Namen & Neues
Michael Müller: "Die DDR war damals zurecht auch darauf stolz"
Veröffentlicht am 08.01.2019 von Ingo Salmen
Als einen vielfältigen Bezirk mit Groß- und Einfamilienhaussiedlungen, mit Grün- und Wirtschaftsflächen beschrieb der Regierende Bürgermeister Marzahn-Hellersdorf, als er am Sonnabend beim Festakt zum 40-jährigen Bezirksjubiläum ein Grußwort hielt. Und inmitten vieler gezuckerter Worte, die bei solchen Anlässen üblich sind, war plötzlich ein bemerkenswerter Satz im Saal des Freizeitforums zu hören: „Die DDR war damals zurecht auch darauf stolz“, sagte Michael Müller – und meinte das Tempo des Wohnungsbaus, das die Platte in Marzahn und Hellersdorf rasant in die Höhe wachsen ließ. In weniger als 15 Jahren errichteten die Arbeiter 100.000 Wohnungen, eine Größenordnung, von der Müller in der wachsenden Stadt heute nur träumen kann und die die staatliche DDR-Nachrichtenagentur einst ins Schwärmen gerieten ließ: Ein vergleichbarer Wandel vollziehe sich anderswo „erst in Jahrhunderten“, prahlte sie. „Gut, war auch ein bisschen Propaganda dabei“, kommentierte Müller.
Berlins oberster Sozialdemokrat – ein Fan des real existierenden Sozialismus? Das wäre eine böswillige Fehlinterpretation der Rede des Regierenden. Auf die Zwischentöne kommt es an: Er wünsche sich auch heute manchmal die Begeisterung und den Gemeinsinn, der diese Aufbauleistung ermöglicht habe, sagte Müller. Auf Nachfrage brachte er es nach dem Festakt auf die kurze Hoffnungsformel: „Wir trauen uns was zu.“ Das ist genau jene Melodie, die Müller in den vergangenen Monaten immer wieder angestimmt hat, wenn er den Eindruck hatte, dass den roten und grünen Koalitionspartnern an allem möglichen gelegen ist, aber nicht in erster Linie an der Vermehrung der Wohnungen in der Hauptstadt, die jährlich um eine Mittelstadt wächst. Nicht zuletzt richtete sich das gegen seine Bausenatorin Katrin Lompscher von den Linken. Dass Müller diese Kritik nun in der Linken-Hochburg Marzahn-Hellersdorf ausgerechnet auf die Leistungen der linken Ahnen stützt, ist nicht frei von Ironie.
Aber ist es auch der richtige Appell? Ausgerechnet einer der Väter Marzahns warnt davor, Fehler zu wiederholen, die die DDR gemacht hat. „Der Erfolg der Großsiedlungen in der DDR lag in der Quantität“, sagte der Architekt Wolf-Rüdiger Eisentraut in einem lesenswerten Interview mit dem rbb. Die Fließbandproduktion sei gewiss schnell und kostengünstig gewesen. „Dies führte aber zur Vereinheitlichung oder Monotonie, die damals zu Recht beklagt worden ist.“ Wer heute Wohnungen baue, dürfe die Gestaltung nicht vernachlässigen. „Es ist für mich deshalb unverständlich, dass man sich jetzt auf Typenentwicklungen konzentriert. Das ist ein Irrweg.“ In Marzahn, in Westberlin oder auch in Frankreich und anderswo sei bewiesen worden, dass dies nicht zum Ziel führe. „Wichtig ist, dass viele Leute ihren Geist einsetzen, um eine Umwelt zu gestalten mit Mitteln der Betonplatte“, sagte Eisentraut. „Es ist für die Gestaltung, für das Wachsen einer Stadt nicht das rechte Mittel, jedes Haus wie das andere zu bauen.“