Namen & Neues
Frauenfitnessfläche: Das Ende ist absehbar - in 40 Wochen
Veröffentlicht am 16.07.2019 von Ingo Salmen
Es war der 27. April 2017, ein Donnerstag, als Sportstadtrat Gordon Lemm, gerade vier Monate im Amt, die drei verhängnisvollen Buchstaben in den Mund nahm. „Ich hoffe nicht, das wird ein kleiner BER“, unkte der Sozialdemokrat in der Bezirksverordnetenversammlung. Genauso sollte es kommen. An diesem Sonnabend feiert der Bezirk 1000 Tage Nicht-Eröffnung der Frauenfitnessfläche im Freizeitforum Marzahn. Die Räume, eine Erweiterung der Frauensporthalle für Rehasport-Angebote, sollten eigentlich am 23. Oktober 2016 eingeweiht werden. Doch dazu kam es nicht: Ein Wasseranschluss tropfte unbemerkt vor sich hin. Wenige Tage vor der geplanten Freigabe wurden „Undichtigkeiten am Überwurf eines Eckventils des Warm- bzw. Kaltwasserzulaufs unterhalb des Waschbeckens im linken der beiden nebeneinander liegenden WC-Räume festgestellt“, wie das Bezirksamt exakt notiert hat – Abnahme verweigert.
Es sollte nicht bei ein paar Tropfen bleiben: In den folgenden Monaten berichtete Lemm, der zum geplanten Zeitpunkt der Eröffnung noch gar nicht im Amt war, von einem neuen Mangel nach dem anderen: Mal ging es um Legionellen, mal um den Brandschutz (fehlerhafte Rauchabzugsklappen, die aber flugs repariert wurden) und schließlich vor allem um Schimmel: Das Wasser war in Sanitärbereich und Umkleide in den verpfuschten Fußboden eingedrungen. „Der ganze Nassbereich war vermodert“, erinnert sich Lemm. Die Bauarbeiter begannen den Kampf gegen die Sporen, die Bürokraten den Papierkrieg um die Haftung. Anders als beim Flughafen fiel die Entscheidung für Abriss und Neubau des gesamten Nass- und Umkleidebereichs.
Das soll 175.000 Euro kosten, die Versicherung trägt davon knapp ein Viertel, den Rest muss die Gesellschaft für Stadtentwicklung (GSE) als Geschäftsbesorger des Bezirks vorerst selbst schultern – unter anderem mit den öffentlichen Geldern, die eigentlich für den Betrieb vorgesehen waren, wie Lemm erläutert. Die GSE will sich die Kosten zurückholen, doch das ist knifflig: Wie beim BER war nicht ein Generalunternehmer am Werk, sondern viele kleinere Firmen – von denen einige inzwischen nicht mehr am Markt vertreten sind, weil sie Insolvenz anmelden mussten. „Das Controlling der Bauarbeiten hat nicht funktioniert“, sagt Lemm im Rückblick. Bei keiner der Abnahmen seien die Probleme zum Vorschein getreten. Doch wie sollte das auch passieren? Der Boden war verschlossen, nur der Aufbau darunter Murks. Zu sehen war: nichts.
1000 Tage schließen – oder 100.000 Euro in die Hand nehmen? „Auf Kosten des Steuerzahlers hätte man das beschleunigen können“, sagt Lemm. „Dann hätten wir es doppelt bezahlt.“ Der Stadtrat hat solche Überlegungen in der Vergangenheit immer mal wieder in der BVV anklingen lassen. Politisch durchsetzbar war das alles von vornherein jedoch nicht. Das liegt nicht nur an der Landeshaushaltsordnung, die vorgibt, Firmen bei Mängeln in Regress zu nehmen, und auch nicht allein daran, dass Marzahn-Hellersdorf bis vor wenigen Wochen als Schuldenbezirk an der kurzen Leine gehalten wurde. Auch der Rückhalt für die Frauensporthalle, zu der die ExtraFit-Fläche gehört, ist über die Fraktionen hinweg nicht sonderlich groß. Das Vorzeigeprojekt des früheren SPD-Bürgermeisters Stefan Komoß, das mehr Frauen für den Sport begeistern sollte, ist im Bezirk kein geliebtes Kind: Bestehende Angebote mussten weichen, andere Vereine fühlen sich benachteiligt, weil sie keine 80.000 Euro Zuschuss im Jahr bekommen – und die Genderpolitik löst auch nicht überall Begeisterung aus.
Leider nur ein Symbolbild. Foto: dpa
Lemm verteidigt das Projekt: Es gebe zum Beispiel viele gute Angebote für Alleinerziehende oder Geflüchtete. Der Stadtrat findet es nur missverstanden – auch durch die Betreiber selbst. Für die Angebote in der Frauensporthalle wurde eigens ein Verein gegründet: Fit und Fun Marzahn, kurz FFM, der inzwischen über mehr als 300 Mitglieder verfügt. Die Vorstellung, durch den Verein selbst den Anteil der sporttreibenden Frauen im Bezirk signifikant zu erhöhen, war aus Lemms Sicht illusorisch – angesichts von 20.000 Sportlerinnen und Sportlern in Marzahn-Hellersdorf, zwei Drittel davon Männer. Was seiner Meinung nach vernachlässigt wurde: die Zielsetzung, die Erkenntnisse über Bedarfe, Interessen und neue Angebote für Frauen auch den anderen Sportvereinen zu vermitteln. Dafür findet Lemm den Bezirkszuschuss gut angelegt. Unter dem Druck der Politik hat Lemm im jüngsten Tätigkeitsbericht auch klar gemacht, dass der Träger neue Finanzierungsquellen auftun soll, um die öffentlichen Mittel zurückfahren zu können. Was nur vage angedeutet wird: dass die Frauenfitnessfläche immer schon Bestandteil des Konzepts war – und vom Bezirk bisher nicht geliefert worden ist.
Wer glaubt, es besser machen zu können, kann sich jetzt auf die Trägerschaft der Halle in den Jahren 2020 und 2021 bewerben: Der Bezirk hat soeben ein Interessenbekundungsverfahren gestartet. Es geht dabei übrigens um die mögliche Nachfolge für den Verein für Sport und Jugendsozialarbeit (VSJ), der auch Projektleiterin Christiane Möhner beschäftigt. Der FFM ist lediglich als Programmanbieter im Boot – eine komplizierte Konstruktion, die auch nicht viel leichter zu durchschauen ist als das Baustellenschlammassel. Lemm hat im vergangenen Jahr noch auf eine Änderung gedrängt: dass die Halle sich zur Familiensporthalle weiterentwickelt. Das nimmt den Gender-Kritikern den Wind aus den Segeln: „Gegen Familien kann man ganz schlecht wettern.“
Im Juli 2017 haben wir hier im Newsletter nach dem Vorbild des BER-Countups im Berlin-Newsletter Checkpoint (Stand heute: 2600 Tage seit Nicht-Eröffnung) den FFF-Countup eingeführt. Aktuell steht er bei 996 Tagen – und es werden noch viele hinzukommen. Denn für den Wiederaufbau von Duschen und Umkleiden veranschlagt Lemm 40 Wochen. Ein zuschlagsfähiges Angebot sei vor Kurzem eingegangen. 40 Wochen: Das wäre Mitte April nächsten Jahres. Lemm sagt lieber: „Mit Sommer 2020 ist man auf der sicheren Seite.“ Der BER soll im Oktober 2020 eröffnen. Das Rennen läuft.