Nachbarschaft
Veröffentlicht am 16.01.2023 von Robert Klages

Patricia Holland-Moritz ist Schriftstellerin und macht derzeit Wahlkampf für ihre SPD in Lichtenberg. Sie kandidiert im Weitlingkiez/Friedrichsfelde für das Abgeordnetenhaus. Die gelernte Buchhändlerin arbeitete nach der Ausreise aus der ehemaligen DDR in Frankreich zunächst als Speditionsangestellte und in Berlin als Tourneeveranstalterin für Bands. Anschließend war sie mehr als 20 Jahre beim Ullstein Verlag angestellt. Sie begann, eigene Bücher zu schreiben, darunter „Die Einsamkeit des Chamäleons“ 2014.
Dem Lichtenberg Newsletter erzählt sie ihre Geschichte. Wie bei Schriftsteller:innen üblich, ist diese nicht gerade kurz. Aber es lohnt sich:
Wahrscheinlich begann das Ganze, was ich heute den Weg zum Schreiben nenne, mit einem recht ungleichen Paar. Auf der einen Seite eine DDR-Journalistin und Kinokritikerin für den „Eulenspiegel“, Renate Holland-Moritz. Auf der anderen Seite ein Widerborst von Protestant, was der Pfarrer des Leipziger Ablegers meiner Familie, Christian Führer, war. Letzterer hat in der Familie getauft, getraut und beerdigt, und dann mit Kurt Masur, Bernd-Lutz Lange und anderen von seiner Nikolaikirche aus jenen Demonstrationszug der 65.000 initiiert, den wir heute Friedliche Revolution nennen.
2009 habe ich seine Autobiographie verfasst (er durfte sich erster „Pfarrer mit Geistschreiber“ – Ghostwriter – nennen; war kein Mann des geschriebenen, sondern des gesprochenen Wortes). Und meine Namensvetterin und entfernte Verwandte, die Film-Eule Holland-Moritz, hat Manfred Krugs „Spur der Steine“ noch besprochen, als der Film längst auf dem Index stand. Das hat Krug ihr nie vergessen.
Dermaßen flankiert lernte ich mein Schreiben in Karl-Marx-Stadt schon als Schülerin im „Zirkel Schreibender Arbeiter“ beim Meister der Miniatur, Rainer Klis. „Alles raus, was keine Miete zahlt“ war die Parole, wenn es an meine Kurzgeschichten ging, die er auf Fünfzeiler zusammenzukürzen wusste.
Meine Eltern waren geschieden, meine Mutter heiratete einen Franzosen und ließ mich zurück, als sie 1983 nach Paris zog. Das war in Ordnung für mich, weil ich meinen Vater auch gern mochte, bei dem ich fortan lebte. Nach dem Abitur merkte ich allerdings, dass ich zu keinerlei Studienplatz zugelassen wurde, da man eh mit meiner Ausreise rechnete. Den Wunsch habe ich ihnen dann auch im Sommer 1989 erfüllt, ging am 14. Juli direkt nach Paris, am 200. Jahrestag des Sturmes der Bastille.
Ich sprach kein Wort Französisch, dafür fließend Russisch (Russischklasse) und akzeptables Englisch, was hier natürlich keinen interessierte. Habe vormittags an einer Schule zusammen mit anderen Einwanderern gelernt und nachmittags in einer Spedition im Norden von Paris Akten sortiert. Dorthin in den Norden zog ich dann wegen der exorbitanten Pariser Mieten, lebte unter afrikanischen Familien und war als die Exotin schlechthin. Zwei Jahre Paris, dann (1991) nach Berlin, Studium begonnen, Tochter geboren und allein großgezogen, Studium abgebrochen und beim Jobben im Irish Pub den britischen Musiker Tim Green (Gitarrist bei Mungo Jerry) kennengelernt, der gerade Leute für eine Booking-Agentur suchte.
Einige Jahre auf Tour gewesen mit den 17 Hippies, Gloria Gaynor rundum betreut, „Kraftwerk“ nach Chemnitz gelotst und britische Crossover-Bands auf Open Airs vermittelt. Um etwas sesshafter werden zu können, bewarb ich mich auf eine Anzeige für eine Stelle als Sekretärin beim Ullstein Verlag. Dort fing ich 1999 an, der Verlag zog im selben Jahr nach München, ich und Tochter durften mitziehen, 2004 ging es zurück nach Berlin, ich hatte mich etwas hochgearbeitet und zum Schluss das spirituelle Imprint „Allegria“ geleitet.
2021 (Lockdown und Homeoffice) und ein gewisses Alter bewegten mich zur Kündigung nach 22 Jahren. In der SPD war ich da schon seit einigen Jahren, nun nutzte ich die neu gewonnene Zeit für aktive Parteiarbeit:
Ich kandidierte im Weitlingkiez/Friedrichsfelde für das Abgeordnetenhaus. Habe es damals hinter Hendrikjie Klein (Linke) wenigstens auf Platz 2 geschafft und darf nun nochmal ran. Die Sozis waren für mich immer eine „eingeführte“ Partei ohne große Überraschungen und Trend-Hechelei. Sie passen zu meiner pragmatischen Art, immer bei der Sparkasse zu bleiben, egal, was andere einem bieten. Kleinstparteien oder Initiativen sind nicht mein Ding. Und was bei der SPD nicht mein Ding ist, kann ich da offen sagen.
Politisch bin ich näher an Franziska Giffey, die selbst keine Freundin der bestehenden Koalition ist (um nur ein Beispiel zu nennen) als immer nur linkslinks. Auch bei anderen demokratischen Parteien erkenne ich Menschen, die mir in ihrem Aktivismus gefallen, das sehe ich alles nicht so eng. Am Ende des Tages (und mitten in der Krise) sind wir Demokratischen uns doch eigentlich einig, können es nur nicht zeigen, ach ja, es ist ja Wahlkampf.
Politik ist für mich Straßenarbeit, weil sich nur dort die Geschichten abspielen, die für uns als Politiker eine Rolle spielen sollten. Seit 2018 arbeite ich jeden Samstag ehrenamtlich im Tagestreff für Wohnungslose in der Weitlingstraße. Anfangs mit dem voyeuristischen Hintergedanken einer Schriftstellerin, mittlerweile für mich aus meinem Alltag nicht mehr wegzudenken. Schon wenn mich die Leute der sogenannten Trinkerszene am Bahnhof fröhlich begrüßen und der eine oder die andere sich freut, wenn ich zum Quatschen stehenbleibe, ist doch schon was Schönes passiert.
Das Schreiben lief immer nebenher, aber nicht als Nebensache. Mein letzter Roman („Kaßbergen“, 2021 bei Aufbau) war der, den ich immer schreiben wollte, mit dem ich meiner Heimatstadt, Karl-Marx-Stadt von damals und dem Chemnitz von heute, jene Gerechtigkeit widerfahren lassen wollte, auf die sie mit dem Ruf als „braune Stadt“ keine Chance mehr hatte. Zumindest in den Augen der Leserschaft im Osten scheint das gelungen.
- Eine Lesung vom Holland-Moritz gibt es am 22. Januar um 19 Uhr im „Kiezbüro“ der SPD-Abgeordneten Tamara Lüdke, Siegfriedstraße 16. Der Roman „Kaßbergen“ soll live synchronisiert werden, wozu der Schauspieler John Paul Roßmy eingeladen wurde.
- Foto: privat
- Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: robert.klages@tagesspiegel.de