplätze, einstöckige Supermärkte und andere Bauten sowie leer stehende Gebäude. In Stadtteilen mit großem Grünflächenmangel würden wir jedoch dazu raten, diese Flächen zu entsiegeln und dort etwa insektenfreundliche Bepflanzungen anzulegen.“
„Es besteht dringender Handlungsbedarf“, so Schlaberg weiter. „Berlin muss endlich die Flächenversiegelung stoppen und stattdessen ernsthaft mit der Entsiegelung asphaltierter oder zubetonierter Flächen beginnen.“ Die Aktion in Fennpfuhl war mit dem Bezirk abgesprochen – auch wenn Stadtrat Hönicke davon nichts wusste. Er kündigte nun an, sich mit den Naturschützer:innen vor Ort treffen zu wollen und nannte seinen Tweet eine Fehleinschätzung.
Der NABU hat fünf Forderungen an die Stadt Berlin formuliert:
1. Priorität für die Bebauung bereits versiegelter Flächen
Es darf keine Option mehr sein, „auf der grünen Wiese“ günstig zu bauen. Stattdessen sollten Aufstockung und Nachverdichtung, insbesondere auf bereits versiegelten Flächen, vereinfacht werden. Nicht der Schutz einer Fläche vor Bebauung muss besonders begründet werden, sondern ihre Inanspruchnahme.
2. Konsequente Aufstockung
Eingeschossige Gebäude ebenso wie alle anderen statisch dazu geeigneten Bauten können durch Aufstockung flächensparend mehr Wohnraum bieten. Es müssen Anreize geschaffen werden, um die Aufstockung lukrativ zu machen. So bieten einstöckige Supermärkte ein großes Potenzial für zusätzlichen Wohnraum.
3. Bedarfsgerechtes Bauen
Jedes Jahr muss der Bedarf an neuen Wohnungen kritisch geprüft werden. Dabei müssen die Möglichkeiten zur Umverteilung des bestehenden Wohnraums sowie der prognostizierte Zuzug und Flächenbedarf pro Kopf berücksichtigt werden. Wenn weniger Bedarf bestehen sollte, dürfen entsprechend weniger Baugenehmigungen erteilt werden.
4. Schutz großer Freiflächen vor Bebauung
Mit der Fortschreibung des Landschaftsprogramms (LaPro) ist sicherzustellen, dass sich der Flächennutzungsplan künftig daran orientiert und anpasst. Umweltbelange dürfen bei Bebauungsplanverfahren nicht länger unter den Tisch fallen. Für die Durchsetzung und Kontrolle planerischer Vorgaben etwa in Bebauungsplänen muss genug Personal zur Verfügung stehen.
5. Umsetzung bestehender Pläne und Programme
Die Naturschutzverbände sind als Träger öffentlicher Belange anzuerkennen und somit in den Bauleitplanverfahren frühzeitig und verpflichtend zu beteiligen. Für die sogenannte „grüne Infrastruktur“, etwa Biotopverbund- und Klimaanpassungsmaßnahmen oder Gewässerrenaturierungen sind verbindliche Maßstäbe und Vorgaben aufzustellen, wie es sie für die „graue Infrastruktur“ schon lange gibt. Konzepte und Programme wie etwa die „Strategie zur biologischen Vielfalt“, die „Charta für das Berliner Stadtgrün“ oder das „Handbuch Gute Pflege“ müssen verpflichtend sein und ihre Umsetzung kontrolliert werden.
- Foto: Charlotte Hock/NABU Berlin