Kultur
Marzahn ist jetzt ein Bestseller
Veröffentlicht am 04.02.2020 von Ingo Salmen
Die größte Imagekampagne des Bezirks findet sich nicht auf Plakatwänden, in Werbeanzeigen oder Social-Media-Posts. Sie liegt derzeit stapelweise in Buchhandlungen aus und hat vermutlich Platz auf manchem Nachtschränkchen – und sie steht seit acht Wochen auf der Bestsellerliste von „Spiegel“ und „Buchreport“. „Marzahn, mon amour“, die „Geschichten einer Fußpflegerin“ von Katja Oskamp, gehört in diesem Winter zu den meistverkauften Büchern des Landes. Seit die Autorin Anfang Dezember im „Literarischen Quartett“ des ZDF zu Gast war, erfreut es sich ungeahnter Beliebtheit. Auch Oskamp ist baff. „Ich hätte das nicht für möglich gehalten“, sagt sie am Montagabend in einem Telefonat. „Dass in der ‚Spiegel‘-Bestsellerliste einmal das Wort Marzahn auftaucht!“
Der Erfolg hat Oskamp allerdings nicht davongetragen. Sie arbeitet weiterhin zwei Tage die Woche als Fußpflegerin in einem Kosmetikstudio an der Marzahner Promenade, nun allerdings etwas unregelmäßig. Sie muss die Termine mit ihren Kund*innen so legen, dass sie nicht mit ihren Lesungen kollidieren – und wenn nichts mehr geht, hat sie immer noch ihre Kolleginnen. „Ist jetzt gerade ein bisschen chaotisch“, sagt Oskamp. 15 Termine hat ihr Verlag, der Hanser-Verlag, auf seiner Website aufgelistet. „Jetzt gerade kam noch eine Anfrage aus Niederösterreich“, erzählt Oskamp. Kommende Woche Dienstag liest sie in Zürich über Marzahn. „Ich bin entweder im Laden oder auf Lesung.“
Nach Zürich ist sie allerdings zweimal in Folge in dem Bezirk zu Gast, über dessen Leute sie geschrieben hat. Am Sonntag, 16. Februar, stellt die Autorin „Marzahn, mon amour“ ab 14 Uhr im Schloss Biesdorf vor (Anmeldung per Mail erforderlich, am besten rasch). Am Sonntag darauf, 23. Februar, liest Oskamp um 10.30 Uhr in der Peter-Weiss-Bibliothek in Hellersdorf (ebenfalls Anmeldung per Mail oder unter Tel. 030/99282525 vonnöten, Plätze begrenzt).
Natürlich ging es ihr nicht um Werbung für Marzahn, als sie ihre Geschichten schrieb. Das ergab sich ganz von selbst, weil die Lebensskizzen der Menschen, die sie im Salon behandelt, einfach von großer Liebenswürdigkeit geprägt sind. Zum ersten Mal schrieb ich im Januar 2018 im Newsletter über Oskamps Erzählungen, damals hatte sie noch eine Kolumne bei „Zeit Online“. Anfang August vergangenen Jahres empfahl ich Ihnen an dieser Stelle das Buch, das inzwischen daraus geworden war. Beide Male kam Frau Guse darin vor, eine ihrer Kundinnen. Wie geht es ihr heute? „Sie kann nicht mehr laufen“, sagt Oskamp. „Ich hole sie jetzt immer mit dem Rollstuhl ab, dann fahren wir im zickzack durch Marzahn.“ Frau Guse heißt in Wirklichkeit gar nicht Frau Guse, so wie Oskamp allen Kund*innen, über die sie schreibt, einen anderen Namen gegeben hat. „Sie weiß nicht, dass es das Buch gibt.“ Oskamp hat einigen von ihrem Buch erzählt, andere haben es mitbekommen, aber sie hat es niemandem im Salon aufgezwungen.
Es seien nicht die Biografien für große Romane, die sich in ihrem Buch niedergeschlagen haben, sagt Oskamp. Aber es seien „Lebensleistungen, die man würdigen kann“. So erklärt sich die Schriftstellerin, warum „Marzahn, mon amour“ bei vielen Leser*innen Anklang findet. „Sie alle haben Füße – sogar in Österreich“, sagt sie. „Sie alle haben Angst, alt zu werden, krank zu werden und einsam zu werden.“ Die Fußpflege ist ein wenig Erholung von dieser Last.