Nachbarschaft
Veröffentlicht am 25.06.2018 von Robert Klages
„Wir sind ein Zusammenschluss diverser Gruppen und Einzelpersonen mit verschiedenen sozialen Hintergründen. Die meisten wohnen selbst zur Miete und kennen den täglichen Struggle mit der Hausverwaltung.“ Aus Protest gegen knappen und zu teuren Wohnraum haben Gentrifizierungsgegner*innen (#besetzen) im Mai in Berlin mehrere leerstehende Häuser besetzt. Sie wollten dort selbstverwalteten Wohnraum erschaffen. In Neukölln und Kreuzberg wurden Gebäude von der Polizei geräumt.
Wie bewertet ihr im Nachhinein eure Aktionen? Ist alles so gelaufen, wie es geplant war? Was hättet ihr anders machen können? Es ist ein großer Erfolg, dass der Diskurs um Besetzungen und die aktuelle Stadtentwicklung wieder öffentlich geführt wird. Auch, dass über den vielen Leerstand in der Stadt geredet wird und darüber, dass viele Menschen die Mieten einfach nicht mehr zahlen können. Durch die Aktion ist eine Radikalisierung in der Debatte um/gegen neoliberale Stadtpolitik zu spüren. Solidarität und Unterstützung, gerade auch von Nachbar*innen, hat uns gezeigt, dass Besetzungen unter den derzeitigen Verhältnissen von vielen als legitime Form des Widerstandes angesehen werden. Untergegangen ist allerdings, dass es uns nicht in erster Linie um den Leerstand geht, sondern darum, dass Wohnraum marktwirtschaftlich organisiert ist. Erfreulicherweise hat die Aktion dazu geführt, dass die sogenannte Berliner Linie zu Besetzungen teilweise in Frage gestellt wird. Die Abschaffung der Berliner Linie und die Legalisierung von Hausbesetzungen gehört zu unseren langfristigen Zielen. Hier ist weiterhin Druck von links vonnöten. Leider konnte wir unser zweites Ziel, Freiräume zu schaffen und Leerstand wieder zu Wohnraum zu machen, nicht erreichen. Diese Besetzungswelle wird nicht die letzte gewesen sein.
Was war Sinn und Zweck eurer Aktionen? Wie entstand die Idee, Häuser zu besetzen? Zum einen ging es uns darum, uns Leerstand anzueignen, um solidarische Freiräume abseits der Eigentumslogik zu schaffen. Gleichzeitig sollte Wohnraum geschaffen werden, für Menschen, die auf dem Berliner Wohnungsmarkt keine Chance haben, etwas zu finden. Es soll unsere Kritik daran deutlich werden, dass Zugang zu Wohnraum und Wohnort abhängig von Einkommen und Herkunft ist. Es geht uns nicht um eine soziale Nachjustierung der neoliberalen Wohnungspolitik, sondern um eine radikale Neuerzählung. Den Lebensraum der Warenlogik entziehen, das heißt, Eigentum in Frage zu stellen. Die Idee, Häuser zu besetzen, ist nichts Neues. #besetzen schließt sich an eine lange Tradition von stadtpolitischen Kämpfen an. Viele von uns sind schon länger in stadtpolitischen Kontexten unterwegs. Die Verhältnisse in Berlin verschärfen sich seit Jahren. Deutlich wird das an Räumungen von Freiräumen wie dem Kiezladen Friedel54 letztes Jahr, Zwangsräumen, zehntausenden wohnungslosen Menschen. Geflüchtete werden in menschenunwürdigen Massenunterkünften untergebracht. Seit einiger Zeit mobilisieren sich Menschen in einer bisher noch nicht dagewesenen Breite. Die Radikalisierung der Debatte war für uns ein guter Ausgangspunkt, um die Dinge wieder selbst in die Hand zu nehmen und uns zu organisieren, anstelle auf die Politik des Senats zu vertrauen.
