Intro

von Ingo Salmen

Veröffentlicht am 02.06.2020

wenn es noch eines Nachweises bedurfte, dass die Coronakrise einiges auf den Kopf gestellt hat, dann war er am Donnerstag in der Bezirksverordnetenversammlung zu finden: Das Comeback nach drei Monaten Zwangspause (das letzte Plenum war am 27. Februar) fand in der Frauensporthalle statt, die Reihen weit aufgefächert, ein etwas widerspenstiger Spender für Desinfektionsmittel am Pult, die Sitzungsdauer auf drei statt fünf Stunden begrenzt.

Damit ging allerdings noch nicht die Rückkehr zu großen Debatten einher. Denn auf ausdrücklichen Wunsch der Fraktionen nahm sich das Bezirksamt ausführlich Zeit für seine Berichterstattung – und referierte von 17.09 bis 19.46 Uhr auch viele Punkte, die durch Pressemitteilungen, Medienberichte oder unseren Newsletter längst bekannt waren. Streng genommen waren am Ende nur noch 14 Minuten für die weiteren 72 Tagesordnungspunkte übrig, wobei mit etwas Zugabe doch eine gute halbe Stunde blieb, um den Großteil über Konsenslisten abzuarbeiten und einen Antrag sogar richtig zu debattieren. Zur Erinnerung: Vor nicht allzu langer Zeit hatten die Fraktionen das Bezirksamt noch gebeten, sich kurz zu fassen, sogar eine Redezeitbegrenzung war im Gespräch.

Das ist das Schöne an der Kommunalpolitik: Auch wer sie schon eine Weile beobachtet, erlebt immer wieder Neues. Das gilt auch für unsere Leute-Bezirksnewsletter, denn in dieser Woche werden sie vier Jahre alt. Der für Marzahn-Hellersdorf erschien zum ersten Mal am 7. Juni 2016. Aus einigen hundert Leser*innen sind allein hier im Bezirk inzwischen viele tausend geworden. Gerade in der Coronakrise haben wir zahlreiche neue Leser*innen gewonnen, das Informationsbedürfnis ist ungemein groß.

Erlauben Sie mir deshalb zwei Hinweise in eigener Sache: Wenn Sie einzelne Beiträge weiterempfehlen, also in Mails und Tweets, bei Whatsapp oder auf Facebook teilen wollen, können Sie auf das graue Feld am Ende jedes Beitrags klicken; es öffnet sich ein Browserfenster mit dem Beitrag, sie brauchen dann nur noch die Adresse zu kopieren. Außerdem freue ich mich, Ihnen zum vierten Geburtstag Nachwuchs vorstellen zu dürfen: Ab sofort werde ich mir die Arbeit am Newsletter (die natürlich vor allem Vergnügen ist) mit meinem Kollegen Caspar Schwietering teilen. Er ist Ihnen ja schon durch die ein oder andere Vertretung bekannt, hat auch die letzten beiden Ausgaben im Mai geschrieben – und so werden wir es auch künftig halten: Pro Monat teilen wir uns die Newsletter hälftig auf. Ich habe schon in den vergangenen Wochen gemerkt, dass er viele neue Ideen einbringt, was auch für Sie sicherlich eine Bereicherung bedeuten wird.

Das passende Geschenk kommt von Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt und Kolumnist Harald Martenstein. Sie haben in 100 Kapiteln alles aufgeschrieben, was sie an Schrulligkeiten und Liebenswertem in dieser Stadt finden konnten. Der Termin drängte, das Buch erscheint nämlich am heutigen Dienstag (erhältlich auch im Tagesspiegel-Shop), deshalb sind leider nur 13 Kapitel fertig geworden. Eines ist auch den Bezirken gewidmet. Lustvoll reitet Lorenz Maroldt auf den Klischees herum, die ja immer auch ein Fünkchen Wahrheit in sich tragen, gerade in Berlin. „Von Lichtenberg bekommt der gemeine Berliner heute eigentlich nur dann etwas mit, wenn es mal wieder im Dong Xuan Center brennt“, erfahren wir zum Beispiel. Oder der herrenlose Schrott-Opel aus Spandau mit Rostocker Kennzeichen: Ein Jahr lang stand er im Halteverbot, dann hatte das Bezirksamt das Problem gelöst –  durch Entfernen des Halteverbotsschilds. Eine wahre Geschichte.

Von Spandau nach Marzahn dauert es übrigens länger (58 Minuten) als nach Wolfsburg (52 Minuten). Aus Mitte hören wir vom Schimmel im Bauaktenarchiv, vom Schimmel bei der Lebensmittelpersonalberatung, von verschimmelten Einschulungsbescheiden und dem Wunsch, dass die Touristen doch auch mal einen Biergarten in Marzahn aufsuchen. „Aber die Touristen sind irgendwie nicht so richtig überzeugt von Marzahn-Hellersdorf.“ MaHe von den Touristen allerdings auch nicht. „Marzahn ist für Berlin so eine Art angeheirateter Onkel vom Land, mit dem niemand gerne spricht und den auch niemand so richtig kennenlernen will“, schreibt Lorenz Maroldt. „Die Tante, das Hellersdorf der Familie, verteidigt ihn leidenschaftslos: Na ja, er hat auch seine guten Seiten.“

Die Aufzählung umfasst immerhin einen ganzen Absatz: Gärten der Welt, Seilbahn, Skywalk, Gründerzeitmuseum. Dann aber noch das: „Als auf dem Berliner Ring neue Autobahn-Abfahrtsschilder aufgestellt wurden, stand auf allen vieren in Richtung Marzahn ‚Mahrzahn‘. Der Fehler war niemandem aufgefallen.“ Und eine Stadträtin wird mit dem Satz zitiert: „Wir brauchen festen Belag auf allen Straßen.“

Umso mehr verwundert es, dass Senat und Bezirke diese eigentlich unregierbare Stadt recht passabel durch die ersten drei Monate der Coronakrise gesteuert haben – in gemeinsamer Anstrengung mit Unternehmen und Beschäftigten, Vereinen und Initiativen (von den Ravern auf dem Landwehrkanal mal abgesehen). – Text: Ingo Salmen
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Dieser Text erschien im Tagesspiegel für Marzahn-Hellersdorf. Den gibt es als Newsletter kostenlos und in voller Länge unter leute.tagesspiegel.de
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