Namen & Neues

Proteste gegen AfD-Teilnahme bei Gedenken an NS-Opfer angekündigt

Veröffentlicht am 21.01.2020 von Paul Lufter

Am kommenden Samstag lädt der Heimatverein Marzahn-Hellersdorf gemeinsam mit der BVV im Rahmen des Gedenktags für die Opfer der NS-Diktatur zum jährlichen stillen Gedenken auf den Parkfriedhof Marzahn am Wiesenburger Weg. Im vergangenen Jahr kam es hier zum Eklat, als Antifaschist*innen die Veranstaltung mit Protesten begleiteten und sich vor Beginn der Gedenkfeier rund um die Stele für die Zwangsarbeiter*innen positionierten, um den Vertreter*innen der AfD den Zugang zu verwehren. Die Aktion wurde u. a. von der BVV-Vorsteherin Kathrin Henkel (CDU) stark kritisiert. Der Heimatverein forderte gar eine Entschuldigung für das Verhalten von der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA), die zu den Demonstrationen aufgerufen hatte. Auch dieses Jahr wird die AfD wieder an der Gedenkfeier teilnehmen. Auch für dieses Jahr sind Proteste angekündigt worden.

Die Demonstrant*innen vermissen eine klare Haltung der BVV und des Heimatvereins. Das sei der Kernpunkt der Kritik, sagt Markus Tervooren, Geschäftsführer der VVN-BdA. Die Teilnahme der AfD werde in keiner Weise problematisiert. Der VVN-BdA hat gemeinsam mit der „Kiezgruppe gegen Rassismus Marzahn“ zu einer Kundgebung vor dem Friedhof im Vorfeld der Veranstaltung aufgerufen. Dort soll ab 10 Uhr auch Hans Coppi sprechen. Coppi ist Ehrenvorsitzender der Berliner VVN-BdA und Nachfahre von Hans und Hilde Coppi, die als Mitglieder der „Roten Kapelle“ von den Nazis hingerichtet wurden. Nach der Kundgebung wollen die Demonstrant*innen an der Gedenkveranstaltung teilnehmen.

Die Kundgebung hat nicht direkt mit dem Gedenken zu tun, erklärt Coppi. Vielmehr gehe es darum, den eigentlichen Konflikt zu benennen. Dieser basiere vor allem darauf, dass eine Partei an der Veranstaltung teilnehme, „die Mitglieder wie Alexander Gauland und Björn Höcke hat, die die Geschichte infrage stellen und in der Endkonsequenz die Erinnerung abschaffen wollen“. Deshalb werde man auch die Frage stellen, warum die AfD auf eine Teilnahme an der Veranstaltung dränge. Im vergangenen Jahr hatte sich AfD-Fraktionschef Rolf Keßler im Nachgang der Ereignisse um das Gedenken entschieden gegen Aussagen gewehrt, dass seiner Partei das Anliegen des Holocaustgedenktages nichts bedeute.

Verschiedene antifaschistische Gruppen wollen am Samstag ebenfalls Präsenz zeigen und an dem Gedenken teilnehmen bzw. bereits um 10 Uhr ein eigenes antifaschistisches Gedenken auf dem Friedhof abhalten. Das geht aus einem Beitrag auf der linksextremen Internetplattform „Indymedia“ hervor. Auch das Bündnis „Antifaschistisch Gedenken“ wird um 11 Uhr vor Ort sein, um gegen die AfD zu mobilisieren. Sie fordern eine Ausschlussklausel gegen rechte Akteure in der Einladung. Der VVN-BdA würde eine solche Klausel ebenfalls begrüßen. Die formale Gleichheit der Fraktionen ist in einer BVV allerdings ein hohes Gut, was eine Ausladung unwahrscheinlich macht, wie Kollege Ingo Salmen im Dezember bereits berichtet hatte. Konfliktpotenzial besteht wohl eher auf dem Friedhof als auf der Kundgebung davor.

