Namen & Neues

Die bunte Verführung: Ecstasy ab 11 Jahren - für 1,50 Euro

Veröffentlicht am 09.07.2019 von Ingo Salmen

Auf „beunruhigt“ hat Gordon Lemm seinen Gemütszustand bei Facebook eingestellt. Der Schulstadtrat hat dazu allen Grund. Denn am späten Montagnachmittag wandte sich der Sozialdemokrat mit einem Post an die Öffentlichkeit, der eine besorgniserregende Entwicklung aufzeigt: Seit drei bis vier Monaten treten vermehrt Fälle von Mädchen und Jungen auf, die Ecstasy konsumieren. Bemerkenswert ist das aus zwei Gründen: Sie sind Lemm zufolge lediglich zwölf bis 14 Jahre alt, teilweise sogar erst elf, und die Pillen sind schon ab 1,50 bis drei Euro zu bekommen. Hoch dosiert. Er habe es nicht für möglich gehalten, dass die Partydroge schon in so jungen Jahren im Umlauf sei, sagt Lemm auf Nachfrage. „Bei uns ging’s da ums Rauchen.“ Und er geht auch nicht davon aus, dass das Problem auf Marzahn-Hellersdorf beschränkt ist. Wahrscheinlich seien auch andere Teile Berlins davon betroffen, erste Hinweise habe er zum Beispiel aus Neukölln erhalten.

Ans Tageslicht kam die Entwicklung in Marzahn-Hellersdorf, weil der Drogenbeauftragte bei einer Sitzung des Bezirksschulbeirats aus seiner Beratungspraxis berichtete. Etwa zehn bis 15 Kinder mit ihrem Eltern hätten in der jüngeren Zeit wegen Ecstasy bei ihm Hilfe gesucht, referiert Lemm aus der Sitzung, so viel wie noch nie. Vermutlich gebe es eine noch deutlich größere Dunkelziffer an Fällen, wobei das genaue Ausmaß unklar sei. Von einer Epidemie will der Stadtrat aber nicht sprechen, ihm ist es wichtig, keine Panik zu verbreiten. An die Öffentlichkeit habe er sich gewandt, um vor allem die Eltern zu sensibilisieren. Sie sollen einerseits ihre Kinder warnen und andererseits die Anzeichen deuten können, wenn etwas nicht stimmt. Lemm verweist insbesondere auf Gereiztheit, depressive Verstimmungen oder Unkonzentriertheit, nachdem das erste Glücksgefühl, das Ectasy beziehungsweise der Wirkstoff MDMA auslöse, verflogen sei. Bei Überdosierungen und längerer Einnahme sind auch stärkere Reaktionen bis zu gesundheitlichen und psychischen Schäden möglich.

Praktisch alle Oberschulen des Bezirks haben Lemm zufolge seit Jahresbeginn Erfahrungen mit dem Phänomen gemacht. Auch in den gut situierten Vierteln komme es vor. In zwei Fällen seien Elfjährige auffällig geworden. „Es beginnt in der Grundschule“, sagt der Stadtrat. Vor allem seien Mädchen betroffen, für die das auch „Empathikum“ genannte MDMA in Gestalt der bunten Pillen offenbar besonders attraktiv sei. Anfangs seien auf den Schulhöfen öfters Schulfremde gesehen worden, die möglicherweise die Verkäufer gewesen sein könnten. Das sei von den Schulen inzwischen aber unterbunden worden. Mittlerweile sind die Verkäufer offenbar deutlich mobiler. Sie scheinen gezielt unterwegs zu sein, um sich neue Märkte zu erschließen, vermutet Lemm, und bieten ihre Ware dafür „deutlich unter üblichen Marktpreisen“ an. In Clubs koste eine Pille sonst zehn Euro, jetzt oft weniger als ein Drittel. Polizei und Streetworker seien eingeschaltet.

Was die junge Zielgruppe besonders anfällig macht, ist ihre Mischung aus Neugier und Ahnungslosigkeit. Aufklärung über Drogen sei im Rahmenlehrplan erst in der neunten Klasse verankert, sagt Lemm. Die Schulen wollen die aktuelle Entwicklung jetzt schon früher thematisieren. Der Sozialdemokrat will außerdem mit der Senatsschulverwaltung darüber sprechen, ob es nicht sinnvoll sein könnte, den Lehrplan generell anzupassen.

Eltern und Kinder, die Hilfe brauchen, können sich vertrauensvoll an die Drogen- und Suchtberatungsstelle des Bezirks wenden: Allee der Kosmonauten 47, Tel. 030/2902781-81, E-Mail: marzahn@vistaberlin.de, vistaberlin.de.