Nachbarschaft
Veröffentlicht am 15.02.2021 von Masha Slawinski
Jess studiert Agrarwissenschaft an der Humboldt-Universität. Die vergangenen Jahre lebte sie an der Rummelsburger Bucht in ihrem Wohnwagen, auf der Fläche, die ein Investor gekauft hat, um dort das Meeresaquarium „Coral World“ zu bauen. In der Nacht von Freitag zu Samstag voriger Woche mussten die Anwohnenden die Fläche plötzlich verlassen. Aus Sicht des Bezirksamts war das eine Evakuierung wegen der zu erwartenden Kälte, aus Sicht der Anwohnenden eine Räumung. Als Jess am Tag darauf ihre Sachen abholen wollte, war ihr Wohnwagen zerstört. Am 12. Februar versammelten sich an der Haupt-, Ecke Kynaststraße 300 Menschen, um gegen das Vorgehen des Bezirks zu demonstrieren, bei der Jess ein Rede hielt.
Wo wohnst Du gerade? Ich bin seit ungefähr anderthalb Monaten in einem Hostel untergebracht, einfach studienbedingt. Normalerweise habe ich immer in der Bucht gewohnt und dann in Cafés gelernt oder in der Bibliothek, aber momentan ist das wegen Corona problematisch, das wissen wir ja. Darum habe ich mich entschlossen, für den Winter ins Hostel zu gehen. Aber ich war immer mal wieder in der Bucht und mein Wohnwagen stand ja auch noch da.
Kannst Du den Abend der Räumung aus Deiner Sicht rekonstruieren? Wir haben am Freitag gegen 20 Uhr bei Freunden im Camp angerufen und da hieß es, ’nee es ist alles wie immer‘. Um 22 Uhr haben sie gesagt, dass am nächsten Tag ein Kältezelt aufgestellt werden soll, aber sonst sei alles gut. Und gegen 0.30 Uhr haben wir erneut angerufen und da hieß es ‚kommt sofort her‘. Um 1 Uhr waren wir dann vor Ort. Wir hatten eine halbe Stunde, unser Zeug zusammenzupacken und dann mussten wir gehen. Ein Polizist, der den Einsatz geleitet hat, sicherte uns zu, dass wir unsere restlichen Sachen am nächsten Tag abholen können. Als wir Samstagmittag ankamen, war mein Wohnwagen schon zerstört.
Gibt es schon Informationen zur Entschädigung seitens des Bezirks? Ja, die haben mir eine E-Mailadresse gesendet. Ich hab das jetzt erstmal zum Anwalt gegeben, und das muss jetzt seine Wege machen und dann werden wir sehen, was dabei rauskommt.
Wie fandest Du die Demo? Von dem was ich gesehen habe, bin ich wirklich zufrieden. Es waren viele Leute da, und es wurde gesagt, was gesagt werden muss, ohne Gewalt, das ist mir sehr wichtig. Ich find’s schade, dass das Camp schon wieder in irgendeine politische Richtung gedrängt wird. Wir sind verschiedene Persönlichkeiten und wenn ihr von irgendeiner Person eine politische Einstellung hören wollt, dann müsst ihr die Leute persönlich fragen, aber nicht einfach über einen Kamm scheren.
Wie sehen deine nächsten Tage aus? Ich hoffe, dass Ruhe einkehrt. Es ist wirklich viel momentan. Ich komme ins Hostel und bin eigentlich nur erschöpft, aber ich kann nicht schlafen, weil ich nicht zur Ruhe komme, weil mich das innerlich so beschäftigt. Ich habe jetzt zwar ein warmes Bett und einen ruhigen Ort, aber ich bin trotzdem aufgewühlt. Jetzt ist gerade auch Prüfungszeitraum, das ist total nervig. Eigentlich müsste ich mich auf die Uni konzentrieren und stattdessen muss ich mich mit sowas rumstreiten, es ist Wahnsinn. – Foto: Masha Slawinski
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