Wie bewertet ihr den Einsatz der Polizei bei der Räumung? Das kam für uns komplett überraschend, da wir zu diesem Zeitpunkt mitten in der Diskussion mit den Anwälten über die nächsten Verhandlungsschritte waren. Die Räumung selbst war äußerst brutal und endete für einige Menschen im Krankenhaus. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit waren die Besetzer*innen Willkür und Polizeigewalt ausgesetzt. Menschen wurden beschimpft, bedroht, geschlagen, teils bis zur Bewusstlosigkeit. Menschen wurden Treppen hinunter geschleift und getreten. Erzählungen psychischer Gewalt haben uns betroffen und wütend gemacht. Eine Person wurde in ein Zimmer geführt, wo sie alleine mit circa 15 Polizist*innen war. Ihr wurde gesagt, wenn sie jetzt nicht von alleine die Treppen hinunter ginge, würde ihr Gewalt angetan. Niemand könne es sehen.
Angeblich wurde euch angeboten, in dem Haus in der Bornsdorfer Straße zu bleiben, mit langfristigen Mietverträgen. Warum ist hier keine Einigung zustande gekommen? Voraussetzung für weiterführende Verhandlungen war für die Eigentümerin Stadt und Land stets, dass wir noch am selben Tag das Haus verlassen. Damit war die Zusage verknüpft, sich in den folgenden Tagen zu treffen und gemeinsam über die Zukunft des Hauses zu sprechen. Dieses hätte zum einen vorausgesetzt, dass wir unser Druckmittel – die Besetzung – aufgeben. Zum anderen konnten wir auf das „Angebot“ gar nicht mehr eingehen, da während der Entscheidungsfindung im Haus bereits mit der Räumung begonnen wurde. Von einem angeblichen Zeitlimit, von dem Ingo Malters, der Geschäftsführer von Stadt und Land, sprach, war nie die Rede. Die Leute im Haus waren telefonisch immer erreichbar und den Anwälten wurde von der Einsatzleitung versichert, dass nicht vor Abschluss der Beratung eingegriffen würde. Die plötzliche Räumung lässt uns im Nachhinein an der Ernsthaftigkeit dieses Angebots zweifeln. War es nur eine Strategie, um Zeit für die Räumungsvorbereitung zu gewinnen? Dafür spräche der Kommentar eines Beamten während der Räumung, auf die Nachfrage, was denn eigentlich mit den Verhandlungen sei: „Tja, war halt ne Finte, ne?!“
Was hätte in dem Haus in der Bornholmer Str. geschehen sollten, wenn ihr langfristig dort hättet bleiben können? Wir wollten einen selbstverwalteten unkommerziellen Raum schaffen. Im Parterre sollte ein offener Kiezraum entstehen. Ideen zur Gestaltung gab es viele, ein genaues Konzept sollte aber gemeinsam mit Nachbar*innen entstehen. Möglichkeiten wären inhaltliche Veranstaltungen aller Art, Mietrechts-, Sozial- und sonstige Beratungsangebote, Räume für politische Vernetzung gewesen und einfach ein Ort zum Treffen abseits kapitalistischer Verwertungslogik. In den oberen Etagen wäre Platz für Wohnraum entstanden, für Menschen die ihn brauchen.
Wie bewertet ihr die mediale Resonanz? Wie seht ihr euch in der Presse dargestellt? Das öffentliche Echo hat uns zugegebenermaßen positiv überrascht. Das liegt bestimmt auch daran, dass so viele Menschen von der Zuspitzung der Wohnungsthematik betroffen sind. Es kamen etliche internationale Anfragen, z.B. aus Schweden, Katalonien und Frankreich. Manchmal wird die Symbolik der Aktion zu sehr in den Vordergrund gestellt und unsere Ziele und der Ablauf der Verhandlungsgespräche verzerrt dargestellt. Teilweise wurde die Darstellung von Stadt und Land unkritisch übernommen. Teilweise wurde sich zu sehr auf die Leerstandsproblematik eingeschossen, ohne den größeren Kontext und andere Missstände zu beleuchten. Andererseits hat uns die viele ausgewogene Berichterstattung tatsächlich gefreut und positiv überrascht. Insgesamt finden wir es super, dass eine breite öffentliche Debatte angestoßen wurde. Wir würden uns freuen, wenn andere stadtpolitische Kämpfe die gleiche Aufmerksamkeit bekommen würden.
