Namen & Neues

Bezirkspolitik fordert Vorrang für Schule vor Tram

Veröffentlicht am 14.08.2018 von Ingo Salmen

Der Bericht aus der vergangenen Woche über den Stopp der Planungen zur Erweiterung der Grundschule am Schleipfuhl ist auf großes Unverständnis gestoßen. Weil entlang der Nossener Straße seit langem eine Straßenbahn vorgesehen ist, lehnt die Senatsbildungsverwaltung einen Modularen Ergänzungsbau (MEB) auf der gegenüberliegenden Seite ab (hier ein Lageplan). Sie will den Schülern das Überqueren der Gleise nicht zumuten. Der Bezirk prüft notgedrungen schon eine Containerlösung. Doch weder Verwaltung noch Politik in Marzahn-Hellersdorf wollen so leicht von dem ursprünglichen Vorhaben ablassen.

In einem Brief an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller und Schulsenatorin Sandra Scheeres (beide SPD), der dem Tagesspiegel vorliegt, weisen Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke) und Schulstadtrat Gordon Lemm (SPD) darauf hin, dass die Verbindung „den Status einer Idee nicht verlassen hat“. Eine Schulerweiterung, für die es kein anderes Grundstück gebe, dürfe nicht „aufgrund unspezifischer, jahrzehntelanger Überlegungen zum Tramausbau“ verhindert werden, schreiben sie. „Keine Straßenbahn in 10 oder 20 Jahren kann wichtiger sein als eine gute schulische Ausbildung gerade für unsere Kinder in Armutsgebieten.“ Die Bezirkspolitik unterstützt dieses Anliegen einhellig. Von SPD bis Grünen, von Linken bis AfD haben sich in den vergangenen Tagen Politikerinnen und Politiker – in unterschiedlicher Schärfe – dafür ausgesprochen, die Tramplanung zurückzustellen, damit die Schule unverzüglich durch einen MEB erweitert werden kann.

Überlegungen für die Straßenbahnverbindung bestehen schon seit DDR-Zeiten. Sie würde eine Lücke zwischen Hellersdorf und Mahlsdorf schließen. Bisher existiert dort eine Busverbindung. Eigentlich ging es jedoch nicht um Mahlsdorf, sondern um Oberschöneweide, wie CDU-Fraktionschef Alexander J. Herrmann auf seiner Website dargelegt. Um Arbeitskräfte zu den großen Industriebetrieben zu bringen, sei das sinnvoll gewesen. Seit deren Wegfall und dem Wandel Oberschöneweides zum Wissenschafts- und Forschungsstandorts bestehe dafür aber kein Bedarf mehr. Herrmanns Urteil: „verkehrspolitischer Irrsinn“.

Wie aber konnte der Bezirk übersehen, dass längst eine Straßenbahn dort vorgesehen ist, wo er eine Schule errichten will? Die Antwort der Bürgermeisterin überrascht: „Es liegt weder ein Versehen, noch ein Planungsfehler vor“, schreibt sie auf Anfrage. Schon bei den ersten Überlegungen zu einem Erweiterungsbau habe „das Stadtentwicklungsamt auf die langfristige Planung einer Tram-Trasse vom Bhf. Mahlsdorf zur Hellen Mitte hingewiesen“. Ganz bewusst sei die Lage des MEB so festgelegt worden, dass ein hinreichender Abstand gegeben sei, auch wenn die Trasse das Schulgrundstück in zwei Teile trennen würde, berichtet Pohle. „Dies wurde vor dem Hintergrund der geringen Priorität der bereits zu DDR-Zeiten bestehenden Trassenplanung auch in Abstimmung mit dem Straßen- und Grünflächenamt im Zusammenhang mit dem dringenden Schulbedarf als vertretbar gesehen.“ Der Bezirk ging also davon aus, dass ein Zaun und eine Ampelschaltung ausreichen – und wurde zwei Jahre später von der Ablehnung durch die Senatsbildungsverwaltung überrascht.

Wenn also nicht von einem Planungsfehler die Rede sein kann, was ist es dann? Die neueste Erklärung spricht dafür, dass wir es mit einem Systemfehler zu tun haben. In den unterschiedlichen und sich doch überlappenden Zuständigkeiten von Land und Bezirk für Schulbau und Nahverkehrsplanung kam es zu gegensätzlichen Einschätzungen, was tolerabel ist und was nicht. Was der Bezirk als vertretbar ansah, ist für das Land unmöglich. Es gab keine Kommunikation – und somit platzte mit zwei Jahren Verzögerung die ganze Planung. Auf Kosten eines Kiezes und seiner Kinder.