Namen & Neues
Diskussion um nicht geschlechtsneutrale Wahlbenachrichtigungen
Veröffentlicht am 23.01.2023 von Robert Klages
„Sehr geehrte Damen und Herren“, heißt es in den Wahlbenachrichtigungen für die Wiederholungswahl in Berlin am 12. Februar. Die Lichtenberger Grünen finden das nicht zeitgemäß, da sich zum Beispiel Wähler:innen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen, nicht angesprochen fühlen könnten.
„Wieso wurde die Anrede in den Wahlbenachrichtigungen nicht geschlechtsneutral verfasst, um auch Personen mit dem Geschlechtseintrag ‚divers’ zu berücksichtigen?“, fragte die Fraktion daher am Donnerstag während der Bezirksverordnetenversammlung (BVV).
Seit Ende 2018 haben inter* Menschen in Deutschland die Möglichkeit, beim Eintrag ins Personenstandsregister außer den Geschlechtern „männlich“ und „weiblich“ auch die Option „divers“ zu wählen. Es kommen Kinder zur Welt, deren Geschlecht sich nicht eindeutig bestimmen lässt. Zudem gibt es zahlreiche Personen, die sich ihrem biologischen Geschlecht nicht zugehörig fühlen.
Andere lehnen eine Einstufung in „männlich“ oder „weiblich“ ab und beschreiben sich häufig als sozial divers. Auch wenn seit 2019 lediglich 137 Berliner:innen ihr Geschlecht im Melderegister auf divers haben ändern lassen, ist die Anzahl derer, die sich divers fühlen oder es seien wollen, massiv höher.
Nicht nur bei Stellenausschreibungen ist es seit Jahren nahezu Usus, nach „m/w/d“ zu suchen, also männlich, weiblich oder divers. Warum also nicht die Ansprache in den Wahlbenachrichtigungen ändern.
Lichtenbergs Schulstadträtin Filiz Keküllüoğlu (Grüne) sagte dem Tagesspiegel, Schulen würden die Zeugnisse demnächst geschlechtsneutral ausstellen, es werde geschlechtsneutrale Toiletten in Bürodienstgebäuden in Lichtenberg geben und man denke über Uni-Sex-WCs an Schulen nach, „weil immer mehr Schüler*innen äußern, dass sie nicht wissen, auf welche der beiden Toiletten sie gehen sollen. Es ist für sie belastend – tagtäglich.“
Lichtenbergs stellvertretender Bürger:innenmeister Kevin Hönicke (SPD) hat bereits die Wahlamtsleitung darum gebeten, hier künftig neutraler zu formulieren und nicht auszugrenzen. Die Geschäftsordnung der Wahlen sei „null zeitgemäß und muss geändert werden“, sagte Hönicke weiter.
- Mehr dazu könnt ihr im Artikel auf tagesspiegel.de lesen.
Zuvor hatte Hönicke der Bild-Zeitung ein Interview zum Thema gegeben, dass im Bezirk nicht überall gut ankam. Leonie Köhler (Grüne), die den Antrag in der BVV eingebracht hat, erzählt dem Tagesspiegel-Newsletter, sie habe die Wahlbenachrichtigung erhalten und die Anrede sei ihr sofort aufgefallen, habe dann von ihrem Recht als Verordnete Gebrauch gemacht, eine Anfrage in der BVV zu stellen. Als queere Person nutze sie alle Möglichkeiten, um auf solche Missstände aufmerksam zu machen. Sie fragt sich, warum ihr Hönicke nicht geantwortet habe, dafür aber der Bild ein Interview zum Thema gebe.
„Da frage ich mich schon, was das für ein Bild nach außen trägt“, so Köhler weiter. „Auch die Tweets von Herrn Hönicke stellen eine Kommunikationsart dar, die ich nicht von einem Stellvertretenden Bürgermeister erwarte. Wir haben alle unsere Vorbildfunktion, für den Bezirk, aber auch allgemein als politische Akteure.“
Junge Menschen, und nochmal besonders junge Frauen, die sich politisch engagieren möchten, würden von einer solchen Debatten-Kultur einfach abgeschreckt, so Köhler. Als jüngste Politikerin der BVV kann sie hier aus Erfahrung sprechen. „Herr Hönicke zeigte in den vergangenen Tagen, wie ekelhaft politische Kommunikation sein kann und wie man sehr schnell Bezirkspolitik und politisches Engagement extrem unattraktiv wirken lassen kann. Ich bin schon lang genug in der Politik, um mich von BILD und anderer rechter Presse nicht einschüchtern zu lassen, aber auf andere kann das beängstigend wirken. Hönicke baut so Hürden auf, die andere Versuchen tagtäglich einzureißen, auch seine Parteigenossinnen in der SPD.“ Sie hofft, in der nächsten Wahlbenachrichtigung eine andere Anrede vorzufinden.