Kultur
Ausstellung: Jürgen Wittdorf im Schloss Biesdorf
Veröffentlicht am 31.10.2022 von Johanna Treblin
Das wohl bedeutendste Bild ist gleich mehrfach in der Ausstellung zu sehen: Eine Gruppe junger Männer, an ihre Rennräder gelehnt. Schwarze Tusche auf weißem Grund. Der Künstler heißt Jürgen Wittdorf, er lebte von 1932 bis 2018, einen Großteil seines Lebens verbrachte er in der DDR. Das Schloss Biesdorf zeigt eine umfassende Retrospektive seiner Werke. Angebracht an den Wänden sind sie nach sogenannter Petersberger Hängung – eins neben dem anderen, darunter und darüber andere, in wilder Zusammenstellung, ganz so, wie sie auch in der Wohnung von Wittdorf hingen.
In der DDR war Wittdorf vielen als Illustrator verschiedenster Bücher bekannt. Mit dem Ende der DDR verblasste seine Popularität. Seinem Werk einen Rahmen gegeben hatte erst wieder das Schwule Museum in Berlin im Jahr 2000. Denn: Wittdorf war homosexuell. In der DDR war Homosexualität ab 1968 laut Gesetz nicht mehr strafbar. In der Gesellschaft war sie aber weiter nicht akzeptiert. Und so war auch Wittdorfs sexuelle Orientierung dort kein Thema – und doch spiegelt sie sich teils in seinen Werken wieder.
Wittdorfs Werke waren stark durch den Realismusbegriff der damaligen Zeit geprägt. Man sieht vor Gesundheit strotzende, muskulöse, teils nackte junge Männer unter der Dusche, sitzend, in Badehosen, beim Schwimmen. Auf anderen Bildern sind Arbeiter verschiedener Gewerke zu sehen. Einige der Bilder gehören zur Serie „Jugend und Sport“ oder zum „Zyklus für die Jugend“ von 1963. Im Ausstellungs-Begleitheft heißt es: „Diese jungen Menschen faszinierten ihn in ihrem Habitus und durchaus auch aus erotischen Gründen. Er zeichnete sie und dachte sich programmatische Szenen für sie aus.“
Und weiter: „Weil die Jugend in der Kulturpolitik der DDR damals ein wichtiges Thema wurde, konnte er diese Bilder in Aufträge einbringen.“ So erschienen seine Zeichnungen unter anderem in der Jungen Welt. Dort wurde auch der Zyklus als Sammelmappe verlegt.
An einer Wand im Erdgeschoss ist eine ganz andere Zeichnungsgruppe zu sehen: Tierbilder. Diese hatte er noch davor gemalt und war dafür bekannt gewesen. Mutterschwein mit Ferkeln, ein wildes Bauernhof-Durcheinander, und diverse exotische Tiere wie Kamele, Tiger, Elefanten und Nashörner. Die meisten Zeichnungen sehen aus wie Übungen, die Tiere sind aus verschiedenen Richtungen eingefangen. Eine Ausnahme bildet das Bild einer purzelnden Schildkröte, das einen – vielleicht unbeabsichtigten – Witz erzählt.
Kontrastiert werden die Werke Wittdorfs mit Werken von Veneta Androva, Norbert Bisky, Harry Hachmeister und Bettina Semmer. In ihren Arbeiten werden Themen wie Gender, Schönheit, Sexualität, Geschlechts-Identitäten und Körper verhandelt. Die Idee der Kurator:innen Stephan Koal, Leiter des Kunstvereins Ost, und Karin Scheel, Künstlerische Leiterin des Schlosses Biesdorf: „Der visuelle Dialog mit diesen Positionen setzt das Werk Wittdorf in einen neuen Kontext, schafft Verbindungen seiner oft nur angedeuteten Themen in die aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen zu den vielen Facetten menschlicher Individualität.“
Wie das Erleben der Besucher:innen allerdings bereichert werden soll, indem unter ästehtischen Zeichnungen von Schweinen kitschige getöpferte Katzen auf Heizungssimse gesetzt wurden, erschließt sich nicht. Neben Adonis-Zeichnungen in Schwarz-Weiß hängt eine popkulturelle Collage in den verschiedensten Farben von Norbert Bisky, auf der in einer Ecke ein halber nackter Oberkörper zu sehen ist. Gibt es darin mehr Gemeinsamkeit, als dass beide Künstler homosexuell sind?
Interessant ist die Videoinszenierung von Veneta Androva über eine Künstlerin, die einen nackten Mann zeichnet – alles computerbasierte Bilder. Doch auch hier fragt sich, wo die Gemeinsamkeit ist und ob das Werk nicht besser Teil einer anderen Ausstellung gewesen wäre.
Ein Ausstellungsbesuch lohnt dennoch. Um mal einen echten Bisky im Schloss Biesdorf gesehen zu haben – oder um das Werk des Künstlers Jürgen Wittdorf kennenzulernen oder wiederzuerleben.
- Fotos: Johanna Treblin
- Die Ausstellung läuft bis 10. Februar 2023 und ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, freitags von 12 bis 21 Uhr. Dienstags geschlossen. Eintritt frei.
- Jeden Samstag 14 bis 15 Uhr Führung durch die Ausstellung. Im Wechsel mit Fenia Franz, Annika Hirsekorn und Catherine Rose Evans. Bei dem Rundgang erhalten die Besucher:innen Einblicke in die Zusammenhänge und Hintergründe ausgewählter Kunstwerke der Ausstellung im Haus.