Namen & Neues
Scharfe Debatte über Proteste bei Gedenken an NS-Opfer
Veröffentlicht am 26.02.2019 von Ingo Salmen
Der antifaschistische Protest gegen die Teilnahme der AfD beim stillen Gedenken zum Holocaustgedenktag auf dem Marzahner Parkfriedhof fand am Donnerstag das zu erwartende Nachspiel in der Bezirksverordnetenversammlung. Eine Stunde lang diskutierte die Politik über den Vorfall – in bisweilen überaus scharfem Ton. Sie hätte sich ein stilles Gedenken gewünscht, sagte Bürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke), aber teile „ausdrücklich die Auffassung anderer, die nicht ertragen können, wenn Menschen teilnehmen, die durch ihre Parteizugehörigkeit nicht erkennen lassen, dass ihnen das Anliegen des Tages etwas bedeutet“. Sie bedauere die Konfrontation, betonte Pohle, doch die Antifa als Sammelbegriff für Gruppen, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Geschichtsrevisionismus stellten, halte sie für „unbedingt unverzichtbar“.
AfD-Fraktionschef Rolf Keßler wies „in aller Entschiedenheit“ zurück, dass seiner Partei das Anliegen des Holocaustgedenktages nichts bedeute. „Wir setzen uns für den Schutz der Demokratie ein. Wir wollen keinen Führerstaat“, sagte er und verurteilte die Verbrechen der Nazi-Zeit. Mit ihrer „Unterstellung“ stelle Pohle die AfD „ausdrücklich aus dem Konsens der Demokraten“. Die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), die den Protest organisiert hatten, hätten außer Nazi-Opfern auch junge, gewaltbereite Linksextremisten in ihren Reihen. „Unser Respekt gilt allen Antifaschisten, die unter dem Nazi-Regime gelitten haben“, sagte Keßler. „Wir dürfen aber auch nicht vergessen“, dass unter diesen Leuten auch welche waren, die später zu Tätern wurden. Auch Erich Honecker war ein Verfolgter des Nazi-Regimes.“
Ob die Linksfraktion sich „heimlich“ die Hände reibe, weil die Antifa für sie die „Drecksarbeit“ mache, wollte der AfD-Fraktionschef wissen. Er übertrieb, sprach von „Schild und Schwert der Partei“ und vom „Geist des Linksextremismus“, der „aus der Flasche gelassen“ worden sei – dabei ging es am Ende nur um einen verbalen Protest und eine gewaltfreie Blockade der Veranstaltung. Doch Keßler konnte so auftreten, weil die AfD, obwohl als Teil der BVV eingeladen, selbst Ziel des Protestes war und doch die Ruhe bewahrte.
Diesen Eindruck vermochte der Verordnete Joachim Nedderhut gründlich zu zerstören. Er trat ans Pult und schwadronierte in völliger Maßlosigkeit über den Tag der Veranstaltung als „schwarzen Tag in der Geschichte von Marzahn-Hellersdorf“, von den Demonstranten als „Gestalten der roten SA“ und von den Mauertoten als „Kollateralschaden im antifaschistischen Kampf für den Weltfrieden“ in den Augen der Linkspartei. Und Werner Wiemann beteuerte, Björn Höcke sei bei seiner „Dresdner Rede“ bloß falsch interpretiert worden, als er das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnete und eine „Wende“ in der Erinnerungspolitik forderte.
Die Antwort fiel Pohle nicht schwer: Wenn die AfD „nur ansatzweise“ ernst nähme, was Keßler über den Nationalsozialismus sage, „dann würden Sie es unterlassen, Vergleiche anzustellen zu den Sturmabteilungen der NSDAP“. Die Bürgermeisterin, sonst stets kontrollierter Verwaltungsprofi, ließ bei dieser Gelegenheit durchblicken, dass sie manche Äußerung aus den Reihen der AfD, nicht zuletzt vom Abgeordneten Gunnar Lindemann, in der Vergangenheit als „ehrabschneidend“ empfunden hatte. Sie hätte sich auch gewünscht, dass AfD-Stadtrat Thomas Braun seine Pflichten als stellvertretender Bürgermeister wahrnehme „und sich nicht einfach abduckt“, entfuhr es ihr.
Ausgerechnet vom Verordneten Bernd Pachal kam die gelassenste Äußerung der AfD-Fraktion zu den lautstarken Antifa-Protesten auf dem Parkfriedhof. „Die Sache“, kommentierte er die Gedenkveranstaltung, „ist halt aus dem Ruder gelaufen.“ Das kann man wohl auch über die Debatte in der BVV sagen.