Nachbarschaft
Veröffentlicht am 19.04.2021 von Robert Klages
Max Müller, Religionswissenschaftler, forscht zum vietnamesischen Leben in Berlin. Im Bezirk Lichtenberg leben mehr als 10.000 Vietnames*innen. Der heutige Weißenseer Weg hieß früher Ho-Chi-Minh-Straße. Die ehemaligen DDR-Gastarbeiter*innen sind geblieben und haben ihre Familien nachgeholt. Es kommen Studierende, Auszubildende und Leute, die sich in Deutschland ein besseres Leben erhoffen. Im „Pacific Center“, einem Großhandelszentrum, das an das bekannte „Dong-Xuan-Center“ grenzt, befindet sich die Phổ Đà Pagode – sie ist derzeit, wie berichtet, auf der Suche nach einem neuen Ort. Hier mein Text über einen Besuch vor Ort.
Die Gemeinde ist froh, dass der Bezirk ihnen das Wort gegeben hat, vor Ort bleiben zu können, bis sie einen neuen Ort gefunden haben. Sie sind traurig, ihren Bereich im Herzen das vietnamesischen Lebens in Berlin verlassen zu müssen, hatten sie doch auf ein Einlenken des Bezirksamts gehofft, trotz eines Schwarzanbaus auf dem Gewerbegebiet des Pacific-Centers bleiben zu können. Doch das Bezirksamt sieht in der Pagode keinen Religionsort, sondern eine kulturelle Einrichtung. Diese sind nicht erlaubt im Bereich des produzierenden Gewerbes. Bei meinen Besuch an der Pagode habe ich auch Max Müller kennengelernt, der in Friedrichshain aufgewachsen ist.
Müller zieht seine Adidas-Schuhe aus und läuft in gelben Motivsocken durch den Gebetssaal. Eine Frau erscheint und fragt, ob Tee gewünscht sei. Der 28-Jährige von der Freien Universität Berlin möchte seine Doktorarbeit über das vietnamesische Leben in Berlin schreiben und hat sich der buddhistischen Gemeinde in Lichtenberg angeschlossen. Als Buddhist sieht sich der Religionswissenschaftler aber nicht.
Müller erzählt, er habe schon als Kind Freund*innen mit vietnamesischen Eltern gehabt. Über die Themen „Identität, Heimat und Zugehörigkeit“ hat er im Dialog mit ihnen seine Masterarbeit verfasst. Diese könnt ihr bei Interesse hier lesen. Für sein anschließendes Masterstudium in Göttingen war der Sozial- und Kulturanthropologe ein Jahr in Hanoi. Seit Oktober 2019 arbeitet Müller als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin, im „Sonderforschungsbereich 1711 Affective Societies, Teilprojekt Affekte und Institutionalisierungsprozesse in vietnamesischen Carescapes Berlin“. Dazu mehr hier.
Als engagierter Wissenschaftler ist es Müllers Ziel, „die psychosoziale Versorgung von vietnamesischen Migrant*innen in Berlin zu verbessern“. An der Charité gibt es eine „Spezialambulanz für vietnamesische Migrant*innen“ (Hindenburgdamm 30). Ebenso am Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge in der Herzbergstraße 79. Das „Netzwerk für Seelische Gesundheit von vietnamesischen Migrant*innen“ bietet Prävention und Beratung in einer kultursensiblen fachärztlichen und muttersprachlichen Diagnostik und einer anschließenden kultursensiblen Behandlung bis hin zur Rehabilitation und Wiedereingliederung im Rahmen psychosozialer Integrationsmaßnahmen.
Während seiner Forschungsarbeit stieß Müller auf eine Nähgruppe von Vietnamesinnen und Vietnamesen, die ehrenamtlich Atemschutzmasken herstellten und verschenkten. „Sie wollten Deutschland, dem Land, das sie aufgenommen hat, in der Pandemie etwas zurückgeben und einfach helfen, das Virus zu bewältigen“, erzählt Müller. Seitdem er Teil der Pagode ist hilft er im Dialog mit Ämtern und Politik. Der Gedenkort sei wichtig für die vietnamesischen Migrant*innen, um ein gutes Leben in Berlin zu führen, sagt er. Mehr dazu werden wir dann in seiner Doktorarbeit zu diesem Thema lesen können.
- Foto: Robert Klages
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