„Natürlich gehört Protest zu einer Demokratie“, kommentiert BVV-Vorsteherin Henkel das im letzten Jahr Geschehene. Die Aggressivität der Demonstrant*innen sei auf einem Friedhof allerdings völlig unangemessen gewesen. Tim Reiche, Pressesprecher des Bündnisses „Antifaschistisch Gedenken“, war im vergangenen Jahr ebenfalls anwesend. Er beteuert, dass von ihnen keine Eskalation oder Gewalt ausgegangen sei. Beleidigungen und Schubser hätte es lediglich vonseiten der AfD-Vertreter*innen gegeben, denen man sich friedlich in den Weg gestellt habe. Einige der Anwesenden hätten sich sogar über die deutliche Positionierung gegen die Teilnahme der AfD gefreut und sich solidarisch an die Seite der Demonstrant*innen gestellt.

Für Wolfgang Brauer, Vorsitzender des einladenden Heimatvereins, sind die Ereignisse des vergangenen Jahres noch nicht ganz verständlich. „Ich war schockiert“, sagt Brauer. „Ich hätte niemals gedacht, dass Antifaschisten eine antifaschistische Gedenkfeier in diesem Maße stören.“ Auch für ihn gehört der Streit von Parteien am Gedenktag nicht auf den Friedhof. „Wir haben das stille Gedenken extra gewählt, um jegliche Parteiagenda zu unterbinden“, erklärt Brauer. Immerhin handle es sich um eine öffentliche Veranstaltung, bei der keine Parteienvertreter*innen eingeladen würden, sondern Einzelpersonen. Die Veranstaltung sei mit dem Ziel ins Leben gerufen worden, den Bürger*innen jenseits von parteipolitischen Angelegenheiten einen Rahmen für das Gedenken zu bieten. Zwar könne er verstehen, wenn jemand nicht mit bestimmten Menschen gemeinsam gedenken wolle, aber man könne niemanden ausschließen.

„Die Herangehensweise von Brauer halte ich nicht mehr für zeitgemäß“, entgegnet VVN-BdA-Geschäftsführer Tervooren. Natürlich sei er froh, dass das Gedenken in den letzten Jahren stärker ins Zentrum des öffentlichen Bewusstseins gerückt sei, aber es gebe parallel eben auch negative Entwicklungen, wie das Erstarken der AfD und deren Teilnahme an derartigen Veranstaltungen. „Dort wird Menschen gedacht, die teils noch leben bzw. deren Angehörige und Nachfahren unter Umständen anwesend sind. Für die ist es unerträglich, dort mit der AfD zu stehen.“ Zwar könne er die Kritik am Protest im vergangenen Jahr in Teilen nachvollziehen, vollständig annehmen könne er sie aber nicht.

Die Situation ist vertrackt und angespannt. Was genau am Samstag passieren wird, ist nicht abzusehen. „Sollte die AfD versuchen, diesen Gedenktag zu instrumentalisieren, werden wir uns dem friedlich entgegenstellen“, erklärt Reiche. „Wir planen keine Störung des Gedenkens, sondern wollen ein Zeichen für eine antifaschistische Haltung setzen.“ Brauer hingegen warnt davor, der AfD durch Aktionen unnötige PR zu verschaffen. Coppi sieht das anders. Gerade durch ihre unkommentierte Teilnahme könne sich die AfD als demokratische und bürgerliche Partei inszenieren. Auch hier gibt es also keinen Konsens. BVV-Vorsteherin Henkel berichtet, dass es für den kommenden Samstag intensive Vorbereitungen mit der Polizei gegeben habe, die im vergangenen Jahr von der Intensität der Proteste überrascht wurde. Vonseiten der Polizei heißt es, dass der Schutz der Veranstaltung „in diesem Jahr unter Einbeziehung der Erfahrungen des letzten Jahres“ geschehen wird. Über den Kräftebedarf könne man derzeit aber keine Aussagen treffen.

Im Internet wurden am Sonntag anonym Namen und teilweise auch Adressen von Marzahn-Hellersdorfer AfD-Politiker*innen veröffentlicht – mit einem Hinweis, ob sie dem völkisch-nationalistischen Höcke-„Flügel“ zuzurechnen sind oder nicht. Bündnis-Sprecher Reiche beteuerte, er wisse nicht, wer die Daten öffentlich gemacht habe. „Unser Aufruf wurde breit gestreut – keine Ahnung, an wen das gekommen ist.“ Das Marzahner AfD-Abgeordnetenhaus-Mitglied Gunnar Lindemann verurteilte die Veröffentlichung und zog einen extremen Vergleich: „Es ist unerträglich und erinnert an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte“, sagte er.