Nachbarschaft

Veröffentlicht am 29.03.2021 von Masha Slawinski

Yannik G., 22 Jahre alt, studiert seit November Medizin an der Charité. Bis auf den ersten Monat lief sein Studium allerdings digital ab, weswegen er zuerst weiter in seiner Heimatstadt Hamburg lebte. Im Februar ist er dann nach Lichtenberg gezogen. 

Warum bist du kurz vor Beginn der Semesterferien nach Berlin gezogen? Um Berliner Luft zu schnuppern und die Stadt kennenzulernen. Irgendwann musste ich mich ja hierher wagen. Im nächsten Semester wird das Meiste eh virtuell stattfinden, also hätte ich auch woanders sein können. Aber ich wollte nach Berlin, weil das eben die Stadt ist, in der ich studiere.

Ist es ein anderes Gefühl an einer Berliner Uni zu studieren, jetzt wo du auch in Berlin lebst? Ja, davor habe ich immer bei Freund*innen oder Familie gewohnt und das ist die pure Ablenkung. Jetzt hab ich mein eigenes Zimmer und keinen, der da reinläuft und mich von Studieren ablenkt. Darum war es schon eine gute Idee nach Berlin zu ziehen.

Warum hast du dich dafür entschieden, Medizin zu studieren? Das war ein Kindheitstraum, seit ich zwölf war, wollte ich Mediziner werden. Damals dachte ich mir,  wenn ich ein gutes Abitur habe, dann studiere ich Medizin. Mit 17 hat das geklappt – aber ich entschied mich erstmal zu reisen. Ich war in Australien unterwegs. Es sollten nur drei Monate sein, daraus wurden aber fast zwei Jahre.

Wie kamst du dann zu dem Entschluss mit dem „Ernst des Lebens“ zu starten? Mir war schon immer klar, dass ich aus Australien zurückkehren werde. Ich habe da zwei Jahre so ein bisschen dekadent gelebt, bin auf Raves gegangen, habe sie selber veranstaltet und habe in besetzten Häusern gewohnt. Das hört sich klischeehaft an, aber in Australien habe ich mich selbst gefunden. Gleichzeitig habe ich in der Zeit gemerkt, wie wichtig es ist, ein Ziel vor Augen zu haben, das hat mir dort gefehlt. Und darum habe ich mit dem Studium angefangen.

Hast du dein erstes Semester gut überstanden? Ein Studienanfang mit Corona ist schon sehr speziell. Am Anfang denkst du dir, ,Hä, was mach ich hier?‘ Ich hab davor noch nie studiert, für mich war das auch die erste Erfahrung nach der Schule mal wieder Theorie zu lernen. Es war so komisch am Anfang, dass alle vorm PC gehockt haben und man sie nur bis zum Kinn sehen konnte. Aber nach zwei-drei Monaten merkst du, dass das normal für dich ist. Und so sehr es mir wehtut das zu sagen, ich kanns mir kaum mehr anders vorstellen.

Sind die Inhalte denn trotz des digitalen Semesters bei dir angekommen? Ja, teilweise schon, weil du sie immer auf Abruf hattest, da die Vorlesungen schon hochgestellt waren und du sie gucken konntest, wann du wolltest. Dadurch bekommst du die Freiheit, dass du Sachen, die dich interessieren, direkt lernen kannst. Und außerdem kannst du auch Dinge, die dich nicht interessieren, einfach ignorieren.

Was war für dich in diesem Semester besonders spannend? Im November hatten wir noch Präsenzveranstaltungen. Einmal gab es von der psychosomatischen Abteilung der Charité eine Veranstaltung am Campus Benjamin-Franklin. Ein Dozent hat eine Patientin von der psychosomatischen Station in unsere Vorlesung mitgenommen und eine meiner Kommilitoninnen durfte sie dann “interviewen” und fragen, wie sich eine psychosomatische Krankheit anfühlt und manifestiert, was wirklich sehr interessant ist. Leute denken immer, wenn du Knieschmerzen hast, dann muss das ja im Knie, im Nerv, im Knorpel oder im Knochen etc. hadern, aber es kann auch im Kopf hadern.

Was lief nicht gut in der Zeit? Das Schlimmste waren die Online-Praktika. So ein Online-Praktikum ist völliger Schlodder. Eigentlich würdest du bei einem Praktikum zum Beispiel aus deinem eigenen Speichel eine Probe entnehmen und den Chromosomensatz unterm Mikroskop angucken. Aber jetzt sitzen sechzig Leute in Microsoft Teams mit einem Dozenten. Der sagt: „Stellen Sie sich vor, Sie hätten jetzt Ihren Chromosomensatz vor sich liegen und der würde dann so aussehen.“ Es ist halt hundertmal cooler und beeindruckender seinen eigenen Chromosomensatz anzugucken, als sich Powerpoint-Folien anzuschauen.

Wie verbringst du deine Semesterferien? Also momentan arbeite ich viel. Ich mache Corona-Abstriche, meistens in Testzentren. 

Und wie gefällt dir der Job? Man hat einfach mal etwas Menschenkontakt. Das ist cooler, als im Homeoffice zu chillen. Und das Team ist sehr jung, da arbeiten vor allem Student*innen, die Atmosphäre ist entspannt. Es ist sehr organisiert und geht gut voran. Für viele Menschen ist das tatsächlich der erste Test. Die freuen sich manchmal irgendwie sogar das jetzt so einfach machen zu können. Da ist gar keine angespannte Atmosphäre. Es gab so eins-zwei Leute in Richtung Querdenker. Die haben sich testen lassen und meinten: „Mach fertig und erzähl mir nix von deinem Spuk. Ich glaub doch eh nicht mehr an diesen ganzen Kram hier.“ Die gibt es leider wirklich. Aber solche Bemerkungen sind zum Glück eher der Ausnahmefall.

Foto: privat

 

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