Was entgegnet ihr Sebastian Czaja, dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion, der euch „Straftäter“ nannte? Wir lassen uns nicht kriminalisieren und halten Hausbesetzungen weiterhin für ein legitimes Mittel. Recht und Gesetze sind ja nicht naturgegeben, sondern von Menschen gemacht und können und müssen auch von Menschen verändert werden. Tausende Menschen, die auf der Straße leben; Hunderttausende die teilweise die Hälfte ihrer Arbeitszeit nur für ihre Miete aufbringen; ganze Nachbarschaftsstrukturen, die zerstört werden: Das nennen wir Gewalt, die radikal kritisiert werden muss – nicht das Besetzen von leerstehenden Häusern. Deswegen fordern wir weiterhin, dass die Strafanträge wegen Hausfriedensbruch fallen gelassen werden.
Wie kommen die von euch genannten Zahlen zustande von „100.000 leerstehenden Wohnungen in Berlin“? Woher nehmt ihr diese Zahl, wenn diese überhaupt von euch eingebracht wurde? Diese Zahl geistert seit einiger Zeit durch die (sozialen) Medien. Dazu sagen wir, jede Wohnung, die zu lange leer steht, ist eine zu viel. Sei es, weil sie nicht instand gesetzt wird, aus spekulativen Gründen, oder etwa weil sie zu teuer ist. Dann hat das nichts mehr mit der „normalen Fluktuation“ zu tun. Da die Zahl nicht genau verifiziert werden kann, halten wir eine Untersuchung angebracht.
Was muss die Politik eurer Meinung nach besser machen? Was muss in der Wohnungsbaupolitik geschehen? Es geht uns nicht darum, Politikberatung zu machen. Wir halten außerparlamentarische Organisierung und Selbstverwaltung für erstrebenswerter. Trotzdem ein paar realpolitische Gedanken: Trotz Regierungsbeteiligung von SPD, Grünen und Linken gab es in den letzten Jahrzehnten keine Verbesserung der Wohnungsmarktsituation und weiterhin gelten neoliberale Prinzipien. Der Effekt sind Privatisierung, steigende Mieten, Wohnungsmangel und Räumungen von Wohnungen und sozialer Projekte. Auch das Vorkaufsrecht der Bezirke, womit es zumindest die Option niedriger Mieten gäbe, wird in den wenigsten Fällen angewandt. Und selbst wenn: Was bringt ein Vorkaufsrecht zugunsten kommunaler Unternehmen, wenn diese genauso profitorientiert handeln? Diese Unternehmen gehören zu 100 Prozent der Stadt. Was spricht eigentlich dagegen, ihnen anzuordnen, nur Wohnungen für 2 Euro/qm anzubieten? Rot-rot-grün könnte die städtischen Gesellschaften zu Anstalten des öffentlichen Rechts umbauen lassen und die Vorstände entlassen – damit wären sie keine profitorientierten Unternehmen mehr.
Oder das Zweckentfremdungsverbot: Klar, es ist verschärft worden – aber wie soll es durchgesetzt werden? Wenn der Senat und die Bezirke die Ansiedlung von Google und Co. forciert, auf Kosten der Nachbar*innenschaft, dann widerspricht das dem vermeintlichen Vorsatz von rot-rot-grün, eine soziale Stadt zu schaffen. Wir wollen keine vorsichtige Nachjustierung neoliberaler Stadt- und Wohnungspolitik von rot-rot-grün, sondern einen radikalen Bruch mit der herrschenden kapitalistischen Verwertungslogik.
Welche Partei sollte man eurer Meinung nach wählen – und welche nicht? Wir möchten keine Wahlempfehlungen aussprechen.
Ihr sagtet, es solle sich über das Prinzip Miete Gedanken gemacht werden. Was genau sollen Mieter*innen tun? Keine Miete mehr zahlen? Welche Alternativen gibt es? Erste Schritte sind immer, mit den Nachbar*innen zu reden und gemeinsam Probleme anzugehen. Es gibt in Berlin zahlreiche Organisationen und Initiativen, sei es die Gruppe „Zwangsräumung verhindern“, Mieter*innengemeinschaften oder kiezorientierte Gruppen, wie „Hände weg vom Wedding“, denen man sich anschließen kann, um einer solidarische Stadt näher zu kommen. Grundsätzlich gilt für uns, es sollte ein Recht auf Wohnen geben und Wohnraum keine Ware sein. Wir wollen einerseits Selbstorganisierung von unten unterstützen und anregen, andererseits kann auch von oben etwas passieren: Lasst uns über Enteignung reden!
Foto: dpa/Paul Zinken