Namen & Neues
Preisträgerin warnt vor rechtsextremen Studierenden in der Sozialen Arbeit
Veröffentlicht am 14.01.2020 von Ingo Salmen
Preisträgerin warnt vor rechtsextremen Studierenden in der Sozialen Arbeit. Beginnt so der „Marsch durch die Organisationen“, den der Berliner Landesvorsitzende Georg Pazderski der Bundes-AfD in einem Strategiepapier empfohlen hat? Am Sonnabend hat die Alice-Salomon-Hochschule bei ihrem Neujahrsempfang die Erziehungswissenschaftlerin und Sozialpädagogin Heike Radvan mit dem Alice-Salomon-Award ausgezeichnet. Die Ehrung warf ein Schlaglicht auf die Verhältnisse, mit denen sich die Professorin der Sozialen Arbeit an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und der dortigen Stadtgesellschaft konfrontiert sieht. Cottbus ist eine Stadt mit einem hohen Anteil an AfD-Wähler*innen.
In der Lehre wie auch in öffentlichen Debatten sei sie sich nicht mehr sicher, dass sie mit ihren Positionen immer auch die Mehrheitsmeinung vertrete, sagte Radvan, die sich gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus engagiert. Die extreme Rechte habe Cottbus „als eine Art Modellregion ausgewählt“ – und das schlage sich offenbar auch an der Hochschule nieder: Der bisweilen völkisch-autoritär beeinflusste Diskurs färbe auch auf Studierende ab. Manche kämen mit Vorbehalten, „in wenigen Einzelfällen“ würden Studierende der Sozialen Arbeit auch dem organisierten rechtsextremen Spektrum angehören. Sie würden sich öffentlich „entgegengesetzt zu den professionsethischen Standards Sozialer Arbeit“ positionieren und seien für Lehrende kaum erreichbar.
Welche Gefahr daraus erwächst, machte Radvans Laudator, der Publizist und Erziehungsiwssenschaftler Micha Brumlik, deutlich. Der emeritierte Professor aus Frankfurt am Main erinnerte an das Konzept der „akzeptierenden Jugendarbeit“ im Umgang mit neonazistischen Jugendlichen in den 90er-Jahren. Dieser Ansatz habe darauf verzichtet, die Haltungen und Einstellungen der Jugendlichen zu ändern. Stattdessen seien sie zunächst einmal nur von der Straße in die Jugendzentren geholt worden – damit sie keine anderen Leute bedrohen. Das hätte jedoch einen ungewollten Effekt gehabt: „Die Folge war, dass auf diese Weise ein Netzwerk rechtsextremistischer Anlaufstellen entstand, in dem nicht nur Alkoholexzesse stattfanden, sondern auch neonazistische Materialien wie Plakate oder Tonträger ausgetauscht wurden.“ Schon damals seien manche Sozialarbeiter selbst rechtsextremistisch gesonnen gewesen, sagte Brumlik. Die Sorge: Wenn Rechtsextreme erst einmal in den Beruf des Sozialarbeiters drängen würden, könnten solche Zentren künftig wieder entstehen – diesmal von oben herab organisiert.
Es sei Radvans Verdienst, auf diese bislang wenig beachtete Entwicklung hingewiesen zu haben, sagte Brumlik. Der Umgang mit diesen Studierenden sei aber bislang ungeklärt. Brumlik plädierte dafür, ein verpflichtendes Modul zur Geschichte von Sozialarbeit und Sozialpädagogik in den Lehrplan aufzunehmen. Aber sollten Studierende mit dieser Gesinnung auch ausgeschlossen werden? Brumlik warnte davor: Das würde unweigerlich in eine Berufsverbotsdebatte hineinführen. In den 70er- und 80er-Jahren wurde eine solche Debatte über den Umgang mit Kommunisten in der Bundesrepublik geführt. Radvan plädierte dafür, engagiert über die Regeln des demokratischen Diskurses zu diskutieren und Diskriminierungen aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang erwähnte sieauch den ungewöhlich politischen CSD in Cottbus. Er werde mitorganisiert von der brandenburgischen Koordinierungsstelle für LesBiSchwule & Trans* Belange, angesiedelt beim Verein Andersartig in Potsdam. Letzterem sei jedoch gerade die Förderung des Landes entzogen worden. Radvan stiftete dem Verein daher einen Teil ihres Preisgeldes.
Sind rechtsextreme Studierende auch in Hellersdorf ein Problem? ASH-Rektorin Bettina Völter konnte das auf Nachfrage nicht bestätigen. Die Hochschule habe „noch keine weitergehenden Erfahrungen“ mit diesem Phänomen gemacht, sagte sie. – Text: Ingo Salmen
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