Kiezgespräch

Veröffentlicht am 25.03.2024 von Dominik Lenze

Kommt der Poller jetzt weg oder nicht? Das ist unklar. Am Freitag nach der BVV verschickten die Fraktionen SPD, Grüne und Linke eine gemeinsame Pressemitteilung: „Die Entscheidung zur Rückabwicklung eines verkehrsberuhigten Kaskelkiezes ist nicht nur inhaltlich falsch, sie ist auch undemokratisch zustande gekommen. Mehrere Krankheitsfälle bei SPD, Linke und Grüne verschoben die Mehrheitsverhältnisse zugunsten einer Mehrheit, die es sonst nicht gegeben hätte“, heißt es darin.

CDU, BSW und AfD würden die 1400 gesammelten Unterschriften und den demokratischen BVV-Beschluss ignorieren. Es ist durchaus möglich, dass in der nächsten BVV erneut ein Antrag gestellt wird, und zwar für den Poller – wenn niemand krank ist, hätten SPD, Linke und Grüne dann die Mehrheit. Bis auf Weiteres bleibt der Poller auf jeden Fall stehen, sagte Bezirksstadträtin Filiz Keküllüoğlu (Grüne). Aus Ihrer Sicht stünden nun zwei BVV-Beschlüsse gegeneinander: Der alte Pro-Poller Antrag und der Kontra-Poller-Antrag von letzter Woche. Hier müsse nun abgewogen werden.

Entsteht ein neues verkehrspolitisches Bündnis? Der Antrag gegen den Poller war der erste kommunalpolitische Erfolg für das Wagenknecht-Bündnis in Berlin – auch wenn die drei Lichtenberger BSW-Verordneten nur das Zünglein an der Waage waren. Schon zur Gründung der Fraktion sagte mir der Vorsitzende Norman Wolf, dass er verkehrspolitische Schnittmengen mit der CDU sehe (T+). Schon in der ersten Pressemitteilung der BSW wurde eine behauptete „rigide Pollerkultur“ kritisiert. Die Fraktionen SPD, Grüne und Linke bezeichneten es in einer gemeinsamen Mitteilung als „beschämend, dass CDU und BSW gemeinsame Sache mit der AfD machen, indem sie bewusst die Stimmen der AfD einkalkuliert haben“.

„Natürlich stimmen wir für unsere selbst eingebrachten Anträge“, sagte CDU-Fraktionschef Benjamin Hudler. Man sei nicht mit der Gewissheit in diese Sitzung gegangen, dass es eine Mehrheit geben würde. Angesprochen auf die möglichen neuen Verbündeten aus dem Wagenknecht-Lager sagte er: „Wir nehmen es ganz entspannt zur Kenntnis, dass sich drei Menschen auf den Weg gemacht haben, um eine eigene Fraktion zu gründen“, so Hudler. Im Verkehrsausschuss würden bereits „Überschneidungen“ deutlich.

Ist Verkehrspolitik jetzt Kulturkampf? Bisweilen gewinnt man den Eindruck, dass ganz andere Konfliktlinien auf das schmale Stück Metall projiziert werden: Eine Poller-Gegnerin sagte im Gespräch mit dem Tagesspiegel, dass die Radfahrer seit Aufstellen des Pollers „viel aggressiver“ geworden seien. Befürworter des Pollers wurden auf Bürgerversammlungen als „Zugezogene“ geschmäht, die den Kiez angeblich in ein Dorf verwandeln wollen.

Selbst mit der Berliner Mauer wurde der Poller bereits verglichen. Mit der Faktentreue nimmt man es nicht immer so genau: CDU-Fraktionsmitglied Diana Ziegler zeigte sich in einer Mitteilung „erschüttert über das wirtschaftliche Unverständnis von Teilen der Linken und Grünen“. In derselben Mitteilung heißt es: „Wenn die Gewerbetreibenden aufgrund des Pollers von bis zu 30 Prozent Umsatzrückgang berichten, dann kann man nicht ein Jahr zuschauen, wie dies Geschäfte in die Insolvenz führt.“

Aufgrund des Pollers? Ob in einer wirtschaftlichen volatilen Zeit Umsatzeinbußen, die niemand in Abrede stellt, wirklich in eine direkte Kausalitätskette mit einzig und allein diesem schmalen Stück Metall zu bringen sind, erscheint mir sehr wagemutig, oder Herr Hudler? „Das mag sein“, sagte der CDU-Fraktionschef. „Aber in wirtschaftlich volatilen Zeiten ist es wichtig, zu reagieren, wenn Gewerbetreibende uns ein Signal geben.“

Wie soll Beteiligung gelingen? Die Verkehrsberuhigungsmaßnahme war das Ergebnis eines üblichen Beteiligungsprozesses: Einige Anwohnerinnen und Anwohner hatten sich zu einer Initiative zusammengeschlossen und Unterschriften für die Verkehrsberuhigung im Kiez gesammelt. 1460 Unterschriften kamen zusammen, die Block-Initiative brachte einen Antrag ein. Gegner des Pollers, darunter auch Gewerbetreibende aus dem Kiez, sagen, sie hätten von der Unterschriftenaktion nichts mitbekommen. Ein weiterer Vorwurf: Nicht alle Unterschriften stammten aus dem Kaskelkiez. Tatsächlich ist dies für einen solchen Antrag aber auch gar nicht notwendig: Es reicht, wenn alle Unterschriftengeber aus Lichtenberg kommen, dies wird auch vom Bezirksamt geprüft.

So oder so: Eine Beteiligung, von der sich einige nicht mitgenommen fühlen, ist, auch wenn formal nichts an ihr auszusetzen ist, sicher nicht das Optimum. Die Gründe, weshalb Beteiligungsformate an Menschen vorbeiziehen, sind vielfältig. Die Frage wäre nun: Wie nimmt man alle mit? Genau das will die CDU-Fraktion auch mit einem neuen Beteiligungsverfahren zur Poller-Frage leisten. Oder, wie man auf Nachfrage erfährt, vom Bezirksamt leisten lassen will: „Ich erwarte zeitnah Vorschläge des Bezirksamts, wie es an Beteiligung rangehen will“, sagte CDU-Fraktionschef Hudler. Am besten fände er einen „persönlichen Brief aus dem Bezirksamt“.