Namen & Neues

Erinnerung an Nazi-Opfer: Bezirk steuert auf neuen Konflikt zu

Veröffentlicht am 17.12.2019 von Ingo Salmen

Dürfen AfD-Politiker am Gedenken für Opfer des NS-Regimes teilnehmen? Diese Frage stellt sich im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf in diesen Tagen aufs Neue. Am 25. Januar steht auf dem Parkfriedhof Marzahn die jährliche Veranstaltung von Bezirksverordnetenversammlung und des Heimatvereins zum Holocaust-Gedenktag an. Die Befreiung von Auschwitz jährt sich am 27. Januar 2020 zum 75. Mal.

Anfang 2019 musste die Gedenkfeier abgebrochen werden, weil Antifaschist*innen die Stele für die Opfer der Zwangsarbeit umstellt hatten, um die AfD an einer Kranzniederlegung zu hindern, und mit lautstarkem Protest auch immer wieder die wenigen Redebeiträge bei diesem sonst überwiegend stillem Gedenken störten. Der Aktion war ein Aufruf der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) vorausgegangen, „die rechtspopulistischen und rechtsextremen Feinde der Demokratie“ von Gedenkveranstaltungen auszuladen – womit die AfD gemeint war.

Die VVN-BdA will die AfD-Teilnahme offenbar auch bei der nächsten Gedenkveranstaltung nicht einfach hinnehmen. Darauf deutet eine Einwohneranfrage ihres Kaulsdorfer Mitglieds Michael Maercks am Donnerstag in der BVV hin. Aus ihr ging hervor, dass die Vereinigung zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen, „die sich für Demokratie und gegen rassistische Stimmungsmache engagieren“, eine eigenständige Kundgebung gegen Rassismus plant. Sie soll vor dem Eingang des Friedhofs stattfinden und anschließend zur Teilnahme am stillen Gedenken aufrufen, wie Maercks weiter ausführte.

Vom Bezirksamt und der BVV wollte er wissen, ob sie bereit sind, diese Veranstaltung zu unterstützen. Außerdem fragte Maercks, wie sie auf den Aufruf des VVN-BdA und weiterer Einzelpersonen und Verbände vom Jahresbeginn reagiert hätten, welche Alternativen für künftige Gedenkveranstaltungen diskutiert worden seien und wie die Planung für den Januar aussehe. In Abwesenheit von Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke) fiel ausgerechnet dem AfD-Stadtrat und Vize-Bürgermeister Thomas Braun die Aufgabe zu, darauf zu antworten. Er machte es sich leicht und verweigerte schlicht jegliche Auskunft: „Ich kann diese Fragen für das Bezirksamt nicht beantworten, weil die Träger der Veranstaltung der Heimatverein und die BVV sind.“ Dass zumindest die Frage nach Unterstützung der zusätzlichen Kundgebung auch davon unabhängig gesehen werden konnte, überging Braun kurzerhand.

Sein Auftritt verblüffte den Sitzungsleiter. „Herr Braun, ich bin etwas überrascht, weil wir im Ältestenrat vereinbart hatten, dass das Bezirksamt auf die Einwohneranfragen antwortet“, sagte Klaus-Jürgen Dahler, für die Linke stellvertretender BVV-Vorsteher. „Sie hatten da auch nicht signalisiert, dass sie nicht antworten wollen.“ Dahler sah sich nun in der misslichen Lage, dass er kein Mandat hatte, auf die einzelnen Fragen inhaltlich für die BVV als Ganze einzugehen. Deshalb konnte er lediglich andeuten, dass die BVV am Gedenken festhalten wolle, in einer Nachbesprechung zur Veranstaltung im vergangenen Januar aber vereinbart habe, andere Wege dafür zu finden. Eine Antwort konnte er eindeutig geben: Maercks hatte auch gefragt, ob der AfD-Verordnete Joachim Nedderhut für seine Äußerung in der BVV-Sitzung vom Februar, die Demonstrierenden seien „gewaltbereite Gestalten der roten SA“, nachträglich einen Ordnungsruf erhalten könne (hier eine Zusammenfassung der Debatte). Das sehe die Geschäftsordnung nicht vor, erklärte Dahler.

Dass die BVV die AfD vom Gedenken im Januar ausladen wird, kann als äußerst unwahrscheinlich gelten. Vorsteherin Kathrin Henkel (CDU) könnte das kaum überzeugend begründen. Schließlich ist gerade in einem Gremium wie dem Bezirksparlament die formale Gleichheit der Gewählten ein hohes Gut. Antifaschist Maercks hingegen kann sich auf die Bundeskanzlerin berufen. Er führte die Rede von Angela Merkel Anfang Dezember in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz an, in der sie aus der Erinnerung an den Holocaust auch die Notwendigkeit ableitete, gegen „zunehmende Intoleranz“, eine „Welle von Hassdelikten“ und einen „Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie“ in der Gegenwart einzutreten. Dass in der AfD mit ihrem neuen Bundessprecher Tino Chrupalla, der unverblümt von „Umvolkung“ redet, und zum Beispiel dem Brandenburger Landeschef Andreas Kalbitz, der zahlreiche rechtsextreme Betätigungen in seiner Biografie aufweist, die Radikalen immer stärker werden, lässt sich auch nicht bestreiten. Dem gegenüber war dem Bündnis VVN-BdA jüngst die Gemeinnützigkeit aberkannt worden. Diese Entscheidung stieß auf große Kritik. – Text: Ingo Salmen

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