Intro
von Paul Lufter
Veröffentlicht am 30.03.2021
diese Woche möchte ich nicht mit dem Thema Corona anfangen. In der vergangenen Mittwoch wurde eine schwangere Frau auf offener Straße rassistisch beleidigt und attackiert. Die 33-Jährige befand sich gerade mit ihren beiden Kindern auf dem Heimweg, als sie in der Erich-Kästner-Straße von einer unbekannten Frau wegen ihrer Hautfarbe angesprochen wurde. Was folgte waren fremdenfeindliche Beleidigungen, laut Polizeiangaben fiel das N-Wort. Schließlich schlug die Unbekannte der schwangeren Frau ins Gesicht und gegen den Bauch. Anschließend flüchtete sie. Die schwangere Frau rief die Polizei und kam vorsorglich zur ambulanten Untersuchung ins Krankenhaus. Zeugen habe es nach bisherigem Ermittlungsstand keine gegeben, teilte die Polizei am Montag mit.
Die Tat lässt einen erschüttert und wütend zurück. Auch in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am vergangenen Donnerstag solidarisierten sich einige Verordnete mit der schwangeren Frau und verurteilten die Tat. Die SPD-Fraktion veröffentlichte ein Statement auf ihrer Webseite. Man verurteile diesen menschenverachtenden und menschenfeindlichen Angriff auf Schärfste, heißt es in der Mitteilung. „Wir leben in einem demokratischen, offenen und freien Land! Auf offener Straße im Beisein der eigenen Kinder schikaniert und körperlich angegriffen zu werden, macht fassungslos.“
In Berlin ist die Zahl rechter, rassistischer und antisemitischer Vorfälle gestiegen. Heute früh stellte das Register Berlin seine Dokumentation für das Jahr 2020 vor. Das Register ist in allen Bezirken aktiv und dokumentiert und analysiert rechtsextreme Vorfälle. Laut dem Register stieg die Zahl der Vorfälle in Berlin 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 17 Prozent an. 2019 wurden 3277 Fälle gemeldet. 2020 waren es 3822. Das macht rund 10 Vorfälle pro Tag. Rund 60 Prozent der Vorfälle lassen sich inhaltlich dem Bereich „Propaganda“ zuordnen, wie Kati Becker, Koordinatorin beim Berliner Register, erklärt. In diesen Bereich fallen unter anderem Schmierereien von rechten Symbolen und Hakenkreuzen oder Sticker von rechten Organisationen.
In Marzahn-Hellersdorf stieg die Zahl der gemeldeten Fälle um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Das hört sich erstmal gewaltig an, es handelt sich dabei aber vor allem um Propaganda-Fälle“, erklärt Hannes Obens vom Register Marzahn-Hellersdorf. Grund für die Entwicklung sei auch, dass es inzwischen mehr Melder*innen im Bezirk gebe, sagt Obens. Besorgniserregend sei jedoch, dass trotz der pandemiebedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens im vergangenen Jahr die Zahl der erfassten Angriffe im Vergleich zum Vorjahr (2019: 15 Angriffe, 2020: 17 Angriffe) ungefähr konstant blieb und die Zahl der Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien sogar erheblich zugenommen (von 23 auf 33) hat.
Ich kann Ihnen den Bericht des Registers nur empfehlen. Es ist keine leichte Lektüre, aber eine wichtige. Der Tod von George Floyd in den USA hatte im vergangenen Jahr weltweite Proteste ausgelöst. Es ist wichtig den Rassismus in den USA anzuprangern, aber die Externalisierung des Problems ist hochmütig, wie schon Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonia Stiftung, im vergangenen Jahr schrieb. Rassismus sitzt nicht nur in den USA . Er ist kein Relikt aus unserer Vergangenheit, das wir hinter uns gelassen haben. Rassismus ist für viele Menschen immer noch Alltag. Deshalb durchqueren schwarze Menschen den öffentlichen Raum anders als weiße Menschen, sagt Jeff Kwasi Klein, Projektleiter bei Each One Teach One.
Was gut ist: Das Thema hat im vergangenen Jahr mehr Aufmerksamkeit erlangt. Mehr Betroffene und Zeug*innen melden inzwischen Vorfälle. „Das macht Hoffnung, dass wir die Resignation der Betroffenen vor den gesellschaftlichen Verhältnissen aufbrechen und einen Wandel in den Strukturen bewirken können“, sagt Klein.
Paul Lufter ist freier Mitarbeiter beim Tagesspiegel. Fragen, Anregungen, konstruktive Kritik, Wünsche und Tipps bitte an Paul.Lufter@tagesspiegel.de. Ansonsten finden Sie ihn auch auf Twitter.