Nachbarschaft

Veröffentlicht am 13.07.2020 von Pauline Faust

Olaf Ruhl © Faust

Olaf Ruhl wohnt im Weitlingkiez und das schon seit 16 Jahren. Anfangs wusste er gar nicht wo er da eigentlich hingezogen war. Als Ruhl um den Ruf des Nazi-Kiez erfuhr, bestärkte ihn das in seiner künstlerischen Arbeit: Ruhl macht Musik mit jiddischen Texten. Er selbst ist evangelisch, über die Jahre hat der studierte Theologe sich an seine jüdische Identität herangetastet, Ahnenforschung betrieben und bringt nun die jiddische Sprache und das Judentum seinem Publikum näher. 2010 hat er den Frieda-Rosenthal-Preis für seine Arbeit gegen Rechtsextremismus erhalten.

Warum sind Sie in den Weitlingkiez gezogen? Damals habe ich eine preiswerte Miete gesucht und hier gefunden. Ich wollte auch nicht lange bleiben. Dass die rechte Szene hier so aktiv war, wusste ich in den ersten vier Jahren gar nicht. Und als ich es dann mitbekam, wurde mir klar: Hier müssen jiddische Lieder her. Ich habe dann im NeLi-Treff gesungen und bin ich aktiver geworden im Bezirk. Ich war auch im Lichtenberger Bündnis für Demokratie und Toleranz aktiv. Das Bündnis ist heute aber eher ein E-Mail-Verteiler. Aber damals haben wir Demos organisiert – zum Beispiel gegen den Nazi-Treff auf der Lückstraße [2014]. Ich erinnere mich noch an eine Demonstration der Nazis, da gab es dann eine Sitzblockade von uns und die Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich hat sich selbst auf die Straße gesetzt [2009].

Wie sieht Ihr persönliches Engagement aus? Ich bin nicht der Typ für direkte Konfrontation, wenn es sich vermeiden lässt. Mein Engagement gegen Rechtsextremismus ist erst einmal diese Trotzhaltung: Ich bin da, auch gerade, weil ihr hier seid. Ich plakatiere dann auch für meine Konzerte in der Weitlingstraße – auch wenn da am nächsten Tag eine Nazi-Demo ist. Anfeindungen habe ich selbst noch nicht erlebt.

Verstehen Sie auch Ihre Musik an sich als Aktivismus? Ja. Ich bin Kulturvermittler und versuche Interesse am Judentum und der jiddischen Sprache zu wecken. Wer noch nicht auf dem scharfen rechten Trip ist, den möchte ich davor bewahren. Ich erzähle jüdische Anekdoten und übersetzte meine Texte für das Publikum. So lernen sie auch das Deutsche besser kennen: Es gibt viele Wörter und Redewendungen, die aus dem Jiddischen kommen. Wenn einer Schmiere steht etwa, dann hält er Ausschau nach der schimro, der Polizei. Oder Kies für Geld, das hat auch einen jüdischen Ursprung.

Wie ist die aktuelle Situation für Sie? Es wurden viele Veranstaltungen verschoben. Ich habe die Unterstützung vom Senat für Freiberufler beantragt, die war auch sehr schnell da. Im September habe ich einige Auftritte, ansonsten bin ich auf der Suche. Foto: Pauline Faust

 

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  • Aktuelle Lage bei Galleria-Kaufhof
  • Dong Xuan Center: Bezirk will Rechtslage umsetzten – in der Zukunft
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