Nachbarschaft
Veröffentlicht am 03.12.2018 von Paul Lufter

David Brocchi, 49, Sozialwissenschaftler und Initiator des „Tag des guten Lebens“
David Brocchi, geboren 1969 in Rimini (Italien), hat sich viele Gedanken darüber gemacht, was gutes Leben bedeuten könnte. 2011 kam Brocchi, der inzwischen in Köln lebt, die Idee zum Tag des guten Lebens. 2012 fand der Tag zum ersten Mal in Köln statt und wurde seitdem zu einer festen Institution in der Stadt. 2020 will Brocchi den Tag auch nach Berlin bringen. Anfang Oktober hatte ich Ihnen davon berichtet, erinnern Sie sich noch? In je einem Kiez in Mitte, Neukölln und Lichtenberg soll der Tag stattfinden.
Brocchi hat ein paar einfache Regeln aufgestellt: Alle Autos müssen weg. Es darf nichts verkauft oder gekauft werden, lediglich schenken und teilen ist erlaubt. Damit will man sich von kommerziellen Stadtfesten abgrenzen. Die Anwohner*innen müssen sich untereinander absprechen, was sie zum Tag beitragen wollen. Es gibt keine Alleingänge. Alle müssen zusammenarbeiten. Die Anwohner*innen haben an diesem Tag alles in der Hand, das geht jedoch auch mit entsprechenden Pflichten einher.
In Köln findet der Tag seit fünf Jahren statt. Für Brocchi ist ein selbstbestimmtes Leben ein gutes Leben. Steigender Konsum ist für ihn kein zwangsläufiger Parameter für tatsächlichen Wohlstand. Die Anwohner*innen sollen an diesem Tag Freiräume bekommen, ihren Kiez eigenmächtig zu gestalten. Nur so könne man der Demokratie aus der Krise helfen, meint Brocchi. Man muss Freiräume zur Entwicklung, Erprobung und Diskussion alternativer Lebenskonzepte erlauben, vor allem für Konzepte, die sich nicht am Wirtschaftswachstum orientieren. Der Tag soll ein Katalysator in Richtung Selbstbestimmung und Nachhaltigkeit sein.
Doch nicht überall ist man von seiner Idee überzeugt. „Ich werde immer wieder mit der Aussage konfrontiert, in Berlin gäbe es schon alles und mehr als das“, sagt Brocchi. „Eigentlich habe ich das damals auch in Köln gedacht, eine ebenso lebendige Großstadt wie Berlin. Es war entsprechend überraschend zu sehen, dass dort so etwas wie der Tag des guten Lebens zu einer Institution wird.“ Auch, dass jemand aus Köln nach Berlin kommt, um seine Ideen hier scheint einigen engstirnigen Geistern nicht zu gefallen. „Jemand kommt aus Köln und will Berlin bewegen, auch dieser Reaktion begegne ich“, sagt Brocchi. „Es ist ein Angebot von mir, ich bin eingeladen worden, ich arbeite mit vielen Berliner*innen inzwischen zusammen.“ Auch in Köln sei er damals nicht zu Hause gewesen, er lebe erst seit 2007 dort. Aber auch Berlin selbst bestehe inzwischen zu einem guten Teil aus Impulsen von außen, die diese Stadt so bunt machen, wie sie ist, sagt Brocchi.
Sich einer Idee zu verschließen, nur weil sie von außerhalb kommt, ist absurd. Vor allem wenn die Idee so gut ist, wie jene von Brocchi. Egal ob die Person dahinter nun aus Italien, Köln oder sonst woher kommt. Die Planungen für den Tag des guten Lebens 2020 in Berlin sind bereits in vollem Gange. In Lichtenberg plant man den Tag im Kaskelkiez. Sollten Sie dort wohnen und sich für den Tag interessieren, gucken Sie am 11. Januar 2019 doch mal um 17.30 Uhr beim nächsten Treffen für den Tag des guten Lebens in der Alten Schmiede in der Spittastraße 40 vorbei.
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-r.klages@tagesspiegel.de