Nachbarschaft
Veröffentlicht am 20.04.2020 von Robert Klages

Lichtenberg ist Schlusslicht in Sachen Dichte von Kinderärzt*innen, wie letzte Woche hier im Newsletter berichtet. Im Ortsteil Hohenschönhausen ist die Lage besonders schlimm. Steffen Lüder mit seiner Praxis am Prerower Platz 4 ist der letzte Kinderarzt in Neu-Hohenschönhausen. Zumindest in den Postleitzahlengebieten 13051, 57,59, wie er sagt. Einige andere Ärzt*innen gibt es in der Umgebung zwar schon, aber Lüders hat ordentlich zu tun.
Als er 2008 dort anfing, hatte er 900 Patient*innen – jetzt sind es 1900 pro Quartal. Neu Zugezogene hätten es schwierig, einen Termin zu bekommen. Im Winter hat er schon mal über 100 Patient*innen pro Tag bei sechs Stunden Öffnungszeit.
2008 gab es in diesem Einzugsgebiet noch sieben Kinderärzt*innen. Doch sechs sind weg: Eine ist zum Jahreswechsel in Rente gegangen, drei hatten ihre Praxis verkauft, drei andere sind nach Marzahn umgezogen. Es hatte sich keine Ärztin oder kein Arzt gefunden, dort weiterzuarbeiten. „Der Standort wirkt wohl nicht attraktiv“, sagt Lüder.
Kaum Privatpatient*innen, viele Ausländer*innen und Kinder aus Hartz-IV-Familien – das schrecke seine Kolleg*innen vielleicht ab, in Hohenschönhausen zu arbeiten, sagt Lüder. Und klar, es sei oft nicht leicht: Manchmal verstehe er die Patient*innen kaum. Viele leben in den Heimen für Geflüchtete, die in den letzten Jahren dazugekommen sind. Einige Analphabet*innen seien darunter. Trotzdem will Lüder natürlich dort bleiben, es mache ihm Spaß:
„Ich könnte als Arzt nicht in Prenzlauer Berg arbeiten und über Dinkelkekse und Pastinakenbrei reden.“ In Hohenschönhausen bestünde keine Frage darin, ob geimpft wird, sondern nur wann. Impfgegner*innen würde es bei ihm eigentlich nicht geben.
Was unternimmt der Bezirk gegen den Ärzt*innenmangel? Seit Mitte 2019 gibt es eine Zusammenarbeit der Bereiche Wirtschaftsförderung und Gesundheit zur Erarbeitung eines Informationspaket für Ärzt*innen:
Unter dem Titel „Mach mal Praxis“ wurde ein Lotsenangebot für die Neuansiedlung von Ärzt*innen konzipiert, entwickelt und umgesetzt. Der Bezirk unterstützt bei der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten. In Absprache mit der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV) werden interessierte Ärzt*innen bereits während des Bewerbungsprozesses auf das Angebot des Bezirksamtes Lichtenberg hingewiesen.
Es wird gegenwärtig geprüft, ob Praxisräume als Infrastrukturbedarfe bei zukünftigen Bauprojekten berücksichtigt werden können. Katrin Framke (parteilos, für Die Linke), Bezirksstadträtin für Familie, Jugend, Gesundheit und Bürger*innendienste führte bereits Gespräche mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Howoge.
Das Thema Schaffung von Praxisräumen werde in jede städtebauliche Planung und Gesprächen mit Investor*innen aufgenommen, schreibt mir Framke. Sie stellt jedoch klar: „Das Bezirksamt kann lediglich Räume zu eigenen Zwecken anmieten. Es ist dem Bezirksamt nicht möglich eigene Arztpraxen zu betreiben, daher gehen Vorschläge, das Bezirksamt solle selbst Räume anmieten, fehl.“ Gemeint ist die Aussage des CDU-Abgeordneten Danny Freymark, der im letzten Newsletter zitiert wurde: „Auch der Bezirk darf mehr tun, indem er eigene Räumlichkeiten schafft und Kinderärzt*innen aktiv anspricht.“
Die nachhaltige Verbesserung der ärztlichen Versorgung sei seit Jahren ein wichtiges Thema im Bezirk, so Framke weiter. Die Zuständigkeit liege zwar bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin und der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, jedoch sei der Bezirk auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder aktiv geworden:
Seit der Veröffentlichung der Ärztestudie im Jahr 2017 setze sich das Bezirksamt beständig für eine Verbesserung der medizinischen Versorgung im Bezirk ein. Sowohl schriftlich als auch in initiierten Gesprächen werde auf die schwierige Situation bei der ambulanten medizinischen Versorgung in Lichtenberg insbesondere mit Haus- und Kinderärzt*innen hingewiesen und Unterstützung und Lösungsansätze von den zuständigen Stellen gefordert. Die KV, die Senatsverwaltung sowie die Senatorin für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Dilek Kalayci (SPD) seien ebenso angesprochen worden wie diverse Krankenkassenvertrete*innen.
Niemand kann Ärzt*innen zwingen, sich in Hohenschönhausen niederzulassen. Aber ist es denn wirklich so mies dort, dass niemand dort arbeiten möchte? Wie dringend Praxen an diesem Standort benötigt werden, habe ich auch bei einer Vorort-Recherche erfahren.
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-r.klages@tagesspiegel.de